Tier- und Pflanzenarten, die nicht ursprünglich bei uns vorkommen, sind nicht automatisch invasiv. Damit es nicht zu einer Verdrängung heimischer Arten kommt, kann jeder einzelne etwas beitragen, sagt Biologe Andreas Opitz.
Herr Opitz, ganz allgemein gefragt: Wie definiert sich eine invasive Art?
Das ist ein schwieriger Begriff. Man sollte erst klären, dass es drei Begrifflichkeiten dazu gibt: nämlich „gebietsfremd", „etabliert" und „invasiv". Es gibt also zunächst einmal einheimische und gebietsfremde Tiere oder Pflanzen. Die gebietsfremden kommen zum Beispiel aus Afrika, Amerika oder Asien. Sie sind mit dem Menschen eingewandert. So etwas nennt man anthropogene Einwanderungswege. Sei es durch Reisen oder durch Einkäufe – sie sind jedenfalls durch den Menschen hergekommen und konnten sich im Lauf der Zeit vermehren. Das bedeutet aber noch nicht, dass diese Arten auch invasiv sind.
Sondern?
Es gibt Arten, die über mehrere Jahre gedeihen und sich in unseren Breiten etablieren können, ohne andere Arten oder Biotope zu verdrängen. Erst, wenn sie sich so massenhaft ausbreiten, dass Biotope sich deshalb ins Negative verändern, spricht man von einer invasiven Art.
Eine Art also, die durch ihre Invasion die schon ansässigen Tiere oder Pflanzen verdrängt oder belastet. Gibt es da ein Beispiel?
Die Wasserpest ist ein Beispiel. Sie wird als Aquarienpflanze eingeführt und verkauft und oft, wenn Aquarien aufgelöst werden, in heimischen Gewässern ausgebracht. Die Besitzer denken, sie tun etwas Gutes, wenn sie den Inhalt des Aquariums in heimische Gewässer entsorgen, aber das ist falsch. So etwas passiert auch mit Fischen wie dem Blaubandbärbling. Er steht auf der Unionsliste der invasiven Arten der EU. Er hat sich hier ausgebreitet, weil Menschen ihn bewusst und unbedarft in heimische Gewässer ausgesetzt haben.
Da fallen mir die kleinen Schildkröten ein, die man häufig in Weihern sieht.
Ja, auch Buchstaben-Schmuckschildkröten sind eine invasive Art. Die Tiere werden – klein gekauft – später allerdings groß und alt. Viele Besitzer können dann keine artgerechte Haltung mehr gewährleisten und setzen sie einfach in heimischen Tümpeln aus. Es wäre besser, sie an Tierhandlungen abzugeben.
Was genau macht eine Art letztlich invasiv?
Man muss es immer so sehen: Es gibt mehr als 200 gebietsfremde Arten in Deutschland. Nur ein Bruchteil davon ist wirklich invasiv. Viele Arten wachsen hier normal und verdrängen keine anderen Arten. Aber: Schauen wir uns das Springkraut an, das einst als Bienenweide eingeführt wurde. An zahlreichen Uferbereichen ist es wirklich dominierend. Es gibt kaum noch Bereiche ohne. Man muss sich vorstellen: Vorher gab es das Springkraut in Deutschland nicht. Und jetzt hat es andere Arten in diesem Biotop verdrängt.
Können invasive Arten somit auch für das Aussterben heimischer Arten sorgen?
Wir haben immer nur eine Momentaufnahme. Wir können sagen: Welche Arten sind einheimisch, welche sind invasiv. Aber wenn Arten aussterben, dann hat das oft auch mit anderen Faktoren wie dem Klimawandel oder Pestiziden zu tun. Es gibt immer viele Faktoren, die auf Arten wirken. Man kann das nicht allein auf die Invasivität zurückführen.
In anderen Regionen, etwa den heutigen Vereinigten Staaten, gibt es eine lange Geschichte von Kolonialisierung und Globalisierung. Sind solche Regionen stärker von invasiven Arten betroffen als wir hier in Europa?
Andere Länder haben genauso mit unseren heimischen Arten zu kämpfen wie wir mit ihren Arten. Mit unserem einheimischen Blutweiderich etwa hat Nordamerika große Schwierigkeiten. Andere Länder haben damit die gleichen Probleme wie wir – das ist ganz allgemein eine Folge der Globalisierung. Handel und Transport von Tieren und Pflanzen sind extrem geworden. Sei es als Zier- und Nutzpflanzen, im Vogelfutter oder als Zoo- und Haustiere. Früher wurden Tiere auch als Pelztiere oder Jagdwild eingeführt oder sie reisten als blinde Passagiere auf Schiffen mit.
Apropos blinde Passagiere. Ist diese klassische Geschichte von der Spinne in der Bananenkiste wirklich passiert?
Das gibt es wirklich, das ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Meist entwickelt sich aus so einem Fund aber keine invasive Art, weil solche Spinnen sehr groß sind und dementsprechend schnell gefangen werden können. Außerdem überleben sie hier den Winter nicht. In ihrem Ursprungsgebiet gibt es ja keinen Frost, in unseren Breiten können sie nicht überleben.
Wie entwickelt sich eine invasive Art dann? Was führt dazu?
Der Waschbär ist ein gutes Beispiel. Er wurde für Pelzfarmen und für die Jagd nach Deutschland eingeführt. 1934 wurden zwei Paare am Edersee ausgesetzt und zur gleichen Zeit auch in Berlin. Zur Folge hatte das, dass der Waschbär sich in ganz Deutschland verbreitet hat. Das ist natürlich einzigartig. Man hat diese Entwicklung zunächst nicht bewusst verfolgt und erst später die rasche Verbreitung festgestellt.
Da stellt sich aber die Frage, ob der Mensch alles regulieren muss oder ob man nicht sagen kann: Die Natur findet ihren Weg?
Das ist schon ein richtiger Punkt. Aber man muss unterscheiden, ob ein Vorgang durch den Menschen beeinflusst wurde oder nicht. Ob es Neobiota sind, also durch menschlichen Einfluss eingewandert, oder ob eine Art auf natürlichem Wege zu uns gekommen ist.
Was wäre ein natürlicher Weg?
Es gibt zum Beispiel Mückenarten, die aufgrund der Klimaerwärmung hier sind. Die Winter sind in Deutschland milder geworden, und daher können neue Mückenarten, die wärmeres Klima brauchen, in Deutschland überleben. Die Tiere vergrößern quasi ihr normales Verbreitungsgebiet. Ein anderes Beispiel ist die Gottesanbeterin. Sie ist im südlichen Hessen verbreitet und kam ohne menschlichen Einfluss aus dem Mittelmeerraum nach Deutschland. Das ist ein ganz normaler, natürlicher Vorgang.
Unnatürlich ist dagegen die Einwanderung der Grauhörnchen. Sie kommen aus Nordamerika und machen den Eichhörnchen hier zu schaffen.
Für das Grauhörnchen gab es bis 2017 keine Nachweise in Deutschland. Heute sieht das anders aus. Es kann die einheimischen Eichhörnchen verdrängen, weil es robuster und im Fressverhalten aggressiver ist. Grauhörnchen sind also konkurrenzstärker. Bei uns in Hessen gibt es aber noch keine Grauhörnchen.
Gibt es generell große regionale Unterschiede?
In der Unionsliste der EU sind 66 Arten gelistet, die in Europa invasiv sind. Aber nicht alle Arten kommen in Deutschland vor. Waschbären gibt es inzwischen deutschlandweit. Aber die Buchstabenschmuckschildköte, die Sie vorhin angesprochen haben, gibt es bisher hauptsächlich in der Nähe von Stadtgebieten. Sie kommt in Berlin, Frankfurt, Köln, Hamburg und anderen großen Städten vor, weil es dort eben viele Schildkrötenbesitzer gab, die ihre Tiere ausgesetzt haben.
Was kann man dagegen tun, dass invasive Arten hier heimisch werden?
Da gibt es zwei Punkte, die man beachten muss: Was kann der Staat tun und was jeder Einzelne? Beim Waschbären kann der Staat schon heute kaum mehr etwas ausrichten. Höchstens bedrohte Amphibientümpel schützen, etwa in Naturschutzgebieten. Bei anderen Arten sollte man vor allem auf Prävention setzen. Indem wir viel Öffentlichkeitsarbeit betreiben und die Bevölkerung über invasive Arten aufklären, können wir schon viel erreichen. Die Asiatische Hornisse ist ein gutes Beispiel. In Hessen gab es 2019 erste einzelne Fundmeldungen aus der Bevölkerung. Man kann dann einzelne Nester aufspüren und der Natur entnehmen, wie man sagt. Man muss aber auch immer überlegen, ob das Sinn hat oder nicht. Denn diese Hornisse kommt auch in unseren Nachbarbundesländern vor. Irgendwann wird sie sich auch in Hessen etablieren. Man kann das verzögern, aber nicht aufhalten.
Was kann jeder Einzelne tun?
Was jeder in seinem Garten oder auf seinem Grundstück tun kann: Keine invasiven Pflanzen aussähen oder pflanzen, sondern auf einheimische Arten setzen. Gekaufte Pflanzen aus anderen Ländern sind oft schöner, aber man kann darauf achten, hauptsächlich einheimische Arten zu kaufen. Ein zweiter Punkt wäre, keine Gartenabfälle in der Natur zu entsorgen. Das ist sowieso verboten. Dadurch können sich invasive Pflanzenteile vermehren. Ein dritter Punkt wäre, keine Haustiere aus Terrarien und Aquarien in der Natur auszusetzen.