Vor 40 Jahren wurde "Rocky" zum Überraschungsfilm des Jahres. Die Low-Budget-Produktion war der große Kassenschlager, heimste zehn Oscar-Nominierungen und drei Trophäen ein und machte den bis dahin gänzlich unbekannten Sylvester Stallone über Nacht zum Superstar.
Es gibt Musikstücke in der Filmgeschichte, die schon bei den ersten drei, vier Tönen Emotionen beim Zuhörer wecken. Mit den ersten Klängen wird der imaginäre Projektor im Kopf angeschmissen und wirft glasklare Bilder vors geistige Auge, die einen sofort in eine Traumwelt abgleiten lassen. Das ist beim Star-Wars-Thema so, beim klassischen James-Bond-Intro, bei Indiana Jones, Harry Potter und vielen anderen mehr.
Gleiches gilt auch für den Titel "Gonna Fly Now". Generationen von Sportlern werden diesen Song auf ihrer ganz persönlichen Trainings-Playlist haben ohne zu wissen, wie der Song eigentlich heißt. Für die meisten ist es einfach der "Rocky"-Song, die Titelmelodie des Überraschungsfilms des Jahres 1976. Sobald die ersten Töne erklingen, erscheint sofort ein kleiner, unscheinbarer Lockenkopf vor dem geistigen Auge, der im mausgrauen Jogginganzug, rotem Stirnband und bandagierten Händen durch die Straßen von Philadelphia rennt gefeiert und abgeklatscht von seinen Landsleuten im italienischen Viertel, verfolgt von einer immer größer werdenden Kinderschar, die versucht, mit ihrem Helden Schritt zu halten. Dieser nutzt Parkbänke als Hürden und setzt schließlich zum fulminanten Spurt ansetzt, stürmt die Treppen des Philadelphia Museum of Art hinauf, zündet ein wahres Schattenbox-Feuerwerk und lässt sich von seinen Fans feiern Rocky, der kleine Mann aus der Nachbarschaft, der die Chance auf den ganz großen Wurf bekommt. Der unbekannte Hinterhof-Boxer, der den amtierenden Weltmeister herausfordern darf.
Es ist die typische Geschichte vom amerikanischen Traum: der Weg vom Tellerwäscher zum Millionär, der des unbekannten Boxers auf dem Weg in den Sportolymp. Und es ist gleichsam die ganz persönliche Geschichte des unbekannten Schauspielers Sylvester Gardenzio Stallone und seinem Durchbruch zum Superstar.
Sylvester Stallone ist zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt. Seine schauspielerische Karriere dümpelt mehr schlecht als recht vor sich hin. Kaum jemand will den leicht nuschelnden Mann mit den etwas schiefen Gesichtszügen besetzen Folge einer Muskellähmung im Gesicht nach einer schwierigen Zangengeburt. "Ich bin im klassischen Sinne nicht schön", witzelte er einmal über sein Aussehen. "Die Augen hängen runter, der Mund ist schief, die Zähne sind nicht gerade..." Was ihn aber nicht davon abhält, seinen Traum zu verfolgen allen gegenteiligen Ratschlägen zum Trotz.
Noch fünf Jahre zuvor hatte er sich nackt durch den Erotikstreifen "The Party at Kitty and Studs" geräkelt wie so viele unbekannte Schauspieler war er jung und brauchte das Geld. Ironischerweise brachte ihm der Film den Spitznamen "The Italian Stallion" der italienische Hengst ein. Den Namen, den seine Hauptfigur Rocky später als Kampfname benutzte. Ohne Stallones späteren Erfolg wäre dieser kleine Streifen wohl für alle Zeiten in einer dunklen Schublade vergessen worden und hätte nie wieder das Tageslicht erblickt. So musste sich Stallone 1978 in einem Interview mit dem amerikanischen "Playboy" dafür rechtfertigen: "Ich hatte Hunger, und ich war verzweifelt", erzählte er. "Und wenn Du nichts zu essen hast, bist Du bereit so einiges zu tun, was Du normalerweise nicht tun würdest."
Stallone kämpfte
für seinen Film
Gefrustet von den wenigen Angeboten für allenfalls kleinere Nebenrollen versuchte sich Sylvester Stallone als Autor und machte sich ans Drehbuch für "Rocky". Inspirationen holte er sich dabei aus realen Boxkämpfen, etwa aus dem Kampf des relativ unbekannten Chuck Wepner, der 1975 den Schwergewichts-Champion Muhammad Ali herausforderte. Niemand hätte auch nur einen Pfifferling auf Wepner gesetzt, alle Experten prophezeiten ihm einen frühzeitigen K.o. Doch der Außenseiter hielt sich wacker, und je länger er durchhielt, umso mehr boxte er sich in die Herzen der Zuschauer. Um dann doch kurz vor Schluss, in der 15. Runde, zu Boden zu gehen und durch Kampfabbruch zu verlieren. Die perfekte Vorlage für Stallone.
"Rocky" erzählt die Geschichte eines durchschnittlichen Boxers, dem nicht einmal sein alter Trainer Mickey, gespielt von Burgess Meredith, noch etwas zutraut. Um sich finanziell über Wasser halten zu können, schlägt sich Rocky Balboa als Geldeintreiber für einen Kredithai durch. Auch privat läuft es nicht so wirklich rund. Vergeblich versucht er immer wieder, bei der schüchternen Adrian (gespielt von Talia Shire) zu landen. Doch eines Tages eröffnet ihm das Schicksal völlig unverhofft eine Chance. Der geplante WM-Kampf im Schwergewicht zwischen Apollo Creed (Carl Weathers) und seinem Herausforderer muss abgesagt werden, weil sich der Gegner des Champions verletzt hat. Da die Vorbereitungszeit für den Kampf sehr kurz ist, winken alle potenziellen Ersatzmänner dankend ab. Um den geplanten Kampf nicht ganz ausfallen lassen zu müssen, möchte Creed einem Boxer aus der Region die einmalige Chance bieten, gegen den Weltmeister zu kämpfen.
Die Wahl fällt zufällig auf den jungen Rocky Balboa nicht wegen seiner boxerischen Fähigkeiten, sondern wegen seines eingängigen Kampfnamens: The Italian Stallion. Obwohl Rocky weiß, dass er im Ring keine Chance gegen den Weltmeister haben wird, will er Creed zumindest einen möglichst harten Kampf liefern. Sein einziges Ziel ist es, nicht vorzeitig auf die Bretter geschickt zu werden, sondern über die volle Distanz zu gehen. Dafür trainiert er wie noch nie zuvor in seinem Leben, emotional und optisch hervorragend auf den Punkt gebracht in der eingangs beschriebenen Szene. Der Rest ist längst Filmgeschichte.
Beteiligung wurde zum Glücksfall
Binnen drei Tagen habe er das Drehbuch geschrieben, sagte Stallone einmal. Wobei die Ursprungsversion offenbar deutlich düsterer angelegt war als die tatsächlich gedrehte. Statt des etwas einfältig aber sympathisch wirkenden ewigen Verlierers war die ursprüngliche Version des Rocky Balboa als die eines unsympathischen Antihelden gezeichnet. Während er im Film zwar geschlagen aber als moralischer Held den Boxring verlässt, hätte er in der Urfassung den Kampf abgesagt und der Boxszene den Rücken gekehrt.
Immer wieder musste Stallone der beim Versuch einen Produzenten zu finden Klinken putzen ging das Skript kräftig überarbeiten. In einem ließ er sich allerdings nicht beirren: Stallone wollte die Figur des Rocky selbst spielen gegen den Widerstand der Studiobosse, die andere, bekanntere Akteure für die Hauptrolle verpflichten wollten.
Um seinen Kopf durchzusetzen, musste Stallone harte Zugeständnisse machen. Letzten Endes soll er das Skript für vergleichsweise lächerliche 20.000 US-Dollar verhökert und darüber hinaus nur eine mittlere dreistellige Summe pro Woche als Verdienst akzeptiert haben. Allerdings ließ er sich eine zehnprozentige Beteiligung am Einspielergebnis festschreiben. Für die Studiobosse ein geringes Risiko, da sie nicht wirklich an den Erfolg des Films glaubten. Das spiegelt sich auch im geringen Budget von etwas mehr als einer Million US-Dollar wider, mit dem der Streifen produziert und binnen gerade einmal knapp vier Wochen abgedreht wurde.
Für Sylvester Stallone aber sollte diese Beteiligung das Ende aller finanziellen Sorgen bedeuten, denn letztlich spielte der erste "Rocky" weltweit mehr als 225 Millionen US-Dollar ein. Die Geschichte des Außenseiters, der sich trotz Niederlage in die Herzen der Fans boxt, wurde zum Filmhit des Jahres und machte Sylvester Stallone über Nacht zum Superstar. Kameramann Garrett Brown setzte dabei zum ersten Mal die sogenannte Steady Cam ein. Die Aufnahmen im Ring profitierten dabei von einer vorher nie gesehenen Nähe zum Kampf und zur Dynamik und trugen so entscheidend zum Erfolg des Streifens bei. Insgesamt zehn Oscar-Nominierungen heimste "Rocky" ein, unter anderem für Stallone selbst als besten Hauptdarsteller. Drei Goldjungen erhielt er am Ende: für die beste Regie, den besten Schnitt und als bester Film des Jahres. Insgesamt sechsmal stieg Stallone als Rocky in den Ring, im siebten und bislang letzten Teil (2016) tauscht er die Seiten. Er coacht den unehelichen Sohn Donnie seines ersten großen und inzwischen verstorbenen Gegners Apollo Creed. Insgesamt hat die gesamte Filmreihe bis heute weltweit rund 1,5 Milliarden US-Dollar eingespielt das Zehnfache der Produktionskosten.
Stallone kann auch ernsthafte Rollen
Zwei Jahre nach dem grandiosen Erfolg von "Rocky" gelang Stallone mit der filmischen Umsetzung der Romanfigur des wortkargen Vietnam-Veteranen "Rambo" ein weiterer Kassenschlager. Doch fortan wurde Stallone auf die Action-Schiene festgenagelt. Dass er durchaus mehr kann, als sich salopp gesagt im Ring auf die Nase hauen zu lassen und wild in der Gegend rumzuballern, bewies er 1997 als Charakterdarsteller an der Seite von Robert de Niro und Harvey Keitel als Dorfsheriff in dem Streifen "Cop Land". Letztlich aber wollen seine Fans ihn lieber in der Heldenrolle sehen. Oder eben wie er zu den Klängen von "Gonna Fly Now" durch die Straßen von Philadelphia rennt.
Jörg Heinze