Es war die größte Katastrophe im saarländischen Bergbau und eines der schwersten Grubenunglücke der deutschen Geschichte. Am 7. Februar 1962 kamen durch Explosionen im Alsbachfeld der Grube Luisenthal 299 Bergleute ums Leben.
Als am Morgen des 7. Februar 1962 die Frühschicht pünktlich um 6 Uhr auf der Grube Luisenthal einfuhr, konnte keiner der Bergleute ahnen, dass dieser trist-graue Wintertag mit Nieselregen zu einem der schwärzesten Tage der deutschen Bergbaugeschichte werden sollte. Kurz nach 7.45 Uhr war am Alsbachschacht in Burbach ein dumpfer Knall zu vernehmen, der auch noch im einige Kilometer entfernten Altenkessel zu hören war, die beiden Gemeinden, unter deren Krume seit Mitte der 1950er-Jahre das Alsbachfeld als Nebenanlage der Grube Luisenthal abgeteuft worden war.
Bereits zuvor immer wieder Unglücke
Dieses neu erschlossene Feld sollte sich schnell als so ergiebig erweisen, dass Anfang 1962 bereits etwa zwei Drittel der gesamten Kohleförderung der Zeche von dort stammten. Luisenthal galt wegen der vergleichsweise hohen Konzentration des beim Kohleabbau in den Flözen freigesetzten, leicht entzündlichen Methangases als besonders anfällig für Schlagwetter-Explosionen. Zwischen 1904 und 1954 war es bereits zu 20 Bränden und Explosionen gekommen. Das bis dahin schwerste Unglück mit 31 Toten hatte sich am 16. Juli 1941 ereignet. Aufgrund der vielen Zwischenfälle war speziell das Alsbachfeld mit modernster Technik und hohen Sicherheitsstandards angelegt worden. Dass ausgerechnet hier die Katastrophe passieren würde, war daher nicht zu erwarten.
Unmittelbar nach dem Knall wurde der tonnenschwere Deckel des Alsbachschachts aus der Verankerung gerissen und blieb einige Meter über dem Erdboden im Gerüst hängen. Die tief aus dem Erdinneren heraufziehende Druckwelle war gewaltig. Aus dem Schacht stieg eine dunkle Rauchsäule empor, die sich über der Anlage zu einer düsteren, schwarzen Wolke verdichtete. Für eine gewisse Zeit herrschte trügerische Ruhe, außer der Rauchwolke und den Beschädigungen am Fördergerüst deutete nichts darauf hin, dass sich rund 600 Meter tiefer Dramen abspielten.
Schon wenige Minuten nach dem Unglück, dessen Ausmaß und Ursachen zunächst völlig unbekannt waren, liefen die Rettungsmaßnahmen an. Die Hauptrettungsstelle in Friedrichsthal und die Grubenfeuerwehr in Luisenthal waren umgehend alarmiert worden. Schon bald wurde die Szenerie rund um den Schacht beherrscht vom Lärm der Sirenen und Martinshörner der Ambulanzen und Feuerwehren sowie vom Knattern der Hubschrauber-Rotoren. Menschenmassen strömten zur Auffahrt der Anlage und ans Zechentor. Die Sorge der Angehörigen wuchs gleichsam minütlich an.
Nur 61 Kumpel konnten unverletzt geborgen werden
Von den 664 Bergleuten unter Tage waren 433 in der Nähe der Explosionsstelle tätig. Zunächst war nur von elf Toten die Rede gewesen. Bis zum Mittag konnten 61 Bergleute unverletzt geborgen werden. 73 Kumpel, von denen zwölf später sterben sollten, konnten mit zum Teil schwersten Verletzungen ans Tageslicht befördert werden. Schon kurz nach Mittag machte die Meldung die Runde, dass es keine weiteren Überlebenden geben könne.
Wer nicht in den ersten Stunden gerettet werden konnte, hatte keine Chance. Wer dem unterirdischen Feuerorkan entkommen konnte, sah sich sehr schnell von Sauerstoffmangel und Kohlenmonoxidvergiftung bedroht. Die nötige Soforthilfe kam in den meisten Fällen zu spät. Luisenthal bot im Unterschied zu Lengede, wo anderthalb Jahre später mit 29 Toten weit weniger Opfer zu beklagen waren, keinen Stoff zur Legende oder zum Leinwandepos, weil eben keine eingeschlossenen Kumpel sogar noch zwei Wochen später von gefeierten Helden gerettet werden konnten.
Daher sollte die Katastrophe in Luisenthal, auf die die ganze Welt mit Beileids-Telegrammen reagierte darunter Schreiben von US-Präsident John F. Kennedy und Papst Johannes XXIII. außerhalb des Saarlandes recht schnell in Vergessenheit geraten. Genauso wie sich außerhalb von Westfalen kaum jemand mehr an das Grubenunglück vom 20. Februar 1946 in Bergkamen bei Dortmund erinnern dürfte der mit 405 Toten schwersten Bergwerkskatastrophe der gesamten deutschen Geschichte.
Da der Alsbachschacht zu stark beschädigt war, konnten die Toten und Verletzten nicht auf diesem direkten Weg geborgen werden, sondern mussten mit Hilfe von Waggons der unterirdischen Bahn zum drei Kilometer entfernten Hauptschacht der Grube Luisenthal transportiert werden. Die teils durch Verbrennungen völlig unkenntlichen Leichen wurden in einer großen Halle auf den Boden gelegt und mit Decken verhüllt. Die ersten Totenlisten wurden 24 Stunden nach dem Unglück herausgegeben. Sie wurden ständig aktualisiert und immer länger.
Bei der Trauerfeier am 10. Februar 1962, bei der in einem Park am Gelände der Grube Luisenthal mehr als 5.000 Personen teilnahmen, waren 287 Särge in neun Reihen inmitten eines Blumenmeeres aufgestellt. Der damalige saarländische Ministerpräsident Franz-Josef Röder sprach von einem "rabenschwarzen Tag für den saarländischen Bergbau und die Bevölkerung", Bundespräsident Heinrich Lübke hielt die Ansprache.
Die Zahl der Toten sollte schließlich in den folgenden Tagen sogar noch auf 299 ansteigen. Das jüngste Opfer war gerade einmal 16 Jahre alt, der älteste Bergmann zählte 59 Jahre. 222 Frauen waren zu Witwen geworden, 366 Kinder hatten ihren Vater verloren.
Genaue Ursache wurde nie geklärt
Es war eine Katastrophe landesweiten Ausmaßes, die ganze Region lebte vom Bergbau. In der Zeche Luisenthal waren etwa 2.000 Menschen beschäftigt. Es gab kaum eine dort lebende Familie, die nicht in irgendeiner Form von dem Unglück betroffen war. Überall wurden die Fahnen auf Halbmast gesetzt. Auch wenn wohl niemals mehr alle Geheimnisse rund um Ursachen und genauen Ablauf der Katastrophe geklärt werden können, so konnte doch einiges zweifelsfrei rekonstruiert werden. Ausgangspunkt war eine Schlagwetterexplosion auf Sohle 4 des Alsbachfeldes in 600 Metern Tiefe, genauer gesagt in "Querschlag 221", wo sich offenbar unbemerkt Methangas in erheblicher Menge angesammelt hatte. Durch diese Schlagwetterexplosion wurde Kohlenstaub aufgewirbelt, was eine Reihe von Kohlenstaubexplosionen in Gang setzte. Die Folge war eine gewaltige Feuerwalze, die sich trotz zahlreicher aufgebauter Gesteinsstaubsperren und Feuchtzonen strahlenförmig nach allen Richtungen ausbreiten konnte. Methan kann zwar Feuerwalzen auslösen, sie aber nicht lange halten. Erst Kohlenstaub sorgte im Alsbachfeld dafür, dass sich das Feuer mit hohem Druck in den Schächten ausbreiten konnte.
Was die Schlagwetterexplosion ausgelöst hatte und was die Zündursache war, konnte nie sicher festgestellt werden. Möglicherweise wurde trotz striktem Rauchverbot unter Tage eine Zigarette angesteckt, wofür bei den Aufräumarbeiten gefundene Kippen sprechen könnten. Auch der Glühwedel einer defekten Kopfleuchte wird noch immer als möglicher Unglücksauslöser genannt. Auch Sicherheitsdefizite, "73 zum Teil schwerwiegende Verstöße gegen die sicherheitlichen Bestimmungen", sind in einem Bericht des Untersuchungsausschusses angeführt, der vom saarländischen Landtag bereits im Februar 1962 eingesetzt wurde. So sei beispielsweise die Methankonzentration nicht ausreichend überprüft worden. Außerdem seien zu viele Bergleute in einer Abteilung eingesetzt worden. Die Steinstaubbehälter, die eine Kohlenstaub-Explosion hätten verhindern können, seien teilweise nicht vorhanden oder kaum befüllt gewesen.
Keine Entschädigung für die Angehörigen
Vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken musste schließlich nicht etwa der Grubenbetreiber, die Saarbergwerke, Rede und Antwort stehen. Ende Mai 1964 wurden stattdessen 13 Mitarbeiter angeklagt vom Fahrhauer über Steiger und Obersteiger bis hin zum Betriebsführer. Da jedoch keiner für die Sicherheits- und Abbaubestimmungen verantwortlich gemacht werden konnte, wurden alle freigesprochen. Die Opfer beziehungsweise deren Familien erhielten seitens der Saarbergwerke keinerlei Entschädigungen. Lediglich privaten Spendern war es zu verdanken, dass nächsten Angehörigen etwas finanzielle Hilfe zuteil wurde. In Luisenthal erinnert heute eine Statue der Heiligen Barbara an das Unglück. Vor 55 Jahren hatte die Schutzpatronin der Bergleute aber augenscheinlich keinen besonders guten Tag erwischt.
Peter Lempert