Liegt es in unserer Hand, ein glückliches Leben zu führen? Oder steuern es unsere Erbanlagen, ob wir eher zufriedene Menschen sind? Schon lange suchen Wissenschaftler darauf eine Antwort, besonders gefragt sind Zwillingsforscher.
Die Deutschen haben eine klare Vorstellung davon, was ihr Leben reich macht: gute Freunde haben und mit der Familie zusammen sein. Laut einer aktuellen Umfrage des Statistikportals Statista halten über 80 Prozent der Befragten diese Ziele für die wichtigsten im Leben. Eine glückliche Partnerschaft findet man erst auf Platz drei, hohes Einkommen liegt gerade mal im Mittelfeld und auf den letzten Platz schaffte es die Aussage "sich viel mit Kunst zu beschäftigen". Soweit die Vorstellungen zu Glück und Zufriedenheit, zu denen natürlich im hohen Maße auch die Gesundheit zählt.
Aber was kann der Einzelne tatsächlich für sein Glück tun? Inwieweit ist er dabei von seiner Umwelt und vom Einfluss seiner Gene abhängig?
Schon seit Langem versuchen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen Biologen, Genetiker, Psychologen, Soziologen dieses Geheimnis zu lüften. Eine besondere Rolle kommt hierbei der Zwillingsforschung zu, weil zweieiige Zwillinge 50 Prozent der Erbanlagen teilen und eineiige sogar zu 100 Prozent identische Gene haben. Anhand ihres Beispiels lässt sich der Einfluss der Gene und der Umwelt besonders gut studieren. Also auch die Frage, ob wir unsere Zufriedenheit von außen steuern können.
Einfluss der Gene und Umwelt auf den Menschen studieren
Einer, der sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit Zwillingen beschäftigt, ist Professor Frank Spinath. Der Psychologe betreut an der Universität des Saarlandes diverse Zwillingsstudien. 2013 startete er gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Bielefeld das Forschungsprojekt Twin Life. Es ist ein bislang einzigartiges Forschungsprojekt, weil es mit einem geplanten Erhebungszeitraum von zwölf Jahren und 4.000 Zwillingspaaren die größte Langzeitstudie mit Zwillingsfamilien in Deutschland ist. Zusammen mit seinem Team beobachtet und vergleicht der saarländische Wissenschaftler während dieser Zeit die Lebensläufe ein- und zweieiiger Zwillingspaare und deren Familien und befragt sie regelmäßig.
Sein Ziel ist es, mehr über die soziale, berufliche und gesellschaftliche Entwicklung der einzelnen Gruppen zu erfahren. Und: Wie sieht es bei Zwillingspaaren mit abweichendem Verhalten aus? Sprich: Warum wird der eine zum Beispiel drogensüchtig, der andere nicht? Spinaths Antrieb für diese Studien: "Ich will durch Zwillinge verstehen, wie wir werden, was wir sind. Dabei interessieren mich vor allem die Unterschiede zwischen den Menschen. Warum ist der eine so, der andere so?" Als Psychologe beschäftigt ihn auch die Frage, ob es möglich ist, bestimmte Faktoren zu identifizieren, die abweichendes Verhalten begünstigen oder verhindern.
Pro Jahr gibt es rund 12.000 Zwillingsgeburten in Deutschland, am Tag werden im Schnitt 33 Zwillingspaare geboren, davon etwa ein Drittel eineiige. Ein Mensch hat etwa 30.000 Gene, die bei eineiigen Zwillingen zu 100 Prozent identisch sind. Denn sie sind aus einer einzigen befruchteten Eizelle hervorgegangen, führen so also zu einer Art Klon des Anderen. Deshalb sehen sich eineiige Zwillinge auch zum Verwechseln ähnlich. Ihre Körpergröße ist identisch, ihre Haarstruktur ist gleich, häufig erleben sie zur gleichen Zeit kranke und gesunde Phasen. Viele spüren eine besonders enge psychische Verbindung zueinander. Aber wie sieht es mit Entscheidungen aus? Mit Vorlieben? Interessant ist für die Wissenschaftler dabei, dass eineiige Zwillinge in der Regel nicht nur die Gene, sondern auch das familiäre und soziale Umfeld genau zur gleichen Zeit teilen. Diese Ausgangslage macht die Vergleiche mit anderen Gruppen, zum Beispiel zu den zweieiigen Zwillingen, die auch zur gleichen Zeit in der Familie aufwachsen, aber nur zur 50 Prozent das gleiche Erbgut teilen, so interessant. Die Grundannahme in der Forschung ist: Wenn sich in einem bestimmten Merkmal eineiige Zwillinge ähnlicher sind als zweieiige Zwillinge, dann ist dieses Merkmal erblich weil die eineiigen Zwillinge eben genetisch identisch sind.
Lange Zeit war die Diskussion um den Einfluss der Gene ziemlich belastet. Das hat mit den unrühmlichen Anfängen der Zwillingsforschung zu tun. Als ein Begründer der Wissenschaft gilt Sir Francis Galton, 1822 in England geboren und Cousin von Charles Darwin. Galton reiste zur Kolonialzeit häufig nach Afrika und stellte dort "Forschungen" zur Intelligenzvererbung an. Er verglich die Intelligenz der Afrikaner mit der der Kolonialherren. Dabei nutzte er Tests, die völlig ungeeignet waren, irgendetwas zu beweisen. Denn die Afrikaner wurden ausschließlich nach britischen Maßstäben befragt. Herauskam nicht verwunderlich dass die Afrikaner vermeintlich weniger intelligent sind.
Um seine eigenwilligen Ergebnisse zu untermauern, kam er auf die Idee, Zwillinge aus den beiden Gruppen zu befragen ebenfalls mit wenig geeignetem wissenschaftlichen Material. Er fand sich danach in seiner Annahme bestätigt, dass die Kolonialherren insgesamt intelligenter waren. Daraus schloss er, dass nur die weiße Oberschicht ein bestimmtes "Genie" besitzt, das vererbt wird. Das war der Beginn der sogenannten Eugenik, die unter den Nationalsozialisten in der von ihnen propagierten Rassenideologie einen unrühmlichen Höhepunkt erlebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte das zur krassen Gegenreaktion in der Wissenschaft, als in den 1960er-Jahren sämtliche Diskussionen um den Einfluss der Gene fast schon tabuisiert wurden. In Mode waren damals Forschungen, die beweisen sollten, dass hauptsächlich die Umwelt einen Menschen prägt.
In den letzten Jahren hat sich der Sturm gelegt. Man ist sich in der Wissenschaft weitestgehend einig, dass sowohl Gene, als auch Umwelt einen Einfluss auf die Entwicklung eines Menschen haben. Die Frage ist nur, in welchem Maße wird was beeinflusst? Hier ist vieles noch nicht abschließend geklärt. "Aber natürlich müssen wir über Gene reden", sagt der Zwillingsforscher Frank Spinath. "Wir wissen aus der Zwillingsforschung, dass sie bei der Intelligenz schon eine wichtige Rolle spielen. Doch auch in diesem Bereich ist vieles sehr variabel."
Er verweist auf eine Studie aus den USA. Die zeigte, dass Kinder, die am oberen Rand der Bildungsmöglichkeiten leben also eine gute soziale Situation haben, beste Bildung genießen, eine homogene und offene Umwelt erfahren bei denen Intelligenz stärker genetisch variiert, als bei den am unteren Rand der Bildungschancen. Dort haben die Umwelteinflüsse eine größere Dominanz auf die Entfaltung von Intelligenz. Insofern: "Wie hoch der Einfluss der Gene ist, kommt also stark auf diverse Einflüsse an", bilanziert Frank Spinath.
Offene Menschen eher zufrieden, ängstliche weniger
Was ist nun mit der Lebenszufriedenheit? Diese, so zeigen Zwillingsforschungen, wird beeinflusst von der Persönlichkeitsstruktur, die jedem Individuum zu eigen ist. Die Persönlichkeit wiederum scheint auch zu einem hohen Teil genetisch geprägt zu sein.
"Zahlreiche Studien zeigen, dass bei den meisten Menschen eine bestimmte Grundeinstellung zum Leben gegeben ist", führt Spinath aus. Selbst nach dem Erleben von Ausnahmesituationen wie großem Glück, einem Schicksalsschlag oder einer schlimmen Krankheit kehrten Menschen wieder zu ihrer Grundeinstellung zurück.
Vor allem zwei Merkmale, so zeigen diesbezügliche Studien, beeinflussen die Lebenszufriedenheit eines Menschen. Es sind die Merkmale Extraversion, also das Interesse an anderen Menschen und Neugier, sowie der Neurotizismus, also der Hang zu emotionaler Labilität und hoher Stressanfälligkeit.
Vereinfacht gesagt: Wer eine hohe Portion Extraversion abbekommen hat, der lebt in der Regel ein zufriedeneres Leben. Denn Menschen, die neugierig und offen sind, reagieren weniger ängstlich. Menschen, die wiederum hohe Werte beim Neurotizismus aufweisen, sind ängstlicher, sorgenvoller, emotionaler und labiler. Beide Merkmale sind ebenfalls in den Genen angelegt, doch und das ist die gute Nachricht sie können durch äußere Einflüsse verstärkt oder eben vermindert werden.
Ein Beispiel: Jemand ist offen, geht in einen Verein, sein Hang zur Geselligkeit wird dadurch noch verstärkt. Es ist aber auch möglich, dass bei einem Menschen beide Merkmale ausgeprägt sind, und der ängstliche Teil durch die Offenheit und Neugier besser kompensiert werden kann. Oder ein besonders ängstlicher Mensch geht in einen Verein und erlebt dort, dass Gemeinschaft ihm guttut. Seine labile Seelenlage kann durch äußere Erfahrungen gemindert, der eher verschlossene Mensch also offener werden.
Letztlich führen diese Erkenntnisse aber unweigerlich zu der Frage: Ist also vieles schon genetisch in unserer persönlichen Struktur festgelegt, wie zufrieden wir im Leben sind? "Auf keinen Fall", sagt Spinath. "Es ist möglich, an der Persönlichkeitsstruktur zu arbeiten, aber es kostet Zeit und Kraft."
Alexandra Trudslev