Norbert Lammert, Ex-Bundestagspräsident, hat zum 40-jährigen Bestehen der Konrad-Adenauer-Stiftung im Saarland vor den Gefährdungen der Demokratie gewarnt.
Herr Lammert, sehen Sie die Ereignisse in Chemnitz als neue Qualität in der Herausforderung der Demokratie?
Die aktuellen Ereignisse machen deutlich, dass diese Aufgabe nie ein für allemal erledigt ist, sondern immer wieder neu stattfinden muss, man sich auch immer wieder neu bewusst machen muss, dass sich nicht nur die Adressaten verändern, sondern auch die Rahmenbedingungen, unter denen Erfahrungen gemacht und verarbeitet werden. Es ist sicher auch kein exklusives Thema für die neuen Länder, also das Gebiet der ehemaligen DDR, auch wenn ganz sicher richtig ist, dass dort ganz andere politische Sozialisationsprozesse stattgefunden haben, als sie für uns in Westdeutschland vertraut sind.
Wie kann man solchen Entwicklungen begegnen?
Theodor Heuss hat vor vielen Jahren gesagt, Demokratie ist keine Glücksversicherung. Demokratie ist das Ergebnis von politischer Bildung und demokratischer Überzeugung. Das macht das Spannungsverhältnis deutlich. Ohne Kenntnis von Zusammenhängen kann das nicht funktionieren. Aber die schlichte Kenntnis reicht nicht aus, wenn sie nicht mit einem Verantwortungsbewusstsein für das eigene Land und eine vitale Demokratie verbunden ist.
Eine verunsicherte Gesellschaft oder eine wehrhafte Demokratie?
Die Verunsicherung setzt sich bei genauem Betrachten aus unterschiedlichen Ursachen zusammen, zu denen auch die Zuwanderung gehört, die aber nicht der einzige Grund ist. Vieles spricht dafür, dass wir durch die Globalisierung und die damit verbundenen Veränderungen ein beachtliches Maß an Verunsicherung haben, weil viele Menschen vertraute Rahmenbedingungen infrage gestellt sehen. Das erzeugt Verunsicherung und begünstigt das Angebot von Populisten, die für komplizierte Frage scheinbar ganz einfache Antworten anzubieten haben. Dagegen ist das Selbstverständnis als eine wehrhafte Demokratie eine der wichtigsten Selbstvergewisserungen gegen die Gefährdungen einer Demokratie. Das Verfassungsverständnis des Grundgesetzes arbeitet die Erfahrungen ein für allemal auf, die wir hoffentlich aus dem Scheitern der Weimarer Demokratie gewonnen haben. Und daraus ergibt sich das Verständnis einer Demokratie, die sich auch gegen ihre Gegner zur Wehr setzt.