Die deutschen Volleyballer kämpfen beim Olympia-Qualifikationsturnier vom 5. bis 10. Januar in Berlin um ihre letzte Chance auf eine Teilnahme in Tokio 2020. Dabei setzen die Gastgeber auf den Heimvorteil und auf einen überraschenden Rückkehrer.
Immerhin, auf die Polen kann der Gastgeber dieses Mal nicht treffen. Das ist vor dem Start der Olympia-Qualifikation vom 5. bis zum 10. Januar in Berlin schon einmal die erste gute Nachricht für Deutschlands Volleyballer. Mit den Mannschaften aus dem östlichen Nachbarland haben die DVV-Teams in der jüngeren Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht. In diesem Jahr scheiterten im September zunächst die deutschen Frauen bei ihrer Europameisterschaft im Viertelfinale gegen die Polinnen – drei Wochen später schieden die Männer ihrerseits gegen den gleichen Gegner aus. Und schon 2016, im Vorfeld der vergangenen Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, war für die Deutschen bei der damaligen Olympia-Qualifikation gegen Polen Endstation: Vor vier Jahren unterlag man ebenfalls in Berlin trotz einer 2:1-Satzführung und eines eigenen Matchballs im entscheidenden Spiel noch mit 2:3. Polen flog nach Brasilien, die deutsche Mannschaft dagegen musste die Spiele vorm Fernseher verfolgen.
Das soll beim diesjährigen Qualifikationsturnier nicht noch einmal passieren. Polen ist wie gesagt nicht dabei – das Team des früheren Bundestrainers Vital Heynen hat seinen Startplatz für Tokio 2020 bereits sicher. Stattdessen heißen die Gegner in der Max-Schmeling-Halle zunächst Tschechien, Belgien und Slowenien. Bei der Auslosung der Gruppen hatten die Deutschen Glück, dass sie die vermeintlich leichtere Hälfte abbekamen – der härteste Gegner in der Vorrunde dürfte nun Vize-Europameister Slowenien sein. In der anderen Gruppe kämpfen dagegen der amtierende Europameister Serbien, der EM-Vierte Frankreich sowie Bulgarien und die Niederlande um das Weiterkommen. Jeweils die beiden besten Mannschaften jeder Gruppe erreichen das Halbfinale, doch am Ende darf nur der Turniersieger nach Tokio.
Das Motto der Veranstaltung lautet folgerichtig: „Hero or Zero" – Held oder Versager. Es geht um die Ehre und darum zu beweisen, dass Deutschland immer noch zum Kreis der weltbesten Volleyballnationen gehört. Nach Platz fünf bei den olympischen Sommerspielen 2012, der Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft 2014 sowie dem Vize-Europameistertitel 2017 zeigte die Leistungskurve zuletzt allerdings wieder nach unten.
2018 hatte die Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbands (DVV) die WM verpasst und auch bei der diesjährigen EM fiel die Bilanz durchwachsen aus. In der Vorrunde gewann die Mannschaft von Bundestrainer Andrea Giani in fünf Spielen lediglich gegen die beiden Außenseiter Österreich und Slowakei. Es folgte ein souveränes 3:1 im Achtelfinale gegen die Niederländer. Mittelblocker Anton Brehme fasste danach das Auftreten seiner Mannschaft in der „Leipziger Volkszeitung" wie folgt zusammen: „In der Vorrunde haben wir nicht richtig als Mannschaft funktioniert. Wir haben nicht emotional gespielt, und das, was wir im Training und in den Tests gegen Frankreich gezeigt haben, nicht auf die Platte bekommen." Über das Achtelfinale meinte er dann aber: „Die ersten beiden Sätze waren echt krass. Aufschlag, Block und Abwehr haben richtig gut funktioniert."
„Ein gutes Stück weit weg von der besten Mannschaft der Welt"
Der Sieg gegen die Niederlande weckte auf einmal wieder Medaillenhoffnungen, die jedoch durch das glatte 0:3 im Viertelfinale gegen Polen jäh zerplatzten. In diesem Spiel bekamen die Deutschen klar die Grenzen aufgezeigt. Kapitän Lukas Kampa – der in Polen bei Jastrzebski Wegiel spielt – konstatierte: „Wir sind einfach ein gutes Stück weit weg von der besten Mannschaft der Welt." Aus Kampas Sicht waren vor allem zwei Dinge dafür verantwortlich, dass es am Ende zu keinem besseren Ergebnis reichte. Zum einen habe sich die verpasste Weltmeisterschaft 2018 negativ ausgewirkt, weil das deutsche Team so fast zwei Jahre kein großes Turnier spielte, im Gegensatz zu den anderen Top-Nationen. „Das sind dann schon Unterschiede, die in solchen Spielen wie gegen Polen einen Ausschlag geben können. Es ist mit Sicherheit ein Problem, dass wir die WM nicht spielen konnten, das hat uns in der Entwicklung einen deutlichen Schritt gekostet", sagte Kampa dem „Tagesspiegel". Hinzu kam die aufgeheizte Atmosphäre mit Tausenden polnischen Fans in der Halle, die ihre Mannschaft lautstark anfeuerten. „Da wurde es schon schwieriger, auf dem Feld zu kommunizieren. Wir mussten uns mehr anstrengen, um alle Informationen an den richtigen Mann zu bekommen", so Kampa. Vor allem die weniger erfahrenen Spieler waren von der Kulisse merklich beeindruckt. „Das war für uns alle ein wertvolles Erlebnis und für die jungen Spieler noch mal ganz wichtig auch im Hinblick auf die Olympia-Qualifikation", sagte Kampa im „Tagesspiegel".
Die Kulisse wird dann kaum kleiner sein, doch dieses Mal werden die meisten der Zuschauer Deutschland die Daumen drücken. „Unsere Männer-Nationalmannschaft erhält so die Chance, mit dem Rückenwind der heimischen Fans in ein richtungsweisendes Turnier zu gehen", sagte DVV-Präsident René Hecht, nachdem man im August vom europäischen Verband CEV den Zuschlag für die Ausrichtung bekommen hatte. Zweimal klappte es auf diese Weise schon mit der Qualifikation zum größten Sportevent der Welt: 2008 hatte sich Deutschland beim Heimturnier in Düsseldorf durchgesetzt und damit erstmals seit den Spielen 1972 in München wieder das Olympiaticket gelöst. 2012 fand das entscheidende Turnier dann zum ersten Mal in Berlin statt. Die deutschen Männer gewannen damals alle drei Spiele gegen Indien, den damaligen Vizeweltmeister Kuba und Tschechien. Lediglich 2016 war der Heimvorteil ausgeblieben.
Die Gastgeber setzen in Berlin auf die besondere Magie im „Volleyballtempel" Max-Schmeling-Halle. Selbst CEV-Präsident Aleksandar Boricic hatte in diesem Jahr anlässlich des Champions-League-Finales in der Hauptstadt lobend angemerkt: „Berlin ist eine der größten Städte Europas und hat in der Vergangenheit schon des Öfteren bewiesen, dass es Volleyball auf besondere Weise zelebriert." Schon 2015 hatte in der Max-Schmeling-Halle das Final Four der Champions League stattgefunden, außerdem die Finalrunde der Frauen-EM 2013, die schon erwähnten Olympia-Qualifikationen 2012 und 2016 sowie die stets stimmungsvollen Heimspiele der Berlin Recycling Volleys. Deren Präsident Kaweh Niroomand meinte im Oktober gegenüber der „Berliner Morgenpost": „Volleyball ist vor allem auch wegen dem, was wir in Berlin gemacht haben, in den vergangenen Jahren so populär geworden."
Allein auf den Heimvorteil wollen sich die Deutschen allerdings nicht verlassen. So gab es bereits bei der Nominierung des vorläufigen Aufgebotes eine erste Überraschung, für das Bundestrainer Andrea Giani Rückkehrer Markus Steuerwald reaktivierte. Der Libero von Pokalsieger VfB Friedrichshafen hatte im Mai 2017 sein letztes Länderspiel bestritten und gehörte seitdem nicht mehr zum DVV-Kader. Giani begründete seine Entscheidung vor allem mit der großen Routine des 30-Jährigen: „Markus hat bereits drei Olympia-Qualifikationen gespielt und kennt diese besondere Drucksituation. Diese zusätzliche Erfahrung kann uns als Mannschaft weiterhelfen", sagte er. Ähnlich äußerte sich Sportdirektor Christian Dünnes: „Auf der Libero-Position hat uns zuletzt die Quantität gefehlt, daher haben wir uns Gedanken gemacht, wen wir als Alternative mit an Bord holen könnten. Die große Erfahrung, die Markus mitbringt, ist sehr wichtig. Daher wollten wir nicht darauf verzichten, als er sich bereit erklärt hat, dass er in die Nationalmannschaft zurückkehren würde." Steuerwald könnte am Ende zum X-Faktor für die Olympia-Qualifikation werden. Zwar droht in Tokio anschließend das nächste Duell mit Angstgegner Polen. Aber die Hauptsache wäre doch, dass man überhaupt dabei ist.