Mithilfe des uralten Dampfantriebs sollen künftig Minisatelliten, sogenannte Cubesats, in Schwärmen durch das All fliegen und dabei weitgehend autonom und kostengünstig Aufgaben erledigen. Bislang konnten diese nur von großen Raumflugkörpern bewältigt werden.
In der Weltraumfahrt grassiert seit einigen Jahren ein regelrechtes Fieber namens Cubesat. Darunter wird eine neue, von den Maßen her immer kleiner werdende Generation von Mikro-, Nano- oder Picosatelliten verstanden. Manche dieser Cubes, zu Deutsch Würfel, sind inzwischen nicht einmal mehr so groß wie eine normale Milchpackung und könnten in naher Zukunft sowohl die akademische als auch die kommerzielle Raumfahrt revolutionieren. Lange Zeit wurden tonnenschwere Ungetüme in die Erdumlaufbahn gebracht, sie zu konstruieren dauerte in der Regel viele Jahre und war ungemein kostenintensiv. Doch inzwischen haben sie Konkurrenz von Winzlingen erhalten, die nicht nur günstig in der Herstellung sind und daher nicht mehr nur von subventionierten staatlichen Raumfahrtorganisationen, sondern auch von innovativen privatwirtschaftlichen Start-ups entwickelt werden können, und die zudem im Vergleich zu ihren riesigen Pendants mit einem wesentlich geringeren Kostenaufwand in den Erdorbit verfrachtet werden können. Vollgestopft mit modernster Technik können diese neuen Weltraumwürfel bereits vieles von dem leisten, was noch vor wenigen Jahrzehnten nur die ganz großen Satelliten schaffen konnten. Neben der Astronomie werden Cubesats heute auch schon für Navigation, Nachrichtenaufklärung, Wetterbeobachtung, Telekommunikation oder Erdbeobachtung eingesetzt.
Ein früher Protagonist war das 2009 von ehemaligen Studenten der kalifornischen Stanford University gegründete Unternehmen Skybox, dessen kleine Erdbeobachtungssatelliten der Sky-Sat-Reihe ab 2013 dank hochauflösender Kameras so herausragende Bilder lieferten, dass Google die Firma Skybox im Jahr 2014 für 500 Millionen Dollar übernahm und in Terra Bella umbenannte. Drei Jahre später verkaufte der Internet-Gigant das Unternehmen an Planet Labs in San Francisco, bezieht aber weiterhin seine Bilder von dort. Planet Labs lässt seine Cubesats regelmäßig von der Internationalen Raumstation ISS aussetzen, inzwischen ist deren Zahl auf rund 200 angewachsen. Hierzulande mischt beispielsweise auch die Universität Würzburg unter Leitung des Informatik-Professors Klaus Schilling dank finanzieller Unterstützung durch den Freistaat Bayern kräftig mit und hat seit 2005 bislang vier Kleinst-Experimentalsatelliten ins All transportieren lassen. „Uwe 4" wurde Ende 2018 an Bord einer russischen Rakete ins All befördert, der Picosatellit mit einem Gewicht von nicht einmal einem Kilogramm erhält seinen Schub von einem elektrischen Triebwerk. Auch Milliardär Elon Musk hat bereits seine Absicht bekundet, mit seinem Unternehmen SpaceX zehntausende Minisatelliten in die Erdumlaufbahn entsenden zu wollen, um damit ein weltumspannendes Internet-Satellitennetz namens Starlink aufzubauen.
So groß wie eine Milchpackung
Der Antrieb war bei den Cubesats geraume Zeit das Hauptproblem. Denn die Kleinsatelliten haben gegenüber den Riesenflugkörpern den Nachteil, dass bei ihnen wenig Platz für ein vernünftiges Antriebssystem vorhanden ist. Bei der Suche nach Lösungsmöglichkeiten sind amerikanische Wissenschaftler auf eine Uralt-Technik verfallen, nämlich den Dampfantrieb. Einer breiten Öffentlichkeit wurde diese verblüffende Innovation erstmals auf einer „Conference on Small Satellites" vorgestellt, zu dem sich internationale Experten im Sommer 2017 an der Utah State University in Logan eingefunden hatten. Forscher stellten hier den sogenannten Femta Thruster vor, ein Schubaggregat auf Basis von Wasserdampf.
Die Wirkungsweise des Systems schien verblüffend einfach zu sein: Röhrchen von gerade mal zehn Nanometern Durchmesser sollen Wasser mithilfe des Kapillareffekts (durch Oberflächenspannung ausgelöstes Aufsteigen des Wassers in engen Röhrenhohlräumen) bis zu einer winzigen Heizeinheit an der Auslassöffnung transportieren. Dort wird das Wasser erhitzt und verdampft, was schließlich für den erwünschten Schub sorgen soll. Erste Versuche mit durch vier Prototypen des Schubaggregats ausstaffierten Cubesats mit einer Seitenlänge von zehn Zentimetern und einem Gewicht von
2,8 Kilogramm in einer Hochvakuumkammer an der Purdue University in West Lafayette im US-Bundesstaat Indiana waren mehr als zufriedenstellend verlaufen. Mit etwa einem Viertel Watt war die Leistung des Aggregats zwar nicht sonderlich hoch, aber in der Schwerelosigkeit könnte sich der Würfel damit laut den Wissenschaftlern rund um Alina Alexeenko in weniger als einer Minute um 180 Grad drehen lassen. Ein mit zwölf solcher Düsen ausstaffierter Minisatellit könne problemlos seine Lage im Orbit stabilisieren.
Auch die Nasa hat den Dampfantrieb im Rahmen ihres „Small Spacecraft Technology Program" (SSTP) offenbar als interessante Lösung für Minisatelliten erkannt und deshalb diesen Sommer erste mit Dampfsprühern ausgestattete Cubesats im Weltraum ausgesetzt. Deren Schubleistung betrug weniger als ein Watt, aber auch die Nasa geht davon aus, dass sich die schuhschachtelgroßen Satelliten mit zwölf Düsen problemlos durchs All bewegen können. Wichtig war der Nasa bei ihrem Experiment auch herauszufinden, ob und inwieweit sich die Cubesats auch, weitgehend autonom verhalten konnten. Bei einem Versuch konnten zwei Würfel, die in einer Entfernung von neun Kilometern positioniert waren, nach Aufbau einer Funkverbindung miteinander vollautomatisch ein Annäherungsmanöver in die Wege leiten. In Zukunft könnten sich ganze Schwärme von Cubesats vernetzen und dadurch erfolgreich Missionen mehr oder weniger autonom erfüllen. Was bei künftigen erdfernen Weltraum-Expeditionen von enormem Vorteil wäre.
Raumschiff mit Wasserdampf-Antrieb in Planung
„Sinnvoll ist die Autonomie von Raumfahrzeugen unter anderem, weil Funkbefehle von der irdischen Bodenkontrolle zeitverzögert ankommen", schreibt die „Süddeutsche Zeitung" in einem jüngst erschienenen Beitrag über das neue Nasa-SSTP-Programm. „Bis zum Mars brauchen Signale je nach Abstand zur Erde zwischen zweieinhalb und 22 Minuten. Noch viel länger brauchen Befehle, die man zu Sonden im äußeren Sonnensystem schickt. Bezieht man die rasanten Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz ein, ist denkbar, dass künftig drohnenartige Raumfahrzeuge im All ausschwärmen, ausgestattet nur mit der Anweisung, dies und jenes zu erkunden. Den Rest erledigt der Schwarm."
Dass die Entsendung von Cubesats in ferne Welten nicht immer reibungslos verlaufen wird, hat die Nasa auch schon erfahren. Denn der Kontakt zu den beiden schuhkartongroßen Würfeln „Wall-E" und „Eve", die im Mai 2018 neben dem Mars-Lander „Insight" an Bord einer Trägerrakete gen Roter Planet gestartet waren, war im Februar 2019 verloren gegangen, nachdem die beiden Minisonden am Mars vorbeigeflogen waren. Spannend könnte auch das Projekt eines jungen US-Start-ups namens Momentus werden, ein ganzes Raumschiff mit Wasserdampf als Treibstoff zu konstruieren. Noch für dieses Jahr hat Momentus erste Tests angekündigt und dafür auch schon entsprechende Verträge mit dem kommerziellen europäischen Raketenstartanbieter ECM Space abgeschlossen.