Die lange Dürre setzte den Wäldern schwer zu. Sie sind anfälliger für Schädlinge und Stürme. Was also tun? Im sauerländischen Arnsberg sucht ein Forstwissenschaftler nach dem perfekten Wald, der dem Klimawandel in Zukunft trotzt.
Es sieht aus, als hätte sich auf dieser Anhöhe ein Riese den halben Wald einverleibt. Hier oben im sauerländischen Arnsberg, wo noch vor wenigen Wochen Fichten dicht an dicht zusammenstanden, nichts als Leere. Zuständig für diese Löcher im Wald ist kein Riese, sondern der gemeine Borkenkäfer. Fichten sind seine Lieblingsobjekte. Millionenfach hat der Winzling die warmen Winter im Boden überlebt und machte sich nun weit sichtbar über die von der Dürre geschwächten Fichten her. Die Nadelbäume hatten ihm nichts mehr entgegenzusetzen. Weil ihnen über Monate das Wasser fehlte und ihre Wurzeln zu flach sind, konnten sie nichts gegen die Invasion der Käfer ausrichten. Normalerweise wehren Fichten die Eindringlinge mit Harz ab, aber diesen Klebstoff können sie nur mit ausreichend Wasser bilden. Nach der schweren Dürre im vergangenen Jahr hat der Borkenkäfer leichtes Spiel überall da, wo besonders viele Fichten stehen. Ein paar Wochen nach Befall ist der Baum tot und muss entfernt werden. Der deutsche Nadelwald, ob im Harz, im Sauerland, in Thüringen oder im Saarland: Er steckt in der Krise. Und beim Laubwald sieht es auch nicht besser aus.
Und jetzt? „Lernen und verstehen", sagt Dr. Bertram Leder, Leiter des Lehr- und Versuchsforstamtes Arnsberger Wald. Er steht auf einer Anhöhe, vor ihm die abgeholzte Leere, und zeigt auf eine kleine Parzelle mit Neupflanzungen. „Hier testen wir, ob die Edelkastanie geeignet ist, um mit ihr in Zukunft einen naturnahen Mischwald anzulegen." Der Forstwissenschaftler ist Herr über 10.000 Hektar Wald, der dem Land NRW als Versuchslabor dient. Diese Einrichtung bietet eine der wenigen Forschungsflächen, auf denen neue Baumarten, heimische und fremdländische Baum-setzlinge auf Wachstumsbedingungen getestet werden. „Das Fichtensterben ist eine Katastrophe, aber es kann auch eine Chance sein", sagt er. Wir können jetzt die Weichen stellen, den Wald so zu gestalten, dass er dem Klimawandel besser standhält.
Auch der Forstwissenschaftler weiß nicht, wie sich das Klima in Zukunft entwickelt. Aber er weiß, dass die Klima-Modelle längere Hitzeperioden, mehr Wetterextreme und längere Dürren voraussagen. Und er sieht bei jedem Waldgang, was die vergangenen Dürre-Perioden und Extrem-Hitzewellen angerichtet haben. „Die Fichten-Monokulturen, die hier seit Generationen zur schnellen Holzgewinnung angepflanzt wurden, werden so nicht überleben können", ist er überzeugt. Sie sind für dieses Klima nicht gemacht. Und der Wald, der sich zwar an neue Bedingungen anpassen kann, der ist mit dieser rapiden Wetterveränderung überfordert. Nun ist es auch an ihm, dem Forstwissenschaftler, die richtige Strategie für einen klimaresistenten Wald zu finden. Und die heißt definitiv: weg von der Monokultur, hin zum naturnahen Mischwald.
Ein Forstwissenschaftler denkt natürlich anders als Waldbauern, die mit dem Holz arbeiten und schnell Geld verdienen möchten. Dr. Leder denkt in Dekaden, in vielen Baumringen, wenn man so will. Ob seine Versuche mit neuen Setzlingen etwas bringen, das weiß er erst Jahrzehnte später. „Der Wald ist ein träges Ökosystem", sagte jüngst ein Kollege von ihm in einem Interview. Veränderungen sieht man erst nach langer Zeit. Der 61-Jährige Forstexperte aus Arnsberg hat es also nicht leicht, Waldbauern davon zu überzeugen, altbewährte Pfade zu verlassen und jetzt etwas Neues zu wagen. „Jahrzehnte hieß es hier doch immer: Einmal Fichte geht noch."
Wald ist mit rapiden Wetterveränderungen überfordert
In NRW ist die Fichte mit 30 Prozent die wichtigste Baumart, obwohl sie dort nie heimisch war. Nicht nur im Sauerland etwa wurde sie dennoch seit dem Zweiten Weltkrieg massenhaft in reinen Monokulturen angebaut, weil man mit ihr schnell Geld verdienen kann. Sie wächst zügig und kann überall unkompliziert verarbeitet werden. Eine ganze Sägewerk-Industrie in der Umgebung ist auf die Verarbeitung dieses Holzes ausgerichtet. Würde man auf andere Bäume setzen, müsste sich auch diese Industrie umstellen und möglicherweise noch neue Maschinen kaufen. Kein Wunder also, dass der naturnahe Mischwald noch nicht so viele Fans unter den Waldbauern hat. Noch mühsamer wird die Überzeugungsarbeit für neue Anpflanzungen, wenn man bedenkt, dass ein Großteil des NRW-Waldes in Privatbesitz ist.
Anders als etwa im Saarland, wo 70 Prozent des Waldes in öffentlicher Verwaltung ist, hat NRW mit 63 Prozent ungewöhnlich viele private Waldbesitzer. Insgesamt 152.000 Waldeigentümer zählt man dort, die durchschnittlich gerade mal zwei Hektar Wald besitzen. Viele der Mini-Waldherren haben sich zwar zu sogenannten Forstbetriebsgemeinschaften zusammengeschlossen. Dennoch ist die Gemengelage unübersichtlich, und das ist für eine einheitliche Waldstrategie nicht gerade förderlich. Dabei stellt das Umweltministerium des Landes NRW in seinem aktuellen Waldbaukonzept fest: „Die Waldbewirtschaftung wird in Zukunft besonders für kleinere Forstbetriebe und Waldeigentümer komplexer und aufwendiger. Sie ist im Klimawandel mit größeren Unsicherheiten und Zukunftsrisiken verbunden als in der Vergangenheit."
Papier ist geduldig, die Dürre, der Borkenkäfer und andere Schädlinge aber schaffen Fakten. Schon jetzt merken viele Waldbesitzer in ganz Deutschland, dass sie ihr Fichtenholz nicht mehr loswerden. Der Preis ist im Keller. Dabei sind sie angehalten, die befallenen Stämme zu verarbeiten, um den Schädlingen im Totholz keine Brutfläche zu bieten. Doch bei der Masse an gefällten Baumstämmen fehlt es längst an Transportfahrzeugen, Sägemaschinen und Arbeitern sowie an finanziellen Mitteln. Auch öffentliche Zuschüsse können die Verluste der Waldbauern nicht auffangen. Im Saarland, wo der Wald hauptsächlich von Kommunen und Land verwaltet wird, ist es zwar einfacher, Aufforstungsstrategien flächendeckend umzusetzen. Die Kosten aber, die trägt entsprechend die Öffentlichkeit. So antwortet das saarländische Umweltministerium auf die Kostenfrage: „Es gibt schwerwiegende Einnahmeverluste durch drastisch gesunkene Holzpreise." Zwischen 1,5 und zwei Millionen Euro schlagen diese dort zu Buche, was den Haushalt entsprechend fordert. Das Saarland, dessen Baumbestand bislang zwar nicht ganz so schwer von der Dürre betroffen ist, muss ebenfalls umplanen. Neben den Fichten sind dort – und an vielen Orten in Deutschland – die eigentlich robusten Buchen im Dürrestress und sterben ab. Das bedeutet: massive Aufforstung mit hohen Kosten. „Die Waldverjüngung wird viel mehr kostspielige Pflanzung benötigen", so das saarländische Umweltministerium. Außerdem führten bewusste ökologische Maßnahmen wie die Einrichtungen von Schutzwäldern dazu, dass weitere Einnahmen aus der Holzverarbeitung zurückgehen.
Globaler denken als früher
Es ist also nicht leicht, den Wald auf die Zukunft vorzubereiten. Da sind sich Forstexperten weitestgehend einig. Welche Empfehlungen können sie guten Gewissens geben? Das treibt Bertram Leder um, die ganze Zeit. Auf diese Frage muss er eine Antwort finden. Denn der Wald ist wichtig, nicht nur für Grundbesitzer, auch als CO₂-Speicher, als Erholungsraum und als großes Ökosystem, an dem unzählige Tiere und Pflanzen hängen. Stirbt der Wald, hat der Mensch es nicht leicht. Als Forstwissenschaftler muss Leder das Große und Ganze sehen, mitunter heißt das auch: globaler denken als früher.
Der Experte besichtigt deshalb Wälder in ganz Europa, spricht mit Saatgutherstellern, schaut sich Keimlinge an. Und ja, der Klimawandel führt ihn zunehmend nach Südeuropa und nach Amerika. Dort gibt es Bäume, die besser mit Dürre zurechtkommen, die insgesamt widerstandsfähiger scheinen. Die Slawonische Stieleiche aus Kroatien etwa. Oder die Douglasie, dieser imposante Nadelbaum, der aus den USA stammt. Doch ein widerstandsfähiger Wald entsteht nicht, indem man einfach Bäume im Ausland einkauft und sie nach Arnsberg verpflanzt. Es gibt ökologische Vorgaben, regionale Konzepte und Strategien. „Unser Ziel ist es, den naturnahen Mischwald auf der Basis von heimischen Bäumen aufzubauen", sagt der Forstwissenschaftler. „Dazu können wir dann fremdländische Arten setzen, wenn es passt." Also im Prinzip: heimische Pflanzen first, fremdländische second. „Wichtig ist eine gute Durchmischung."
Wie so ein guter Mix genau aussehen wird, ist ein Feldversuch. Unweit der abgestorbenen und gefällten Fichten auf der Anhöhe im Arnsberger Wald, wo der fehlende Wald nun neue Ausblicke ins Tal ermöglicht, gibt es dazu mehrere Experimente. Zielgerichtet stapft der Forstwissenschaftler zu einer kleinen Stelle mit gemischtem Baumbestand, wo aus dem Waldboden wenige Zentimeter hohe Weißtannen herauswachsen. Kleine Tannen-Kinder, wenn man so will, gerade mal drei Jahre alt. Sie sind hier bewusst als vorgezüchtete Setzlinge in den Boden gepflanzt worden. An einer anderen Stelle hat er die gleichen Tannen gesät. Er hat also Samen auf den Boden gestreut. Jetzt beobachtet der Forstwissenschaftler, wie sich seine „Kinder" entwickeln. Was für eine Methode ist besser? Welche Lichtbedingungen benötigen sie? In welcher Baumgesellschaft wachsen sie am besten? Wie weit müssen sie auseinanderstehen? Wie lange braucht ein Samen, bis er ansetzt? Wie robust sind sie gegen Schädlinge?
Dass er die Weißtannen so beobachtet, ist kein Zufall. Sie besitzen ein tieferes Wurzelsystem als die Fichte, sind weniger anfällig für Trockenstress und halten Stürmen besser stand. Ein Baum also, der besser auf die neuen Klimabedingungen eingestellt und gleichzeitig für die Holzindustrie interessant ist. „Die Weißtanne hätte für die Holzverarbeitung gute Eigenschaften", sagt der Forstwissenschaftler. Ein Wald muss schließlich auch in Zukunft als Wirtschaftszweig funktionieren. Die Weißtanne könnte, so seine Hoffnung, später die labile Fichte ersetzen. Doch sie ist nur ein Puzzleteil im naturnahen Mischwald der Zukunft. Zwischen den Nadelbäumen, so der Plan des Försters, sollten möglichst viele verschiedene Laubbäume stehen. Dazu gehören Linden, Roteichen, Nussarten, Wildapfel, Elsbeere und vielleicht auch die gerade getestete Edelkastanie. Aber das ist noch nicht alles. Es existiert noch eine Baumart, die sich geradezu perfekt in diesen Zukunftswald einfügt. Ein Super-Nadelbaum sozusagen. Groß, ertragreich, widerstandsfähig, anspruchslos und standfest – aber mit fremdländischer Herkunft. Es ist die Douglasie, die eigentlich in Nordamerika heimisch ist.
Douglasien für den Zukunftswald?
Bertram Leder geht tiefer in den Wald. „Gleich sehen wir sie", sagt er. Und tatsächlich steht da plötzlich ein Nadelbaum, der so ganz anders aussieht als die heimischen. Mit 52 Metern Höhe ragt dieser Koloss weit in den Himmel, seine Rinde ist fest und extrem zerfurcht, sein Stamm ist dick und stabil. Ein bisschen sieht die Douglasie aus wie ein kleiner Mammutbaum aus einem kalifornischen Nationalpark. Um an die Samen der Zapfen zu kommen, müssen extra Baumkletterer engagiert werden. Doch der Ertrag lohnt sich. Für ein Kilo Douglasien-Samen erhält man zirka 1.000 Euro, für Fichtensamen gerade mal 300 Euro. Ebenfalls ein interessanter Wirtschaftszweig. „Diese Douglasie ist eine der größten in NRW", sagt der Forstwissenschaftler. Und sie hat trotz ihrer Höhe die schlimmsten Stürme überlebt, die das Sauerland in den vergangenen Jahren schwer getroffen haben. „Der Baum hat Potenzial", ist sich Leder sicher. Ob er die vielen Waldbauern im Sauerland überzeugen kann, endlich auf neue Waldbaukonzepte zu setzen, das wird sich zeigen. Eines aber kann er jetzt schon sagen: „Noch nie haben wir so eine hohe Nachfrage an Fortbildungen zum klimaresistenten Wald gehabt wie zurzeit."