Die Deutsche und Brandenburger Milch- und Käsestraße sind ein Zusammenschluss Milch und Käse produzierender Höfe. Bundesweit gehören 700 dazu, etwa 60 Prozent davon sind Biobetriebe. Wir stellen einige davon vor.
Arabella ist geduldig. Die cremebeige Kuhdame lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, als Volker Woltersdorff ihr die Sauggummis mit dem Milchschlauch der Melkmaschine an die daumengroßen Zitzen anlegt. Ihr Euter ist prall gefüllt. Ein Akt des Vertrauens. Zwei Katzen fläzen sich schläfrig im Heu, wendige Schwalben fliegen in ein Nest neben dem Heuschober. An der lehmig-monochromen Wand prangt das Bild einer heiligen Kuh. Es riecht nach Nestwärme, Tier und Heu. Das pumpende Geräusch der Maschine beruhigt und wird leise von klassischer Musik untermalt. „Das regt den Milchfluss an. Die um die 20 Liter am Tag – sechs davon fürs Kalb – werden sofort im Anschluss auf acht Grad abgekühlt", erläutert der gebürtige Allgäuer und Kulturwissenschaftler, der sich vor zehn Jahren mit seinem Partner Udo Pursche mit dem Selbstversorger-Öko-Bauernhof Blankenfelde einen Lebenstraum erfüllt hat. „Wie viel Arbeit dahintersteckt, realisierte man erst im Tun. Hier ist kein Platz für verklärte Romantik. Ich habe meine Halbtagsstelle aufgeben müssen, Udo arbeitet Vollzeit als Dozent." Der Hof diente bisher nur dem Eigenbedarf und der übersichtlichen Abgabe von Rohmilch an Vorbeikommende. Aufgrund seiner Bilderbuchanmutung kommen hin und wieder Schulklassen vorbei.
„Die Liebe zu den Tieren motiviert jeden Tag. Kühe sind sensible Wesen mit Charakter, die einen festen Rhythmus brauchen. Es gibt Rangregeln und Animositäten." Sanft schaut die britische Jerseykuh aus ihren braunen Smokey Eyes. Kälbchen Tosca steht scheu, aber neugierig daneben. Es ist satt und darf nuckeln, wann es will. Bei dieser artgerechten, muttergebundenen Aufzucht genießen Kuhmütter sogar Elternzeit. Die schwarzbunte Milchschwester Gala, wie Arabella eine alte Rasse, ist entspannt. Als Herdenchefin ist sie immer die Erste im Stall. Sie ist bereits mit ihrem sechsten Kälbchen trächtig. Kühe können bis ins hohe Alter von 23 alle zwei Jahre gebären. Die Industrie ist weniger geduldig und führt Kühe oft schon mit vier Jahren zum Schlachter.
„Ein kleiner Betrieb kann nur funktionieren, wenn er sich eigene Vermarktungswege aufbaut. Im Osten ist die Struktur der Landwirtschaft im Vergleich zu Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg sehr großteilig. Pachtland ist dort mittlerweile fast unbezahlbar und kaum mehr zu bekommen. Kleine Molkereien finden keine Abnehmer, und obwohl im nahen Berlin der Bedarf an Bio- und Manufakturware steigt, hat die Regierung kein Interesse an spezieller Förderung des Kleinstrukturierten", erklärt Woltersdorff. Die nach Fläche berechnete Agrarförderung sei nicht dienlich, da wieder mal nur die konventionellen Hamsterrad-Großbetriebe maßgeblich davon profitieren. Die Kluft ist deutlich spürbar – sowohl ethisch wie auch wirtschaftlich.
Diese Perspektive soll sich für den Ökohof aber bald ändern. Acht weitere Jerseykühe werden angeschafft, und die erfahrene Hofkäserin Sabina Lischka wird geschäftlich in die Zwei-Mann-Kuhdamen-WG einziehen. Durch die gute Anbindung nach Berlin ist bis Jahresende ein Hofladen geplant. Restaurants und Händler können auch gut beliefert werden.
Ihr neues Schaffensfeld wird die Berlinerin in Eigenregie unter allen Auflagen ausbauen. Als studierte Architektin weiß sie, worauf dabei zu achten ist, und will künftig auch andere Neugründer beraten, wie eine Hygieneschleuse mit Milchkammer, der Käser- und Reiferaum mit Klimatisierung und das Herzstück, der Edelstahlkessel, auszusehen haben. „Hygiene, Präzision und Geduld sind das A und O. Auch die Kuhrasse ist entscheidend: Ich liebe die ebenso schöne wie pflegeleichte Jersey. Ihre Milch ist so fett wie mit Doppelrahmstufe. Optimal für meine Butter." Beim Verkosten der mit diversen Kulturen angesetzten, fluffigen Buttermilchflöckchenmasse schmecken feine Zungen den Unterschied.
„Genuss vor der Haustür"
Neben den 28 Milch- und Hofkäsereikleinbetrieben in Brandenburg (Thüringen 26, Mecklenburg-Vorpommern 21, Sachsen-Anhalt zehn, Sachsen 31) und einigen Händlern in der Stadt sind auch die Blankenfelder Mitglied im Verband für handwerkliche Milchverarbeitung (VHM). Der im bayerischen Freising ansässige, in den 90er-Jahren gegründete VHM bietet Fach- und Publikums-Workshops und ein jährliches Treffen auf einem der Höfe an. Eine offizielle Ausbildung zum Hofkäser gibt es noch nicht. Das Touren auf verschiedenen Höfen und der Austausch mit Gleichgesinnten sind die beste Schule. Um die Verbundkraft zu erhöhen, gründete sich 2008 die Deutsche Milch- und Käsestraße, zu der sich 2014 auch Brandenburg und Berlin einreihten. Das bekannte Ökodorf Brodowin in Chorin ist der größte der Region, die Marienhöhe in Bad Saarow deutschlandweit ältester Demeter-Betrieb. Als größtes Ballungsgebiet liegt Bayern mit 150 vorwiegend kleinen Traditionshöfen an der Spitze, gefolgt von Baden-Württemberg mit 117. Die kleinsten Käse-Kingdoms sind das Saarland und Sachsen-Anhalt mit elf Mitgliedern. Alle 700 bündeln sich in Hofkäsereien und Molkereien (60 Prozent Biobetriebe). Die wichtigsten Akteure aber sind die Tiere. In 342 Kuh-, 158 Ziegen-, 85 Schafs-, fünf Büffel- sowie einer Stutenmolkerei spenden sie ihre Milch. „Unser Verband bietet Transparenz durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit und kooperiert mit der örtlichen Touristik", betont Geschäftsführer und Agrarwirt Marc-Albrecht Seidel.
Wie er kommen viele Mitglieder ursprünglich aus Landwirtschaft, ökologischem Gartenanbau oder nachhaltigen Wirtschaftsstudien – einige sind lebensphilosophische Umsteiger. Gründungsmitglied Seidel ist einer der engagierten Know-how-Instanzen. „Jedes Bundesland hat seinen eigenen Charme. Die Käsesorten haben ihren regionaltypischen Geschmack, da die Futtermittel meist auf den Höfen produziert werden." So schmeckt ein Landkäse aus dem Allgäu nach Wiesenkräutern, in Sachsen-Anhalt findet sich Kümmel auf der Harzer Rolle, in Bayern geht das Spektrum vom würzigen Bergkäse bis zum cremigen Topfen, und in Hessen genießt man Spundekäs mit Ebbelwoi. Im Sommer gibt’s Hofeis – unterwegs vereinzelte Milch-Tankstellen.
„Immer mehr Menschen wünschen sich naturbelassene, individuell veredelte Milchprodukte. Genuss findet vor der Haustür statt. Man muss nicht weit fahren, um Käsekultur zu erleben. Hofbegehungen waren früher ja auch gar nicht möglich", erklärt der Verbandschef. „Der Kunde zahlt endlich gern mehr für Manufaktur, die nun mal teurer in der Erzeugung ist. Klassische Molkereien hatten lange kein Interesse an dieser Qualität, da der Milchpreis im Keller war. Der deutsche Bio-Milch-Preis liegt im bundesweiten Durchschnitt bei 47,4 Cent netto pro Kilogramm. Konventionelle kostet rund 34,6 Cent (Stand November, Quelle: Bioland, www.biomilchpreise.de).
Deutsche Hofkäsekultur ist im Vergleich zur jahrtausendealten Kultur der Traditionsländer Italien, Griechenland oder dem Veredlungsland Frankreich mit unter 100 Jahren ja noch jung", erklärt der Käseexperte, der an die 50 neue Jahresmitglieder begrüßt. Saisonale Feste oder Messen sind Foren für Käseliebhaber und Händler. Dass der globale Blick und ein internationaler Verbund wichtiger werden, zeigt sich in der Neugründung der Plattform FACE (Farmhouse and Artisan Cheese & Dairy Producers European Network).
Viele Höfe liegen 50 bis 100 Kilometer auseinander. Die VHM-Website navigiert mit Karten, Glossar und Geschichten durch das Käseuniversum. Rezepte machen Lust auf Käse-Cooking. Auch die Food-Metropole Berlin setzt vermehrt auf guten Käse: Das hat auch der ehemalige Jurist Fritz Blomeyer, selbst Reifer und Affineur, erkannt. Sechs Jahre tourte er durch Hofkäsereien und ist bis heute mit dem „Capriolen Ziegenhof" in der Uckermark eng verbunden. 2015 hat er seinen auf deutschen Käse spezialisierten Laden in Berlin-Charlottenburg eröffnet und gilt als Koryphäe in Sachen German Cheese, … Pray & Love, wie es frech auf speziellen Schmuckkästchen zu lesen ist. An die 150 Käsesorten aus 20 Hofkäsereien liegen in der üppig bestückten Vitrine. Darunter cremige Schätzchen wie das „gepfefferte Ärschle" (Kuhkäse mit Madagaskarpfeffer), das „Köhler Laibchen" (Ziegenweichkäse) oder das „Schwarze Schaf mit Obstbaumasche".
Der Käsefritz verfeinert selbst
Der Käsefritz gibt den Käsereien seine Reifezeitwünsche vor, verfeinert selbst und experimentiert bei Tastings neben der klassischen Kombinatorik mit Wein auch mit Whisky, Bier oder Sake. Er beliefert die Spitzen-Gastronomie. Seine Beratung ist komplex. Die Konsistenz geht von schmelzig bis kalkig im Kern oder gar puckartig. Attribute wie würzig, sauer oder samtig, ein eleganter Bitternoten-Abgang, das geborgene Umami, der kräutrige, karamellige oder gar animalische Anklang sind teilweise der Weinsprache nachempfunden. Der Geschmack einer Sorte sollte konstant sein, darf aber jahreszeitliche Nuancen aufweisen.
Nicht jeder vermarktet seinen Käse außer Haus. Der Karolinenhof in Kremmen (Oberhavel) ist ein Selbstläufer und produziert 20 Sorten für Hofladen und Wiesencafé. Der Kaminraum ist auch im Winter – zur Zicklein-Geburtszeit –, geöffnet und hat auch Lassis oder zartes Ziegenschmorfleisch im Angebot. Brandenburgs ältester Ziegenkäsehof hat gerade sein 25-Jähriges gefeiert.
Gela Angermann, die den Hof mit ihrem vor zehn Jahren verunglückten Mann gegründet hatte, findet Unterstützung durch Tochter Lovis im Café. Die neue Gesellschafterin Sophie Spindler ist ein „Multi" – macht Außenkommunikation mit gekonntem Wortwitz. Ihr Mann Basti kümmert sich um die 130 ebenso lustigen wie launischen Meckerdamen. Aber keinen Bock haben gibt’s nicht.
Das käsige Lebenskonzept ist bestenfalls eines für sich gut ergänzende Paare. Die Rollen sind klar in „Käse" oder „Tier" verteilt. So halten es die „Pimpinellen", Franziska und Amelie Wetzlar, die den Milchschafhof gleichen Namens am Oderbruch betreiben. Die gelernte Milchschäferin Amelie kümmert sich um die wollig-sanften Greiner Steinschafe und die Ausbesserung der Gehege. Franziska ist für die täglichen Hart-, Weich-, oder Frischformate nebst saisonalen Kreationen zuständig. 200 Käselaibe ruhen in Hochzeiten in der Reifekammer. Zwei Dutzend Sorten findet der Käsegourmet in der Theke, außerdem Lammfleisch, Knacker und Schafswollprodukte.
Auch die Wetzlars sehen sich als Werte-Veränderer im „Kleinen" – Botschafter für Landwirtschaft mit geschlossenen Kreisläufen im natürlichen Rhythmus: „Das Käsen gehört zu den Ur-Gewerken mit immer gleichen Basics: Milch, Milchsäurebakterien, Kulturen, Lab und Salz. Tiere sind Gewohnheitstiere, wir auch. Das Geheimnis des Käses? Er braucht eben die Zeit, die er braucht."