Klimaschutz gern, aber kein Windrad vor dem Fenster. So kann die deutsche Energiewende nicht gelingen, mahnt der Bundesverband Windenergie. Die 1.000-Meter-Abstandsregel verschärfe das Flächenproblem – Windradgegnern geht sie noch nicht weit genug.
Ohne Windkraft ist die Energiewende und damit das Klimapaket nicht zu schaffen." In Berlin ist Hermann Albers schon berühmt für diesen Satz und dafür, damit ein Menetekel an die Wand zu malen, das niemand so recht sehen möchte. Kein Wunder, denn der Mann mit dem markanten Clark-Gable-Bärtchen ist Cheflobbyist von weit über 30.000 Windrädern in Deutschland, die 2019 eine Leistung von 124 Milliarden Kilowattstunden Strom erbrachten. Als Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie ist er das Sprachrohr einer Branche, die im vergangenen Jahr nicht viel zu tun hatte und um Arbeitsplätze bangt. Denn der Zubau an Windkraftanlagen in Deutschland stockt, 2019 kamen laut Internationalem Wirtschaftsforum Regenerativer Energien (IWR) 438 neue Windräder oder knapp zwei Terawatt Leistung hinzu – zu Lande wie zu Wasser. 2018 waren es noch 743 Windräder, ein Jahr zuvor 1.792.
Dass ohne Wind die CO₂-neutrale Zukunft der deutschen Energieversorgung nicht funktionieren wird, wisse die Bundesregierung. Doch was Albers ärgert: Sie handelt nicht danach. Ganz im Gegenteil. „Wir brauchen pro Jahr einen Zubau von 4.500 Megawatt an Windkraftanlagen. Doch im vergangenen Jahr haben wir nicht mal 1.000 geschafft. Wie wollen Sie da eine Energiewende hinbekommen ?" Die Gründe sind vielfältig: Klagen, lange Genehmigungsverfahren, immer neue Auflagen, mangelnde Flächen, Investitionsunsicherheit. Laut dem Bundesverband werden derzeit Anlagen mit einer Gesamtleistung von 11.000 Megawatt durch zu lange Genehmigungsverfahren verhindert, 4.800 Megawatt durch die deutsche Flugsicherung unterbunden, die eine Störung ihrer Funkfeueranlagen befürchtet, und 1.000 Megawatt durch Klageverfahren von Bürgerinitiativen oder Naturschutzverbänden.
Die Ziele des Klimapakets, die Emissionen im Energiesektor auf 175 Millionen Tonnen CO₂ zu senken, könne sich die Regierung gleich an die Hutkrempe stecken, ereifert sich Hermann Albers im Forum-Interview. „Was nützen denn eine Million E-Autos, wenn die alle mit Atomstrom aus Polen, Tschechien oder Frankreich fahren? Das ist doch alles nicht durchdacht."
Die langen Genehmigungs- und Widerspruchsverfahren schrecken derzeit Investoren ab. Die 1.000-Meter-Regel, wonach Windräder in einem Schutzradius von einem Kilometer rund um Siedlungen von mindestens fünf Wohnhäusern nicht aufgestellt werden dürfen, verschärft an vielen Orten in Deutschland das ohnehin komplexe Flächenproblem: Wo können die Mühlen überhaupt noch an Land aufgestellt werden?
Am liebsten gar nicht, folgt man der Argumentation von lokalen, regionalen Initiativen und Verbänden wie „Vernunftkraft" und „Gegenwind". Diese begrüßen die 1.000-Meter-Abstandsregel der Bundesregierung. Die Erhöhung der Mindestabstände von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung sei angesichts der immer höheren Anlagen überfällig und dringend geboten, heißt es beispielsweise in einer Stellungnahme von „Vernunftkraft". „Es geht darum, Gesundheit und Lebensqualität der vom Windkraftausbau betroffenen Menschen zu schützen. Wirksamer Gesundheitsschutz würde deutlich größere Abstände erfordern", dies sei jedoch ein Schritt in die richtige Richtung. „Sofern diese Maßnahme den Windkraftausbau verlangsamt, mag dies für die Branche und ihre Fürsprecher alarmierend sein. Für die Lebensqualität, für die Vitalität des Wirtschaftsstandorts, die Versorgungssicherheit und vor allem für die Natur in Deutschland wäre dies eine sehr gute Nachricht." Denn dass Windkraft zukunftsträchtig sei und das Klima schützt, gar wirtschaftlich sinnvoll sei, lassen die Gegner als Argumente nicht gelten.
Die Akzeptanzprobleme hätte man laut Bundesverband längst im Griff haben können. „Wir sind doch bereit, die Kommunen, aber auch die Bürger direkt an den Erträgen der Windräder zu beteiligen", so Albers. Also ein klares Ja zum SPD-Vorschlag für ein „Windrad-Bürgergeld". Doch nicht nur Kommunal-, auch Landes- und Bundespolitiker lehnen dies ab. Sie befürchten, Gegner würden dies als „Schweigegeld" auslegen, andere könnten das gleiche für Strom- und Eisenbahntrassen oder Autobahnen fordern. Doch das ficht Albers nicht an. „Unser zentrales Element ist: Zwei Prozent der Windenergieerträge werden an die Kommunen abgeführt. Damit können dann soziale Projekte, der Schul- oder Kitaausbau vor Ort forciert werden."
„Man muss auch mal Gegenwind aushalten"
Im Übrigen sollen die Bürger auch endlich in den Genuss des preiswerter hergestellten Windstroms kommen, fordert der Verband. Der Preis des grün hergestellten Stroms, derzeit günstiger an den Börsen als der konventionelle, solle also endlich an den Verbraucher weitergereicht werden. „Wenn Ökostrom viel teurer ist als der konventionelle, dann ist das für die Akzeptanz nicht gut", so Albers.
Das kann der Geschäftsführer der Stiftung Offshore-Windenergie, Andreas Wagner, nur unterstreichen. Denn nicht nur an Land ist die Windenergie in den vergangenen zwei Jahren nicht mehr so recht vom Fleck gekommen, sondern auch auf dem Meer, was für Wagner überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist. „Wenn die Windenergie an Land auf so viel Widerstand der Bürger stößt, wäre es doch nur logisch, würde man dann verstärkt auf See Windkraftanlagen installieren". Doch auch hier Flaute beim Bau neuer Anlagen.
Dabei braucht Deutschland in zehn Jahren beinahe ein Drittel mehr Energie aus der Steckdose als heute: In seiner jüngsten Studie hat das Energiewirtschaftliche Institut Köln errechnet, dass wir dann 750 Terawatt verbrauchen. Die Bundesregierung geht dagegen von einer umgekehrten Entwicklung aus, der Stromverbrauch werde von derzeit 610 auf 580 Terawatt sinken. „Das ist in Anbetracht von E-Mobilität, einer ökologischeren Stahlproduktion und immer größeren Servern für Cloud-Computing absolut illusorisch", hält Stefan Thimm vom Verband der Windparkbetreiber in Deutschland dagegen. Und gerade „auf dem Meer kann Deutschland mehr. Unser Ausbau der Windenergie auf dem Meer ist weiterhin sehr nationalstaatlich orientiert. Doch wir müssen Windenergie auf dem Wasser europäisch denken", so Thimm. Der Windparkbetreiber rechnet vor, „im europäischen Verbund könnte man in der Nordsee 450 Gigawatt Leistung heben, Deutschland allein verfügt gerade mal über ein Zehntel dieses Energieschatzes".
Gerade jetzt sei die Zeit für „Think Big" bei der Offshore-Energiegewinnung günstig wie nie: Deutschland hat derzeit den Vorsitz der Nordsee-Anrainer-Konferenz und ab dem 1. Juli dann noch den Vorsitz der Europäischen Kommission – könnte so den europäischen Ausbau der Windenergie voranbringen.
Heike Winkler, Direktorin des Windkraftzulieferverbandes WAB, erinnert sich an bessere Zeiten: „Jahrelang haben wir pro Jahr fast 2,5 Gigawatt Zubau gehabt. Das waren in Spitzenzeiten fast 28.000 Arbeitsplätze bei den Anlagenbauern und deren Zulieferern, bundesweit. Das bricht derzeit alles weg und das im Bereich der Zukunftsindustrie schlechthin. Wir haben fast 4.000 Arbeitsplätze verloren, und es sieht auch für dieses Jahr nicht gut aus, wenn die Bundesregierung nicht endlich für den Offshore-Bereich einen verlässlichen Ausbauplan aufstellt."
Doch die Ausbauziele der Regierung sind zumindest offshore im Plan: Vor der Küste drehen sich 1.300 Anlagen oder 6,7 Gigawatt Leistung, geplant waren 6,5.
Die Branche befürchtet, dass die ausbleibenden Aufträge einen Arbeitsplatzabbau großen Ausmaßes hervorrufen werden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und seine Umwelt-Kabinettskollegin Svenja Schulze (SPD) beteuern dennoch weiterhin: „Ohne Strom aus der Windkraft ist die Energiewende nicht zu schaffen, damit das Klimapaket nicht umzusetzen."
Dabei gehen Wissenschaftler wie Uwe Leprich längst davon aus, dass die Klimaziele bis 2030 sogar mit dem derzeit geplanten Windkraftausbau nicht einzuhalten wären. Laut seinen Berechnungen ist dafür das derzeitige Tempo zu langsam. Leprich ist Professor für Energiewirtschaft und war zwei Jahre zum Umweltbundesamt als Abteilungsleiter für Klimaschutz und Energie abgeordnet. Er prangert vor allem die Mutlosigkeit der Politik an, „die auch mal Gegenwind aushalten muss", so Leprich. Damit meint er zum einen die Bundesregierung, von der er eine radikalere Abkehr von fossiler Energie fordert sowie eine stärkere Eindämmung der Treibhausgas-Emissionen. Andererseits hat er die Kommunalpolitiker im Blick, die sich teilweise buchstäblich vor ihrer Haustür mit der Energiewende, mit neuen Windrädern oder Photovoltaik-Anlagen herumschlagen müssen. Und vor allem mit Bürgerinitiativen, die sich gegen neue Windkraftanlagen stemmen. Die Energiewende spaltet das Land. Die Bruchstellen verlaufen in den Kommunen.