Infektionspräventions- und Surveillance-System: Dafür steht die Abkürzung IPSS. Ein Computerprogramm, das aus einer Softwareschmiede aus dem Saarland stammt und dafür sorgen soll, dass in Zukunft die Zahl der Infektionen in Krankenhäusern sinkt. Die Ziele sind ambitioniert.
Multiresistente Erreger – in vielen Kliniken sind diese Bakterien, die sich mit Antibiotika nicht mehr behandeln lassen, eine große Gefahr für Patienten. Schuld daran ist der weltweit oft unkritische Antibiotikaeinsatz beim Menschen, ebenso wie der unkontrollierte Einsatz in der Tiermast. Von den zehn größten Gefahren für die globale Gesundheit listet die Weltgesundheitsorganisation WHO unter Punkt fünf multiresistente Keime auf. Die WHO geht davon aus, dass Antibiotika, Virostatika und Malariamittel bald nicht mehr wirken könnten. Schon 2017 waren viele Präparate bei 82 Prozent der Menschen wirkungslos. Die zunehmende Resistenz könnte dafür sorgen, dass Infektionskrankheiten wie Lungenentzündung oder Tuberkulose nicht mehr behandelbar sind.
Da kann die Betreuung im Krankenhaus noch so gut sein, Operationen noch so perfekt durchgeführt werden. Möglich ist es dennoch, dass der Patient danach an einem Krankenhauskeim erkrankt. Wissenschaftler und IT-Unternehmen wie die saarländische Firma Meta IT versuchen, Antworten auf die Frage zu finden, inwiefern die Digitalisierung in der Medizin neue Möglichkeiten bietet, um im Sinne eines proaktiven Risikomanagements das Übertragungsrisiko im Krankenhaus zu reduzieren. Eine erste Lösung könnte die Software IPSS sein, die die Saarländer entwickelt haben.
„Im Prinzip ist das System aus der Idee heraus entstanden, dass wir wissen wollten, wie viele Patienten, die im Krankenhaus liegen, heute Fieber haben", sagt der Experte für klinische Prozesse, Christian Dahlmann, der bei Cerner arbeitet, dem Unternehmen, das IPSS vertreibt. „Durch Fieber haben wir unter Umständen einen Hinweis auf eine mögliche Infektion, aber bisher standen noch keine Systeme zur Verfügung, die das gezielt beobachten konnten. Mit unserem System identifizieren wir Patienten, die ein mögliches Risiko haben, und können diese Fälle gezielt den zuständigen Mitarbeitern melden", sagt Dahlmann. „Man erkennt dann, dass ein Patient Fieber hat und beispielsweise seit zehn Tagen dasselbe Antibiotikum erhält."
Patienten mit Risiko schnell identifizieren und gezielt behandeln
Risikopatienten sind vor allem jene, die etwas im Körper stecken haben, etwa um Infusionen oder Injektionen zu bekommen. Ein klassisches Beispiel dafür ist ein Katheter. Auch diese Patienten kann IPSS erkennen, denn durch sogenannte Devices, also die künstlichen Eintrittspforten in den Körper, besteht die Gefahr einer Infektion mit Keimen. „Je länger so eine Pforte offen ist, umso höher ist das Infektionsrisiko", sagt Dahlmann. „Durch die Analyse dieser Informationen kann man erkennen, wo sich ein Problem anbahnt und wo bereits eines besteht." Durch diese intensivere Beobachtung der Patienten lassen sich Probleme durch Keime früher behandeln und die Patienten im Idealfall retten. Christian Dahlmann: „Wenn Sie beim Verdacht auf eine Blutvergiftung eine Untersuchung auf Keime im Blut mittels einer sogenannten Blutkultur durchführen, wird diese gerade am Wochenende vielleicht mit einem Taxi zum Labor gebracht. Ob und wann diese im Labor angenommen wurde, ist erst bekannt, wenn ein Ergebnis vorliegt. Wenn kein Ergebnis übermittelt wird, dann stellt man fest, dass beim Probentransport ein Problem aufgetreten ist. Dadurch geht wertvolle Zeit verloren."
IPSS registriert, wenn die Probe im Labor eingetroffen ist. Ist das nicht innerhalb einer definierten Zeitspanne passiert, gibt das System einen Hinweis. Sobald das Ergebnis im Labor vorliegt, wird die Information elektronisch an IPSS übertragen. Es ist kein Fax mehr erforderlich, das unter Umständen einen falschen Empfänger erreicht oder länger unbeachtet in einem Postfach liegen bleibt. Bei kritischen Befunden werdendie zuständigen Mitarbeiter in der Klinik direkt elektronisch informiert.
Ein weiterer Aspekt, der IPSS nützlich für Kliniken macht, ist das Thema Surveillance, also die Überwachung. „Es geht darum, Daten anonym zu erheben, um sich mit anderen Kliniken oder Abteilungen zu vergleichen, Patientendaten werden nicht abgegriffen", versichert Dahlmann. Dazu sind im System digitale, intelligente Erfassungsbögen hinterlegt, die die Daten über Krankheiten und Keime direkt an das Robert-Koch-Institut übermittelt, das diese Daten auswertet. Dieser Prozess ist wichtig, um mithilfe der Ergebnisse zukünftig die Anzahl der Krankenhausinfektionen zu reduzieren und als Klinik zu erkennen, ob im Vergleich mit den anderen Teilnehmern durchschnittlich mehr oder weniger Infektionen auftreten. Aber gibt es bei allem Nutzen keine Probleme mit dem Schutz sensibler Patientendaten? „Diese Daten sind anonymisiert, es werden keine Informationen mit Patientenbezug übermittelt", sagt Christian Dahlmann. Schriftlich lägen diese Daten ohnehin bereits vor. Durch das neue Computerprogramm mache man sich lediglich die schnelle Datenverfügbarkeit zunutze. Durch die Nutzung in Echtzeit könne man einen wichtigen Zeitvorsprung gewinnen.
Effektivere Behandlung durch tagesaktuell aufbereitete Statistiken
Eine Klinikkette führt IPSS derzeit in allen ihren stationären Einrichtungen ein. Genaue Zahlen nennt Cerner zwar nicht, man hofft aber, dass die Digitalisierung in deutschen Kliniken bald voranschreitet und die Software in möglichst vielen Kliniken weltweit zum Einsatz kommt.
Zu Beginn einer Antibiotikatherapie, wenn Erreger und Resistenz noch nicht bekannt sind, kann das System bei der Auswahl des Antibiotikums aufgrund tagesaktueller Auswertungen der Resistenzsituation unterstützen und damit dafür Sorge tragen, dass der Patient eine entsprechend angepasste Medikation bekommt. Das kann die Gefahr reduzieren, dass sich neue multiresistente Keime bilden. „Die Behandlung wird effektiver und durch eine tagesaktuell aufbereitete Statistik sehen wir, ob sich die Resistenzlagen verschoben haben", sagt Dahlmann.
Ein großes Ziel von Meta IT und Cerner ist es, durch die Digitalisierung Risiken für Patienten zu reduzieren. „Unser Ziel ist eine intelligentere, präventiv orientierte Versorgung im Gesundheitswesen, die sowohl die Gesundheit einzelner als auch der Bevölkerung allgemein verbessert. Unser Leitgedanke ‚Smarter Care. Better Outcomes. Healthier You.‘ zeigt dabei den Weg auf, den wir mit unseren Kunden gehen wollen", sagt Dahlmann. In Deutschland erkranken derzeit noch zwischen 400.000 und 600.000 Patienten jährlich an einer Infektion, die sie im Krankenhaus erworben haben. Bis zu 15.000 sterben daran. Experten gehen davon aus, dass sich ein Drittel der Todesfälle verhindern lässt.
Neben dem gesundheitlichen Aspekt existiert indes noch ein wirtschaftlicher. Viele Krankenhäuser sind in einer angespannten wirtschaftlichen Lage. Muss ein Patient in einem Zweibettzimmer wegen eines multiresistenten Erregers in Quarantäne, entgehen dem Krankenhaus durch die fehlende Belegung Einnahmen. Weitere Kosten entstehen bei einer Infektion im Krankenhaus etwa, weil der Patient teure Antibiotika bekommt und länger im Krankenhaus bleiben muss. „Es gibt Untersuchungen, die – abhängig von der Art der Infektion – von zusätzlichen Kosten in einer Größenordnung von 5.000 bis 10.000 Euro ausgehen, die für ein Krankenhaus in solch einem Behandlungsfall entstehen", sagt Christian Dahlmann. IPSS könnte helfen, solche Ausgaben in Zukunft häufiger zu vermeiden.