Von wegen schwaches Geschlecht: Es sind in diesem Winter vor allem die deutschen Leichtathletinnen, die mit Blick auf die bevorstehende Hallen-EM Medaillenhoffnungen wecken. Auch bei den nationalen Meisterschaften an diesem Wochenende in Leipzig werden die Frauen besonders im Fokus stehen.
Ladys First, so hieß es Anfang des Monats beim Istaf Indoor in Berlin. Beim weltgrößten Leichtathletik-Hallenmeeting wurde das Diskuswerfen in diesem Jahr erstmals als Geschlechterkampf inszeniert.
Vier Frauen traten gegen vier Männer an, die Paarungen wechselten von Runde zu Runde. Sieger war das Geschlecht, das am Ende mehr Duelle für sich entscheiden konnte. Vorab hatte Diskus-Olympiasieger Christoph Harting noch getönt: „Ich denke, dass wir Männer gewinnen werden, weil wir viel mehr Erfahrung haben. Für uns Werfer ist das Istaf Indoor ja der einzige Hallenwettbewerb weltweit. Und wir Männer haben es bereits fünfmal erlebt, die Frauen nur einmal." Am Ende musste auch er kleinlaut die Überlegenheit der Frauen einräumen, die den Kampf der Geschlechter letztlich mit 27:24 Punkten für sich entschieden. Dabei erzielte Nadine Müller mit 63,98 Metern sogar eine Hallen-Weltbestleistung – noch nie hatte eine Frau in der Halle weitergeworfen.
Nun ist Diskuswerfen in der Halle in erster Linie eine Spaßveranstaltung und eine willkommene Abwechslung von der oftmals monotonen Plackerei im Kraftraum. Die Athleten befinden sich zu diesem Zeitpunkt der Saison gerade mitten im Training. Niemand bereitet sich spezifisch auf diesen Wettkampf vor – was zählt, ist einzig und allein die Freiluftsaison. Dennoch untermauerte das Ergebnis aus Berlin einen Trend, der in diesem Winter auch in anderen Disziplinen deutlich wird: Es sind momentan vor allem die Frauen, die in der deutschen Leichtathletik das Sagen haben. Mit Blick auf die bevorstehende Hallen-EM Anfang März in Glasgow (Großbritannien) ist es fast ausschließlich das weibliche Geschlecht, das mit Medaillenchancen anreist, sieht man einmal von Hochsprung-Europameister Mateusz Przybylko (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Kugelstoßer David Storl (SC DHfK Leipzig) ab. Entsprechend werden die Frauen auch bei den deutschen Hallen-Titelkämpfen ganz besonders im Fokus stehen, die am 16. und 17. Februar erneut in der Arena in Leipzig ausgetragen werden.
Dieser Trend hatte sich bereits im vergangenen Jahr angedeutet. Bei den Freiluft-Europameisterschaften im Berliner Olympiastadion holte Deutschland insgesamt 19 Mal Edelmetall – 13 Medaillen davon gewannen die Frauen, die Männer lediglich sechs. In der laufenden Hallensaison manifestiert sich diese Entwicklung nun. Nimmt man die Wurfdisziplinen heraus, die im Winter mit Ausnahme des Kugelstoßens nicht im Wettkampfprogramm stehen, zeigt sich die Überlegenheit der Frauen umso deutlicher. Das vermeintlich schwache Geschlecht ist momentan einfach breiter aufgestellt und in deutlich mehr Disziplinen auch international konkurrenzfähig.
Hürdenlauf eine deutsche Domäne
Die 60 Meter Hürden der Frauen sind sogar die einzige Disziplin, in der sich in der Weltjahresbestenliste momentan gleich zwei Deutsche unter den besten Drei wiederfinden. Ganz vorn steht dort aktuell Pamela Dutkiewicz (TV Wattenscheid 01). Beim Istaf Indoor rannte sie 7,89 Sekunden, nachdem sie wenige Tage zuvor auch schon beim Hallenmeeting in Dortmund mit 7,91 Sekunden zu überzeugen wusste. Exakt diese Zeit lief in Berlin als Zweitplatzierte auch Cindy Roleder (SV Halle), die sich in der Weltjahresbestenliste damit hinter der Amerikanerin Christina Clemons (7,90) auf Rang drei einordnete.
Bei der Hallen-EM wird diese nicht dabei sein – ein deutscher Doppelsieg durch Dutkiewicz und Roleder erscheint in Glasgow also durchaus möglich. Wer von beiden dann die Gejagte sein wird, entscheidet sich am Wochenende in Leipzig. Cindy Roleder gibt sich im Vorfeld der deutschen Hallenmeisterschaften jedenfalls kämpferisch: „Ich habe mich bislang schon in einer guten Form präsentiert, aber der Start ist sicherlich noch ausbaufähig. Darauf kann ich hervorragend aufbauen." Im Herbst hatte Roleder geheiratet und die Flitterwochen unter anderem beim Saisonfinale der Formel 1 in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) verbracht. Das private Glück scheint die 29-Jährige auch auf der Bahn zu beflügeln, denn in diesem Winter ist nun wieder Hochgeschwindigkeit über die Hürden angesagt. In Leipzig will sich Roleder ihren insgesamt fünften Hallentitel sichern. Für Pamela Dutkiewicz wäre es nach ihrem DM-Erfolg 2017 – als sie mit 7,79 Sekunden sogar einen neuen Meisterschaftsrekord aufstellte – dagegen erst die zweite Goldmedaille über 60 Meter Hürden.
Neben Dutkiewicz sind zurzeit noch zwei weitere deutsche Frauen die klare Nummer eins in Europa. Da wäre zum einen Kugelstoßerin Christina Schwanitz (LV 90 Erzgebirge), die nach dem verpassten EM-Gold im Freien nun umso mehr den Titel in der Halle anpeilt. Ebenfalls Spitze ist Weitspringerin Malaika Mihambo (LG Kurpfalz), die anders als Schwanitz auch schon bei den Europameisterschaften in Berlin Gold gewinnen konnte und nun in Glasgow das kontinentale Double perfekt machen will. Seit 1990 hatten bislang erst zwei Weitspringerinnen gleichzeitig den EM-Titel im Freien und in der Halle inne: Heike Drechsler und zuletzt die Serbin Ivana Spanovic. Beim Istaf Indoor war Malaika Mihambo Spanovic klar überlegen. Mihambo sprang mit 6,99 Metern eine neue persönliche Bestleistung, lediglich ein Zentimeter fehlte zur magischen Sieben-Meter-Marke. Angesichts von weiteren guten Versuchen auf 6,98 Meter und 6,94 Meter war es auch in der Breite der bislang beste Wettkampf ihrer Karriere. „Ich bin deshalb nicht traurig, dass dieser eine Zentimeter gefehlt hat", sagt sie. „Immerhin weiß ich jetzt, dass jede weitere Verbesserung automatisch eine Sieben-Meter-Weite bedeutet." Angesichts ihrer starken Verfassung könnte das durchaus schon in Leipzig der Fall sein.
Beim Istaf Indoor bewies die 25-Jährige wieder einmal Nervenstärke: Nach zwei ungültigen Versuchen zum Auftakt ging sie nicht etwa auf Sicherheit, sondern setzte in Runde drei stattdessen mit vollem Risiko den neuen Meetingrekord von 6,99 Meter in den Sand.
Bereits bei der EM 2018 hatte sie nach den ersten beiden Sprüngen noch keine Leistung zu stehen gehabt – nur um anschließend im dritten Versuch davon unbeeindruckt die spätere Siegweite zu erzielen. „Ich war eigentlich immer schon mental sehr stark und fokussiert. Schon in der Schule hatte ich mit Klausuren nie ein Problem", erklärt sie. „Ich spüre vor einem Sprung ganz genau, in welchem mentalen Modus ich mich befinde – ob ich womöglich sogar zu entspannt bin. Ich kann mich da selbst gut einschätzen und deshalb auch die Leistung des folgenden Sprungs vernünftig beurteilen. Wenn ich vorher merke, dass ich nicht hundertprozentig bereit bin, lasse ich mich von einem schwächeren Sprung nicht herunterziehen, sondern greife einfach im nächsten Durchgang neu an."
Augenmerk auf Klosterhalfen
Mit Spannung erwartet wird zudem der Auftritt von Läuferin Konstanze Klosterhalfen (TSV Bayer 04 Leverkusen), die in den vergangenen Jahren eigentlich immer für einen Höhepunkt bei den Hallenmeisterschaften gut war. Die 21-Jährige beschreitet in dieser Saison ganz neue Wege. Im Herbst hatte sich Klosterhalfen von ihrem langjährigen Trainer Sebastian Weiß getrennt und ist stattdessen in die USA gewechselt, zum Nike Oregon Project in Portland. Sie nutzt am Firmensitz ihres Ausrüsters die Voraussetzungen und Möglichkeiten, die das Unternehmen ausschließlich absoluten WeltklasseAthleten bietet. Schon jetzt scheint das Training dort erste Früchte zu tragen: Bei der World Indoor Tour in Boston (USA), einem renommierten und stark besetzten Meeting zum Saisonauftakt, lief die Deutsche über 5.000 Meter der amerikanischen Konkurrenz deutlich davon. Auch die Olympia-Dritte über 1.500 Meter, Jenny Simpson (USA), musste sich geschlagen geben. Dabei schienen deutsche Läuferinnen noch bis vor ein paar Jahren international absolut chancenlos. Das ist in der Leichtathletik inzwischen aber ebenso überholt wie das Gerede vom vermeintlich schwachen Geschlecht.