Um die Bevölkerung stets an den Corona-Abstand zu erinnern, erkor unser Nachbarland das Elefanten-Baby zur neuen Maßeinheit. FORUM-Autorin Ursula Wiegand machte sich im Großarltal auf eine nicht ganz ernst gemeinte Suche.
Als mir mein Freund Thomas als Erster davon erzählte, hielt ich das für einen lustigen Witz. Doch bald danach erwähnte auch die österreicherische Schauspielerin Stefanie Reinsperger – nun ein Star beim Berliner Ensemble – den Babyelefanten. Was aber wurde gemessen – seine Länge, die Breite oder die Höhe? „Das weiß ich nicht", lachte sie.
Beim Googeln daheim erfuhr ich mehr. Der Länge nach wurde der Babyelefant gemessen, aber ohne den Rüssel. Das hatte eine Reporterin des Senders ORF 3 von Werner Singer, dem Chef der Werbeagentur Jung von Matt erfahren.
Es sei darum gegangen, ein Symbol zu finden, sodass die Menschen stetig daran erinnert werden, Abstand zu halten. Auch über den Besenstiel und die Riesenschildkröte als Maßeinheit wurde laut Singer diskutiert, doch der niedliche Babyelefant machte das Rennen.
Jedenfalls ergab die Messung rund einen Meter, und der muss wohl damals als Corona-Bremse gereicht haben, zählte doch Österreich im Sommer 2020 zu den sichersten Reiseländern weltweit und öffnete am 11. Juni die Grenzen für deutsche Touristen.
Wenn die Abstandswahrung mit dem Babyelefanten so gut funktioniert, müsste der doch logischerweise im Nachbarland selbst in Gegenden bekannt sein, wo es keinen Zoo gibt, sinnierte leise lachend die Journalistin aus Berlin und denkt sogleich an Hannibal, der 218 v. Chr. mit einem großen Heer und 37 Elefanten über einen Schweizer Alpenpass zog, um Rom zu erobern.
„Erfinderisches Bergvolk"
Alle 37 Tiere hätten den Marsch überlebt, wären aber bis auf Hannibals Reittier später aufgrund von Kälte gestorben. So schrieb der römische Historiker Titus Livius ums Jahr null in seiner Chronologie „ab urbe condita". Das war aber etwa 180 Jahre später! Ob sich wohl doch ein Elefantenpaar ostwärts davongemacht hat und seine Nachkommen in Österreich überlebt haben?
Also rufe ich Thomas an, der im Großarltal zu Hause ist und den nötigen Humor für einen skurrilen Vorschlag hat: „Hast Du Lust", so meine Frage, „mit mir zusammen in Deiner Heimat nach dem Babyelefanten zu suchen und ihn zu vermessen?" Er stutzt, lacht über diese sonderbare Idee, sagt aber schnell „Ja". Wenige Tage später sitze ich mit Maske im Zug Richtung Salzburger Land.
Die Sonne lacht. Vom Balkon meines Zimmers im Traditionshotel „Alte Post" in Großarl blicke ich auf die schöne Kirche nahebei auf einem Hügel. Der Babyelefant ist auch dort ein Thema. „Wir Österreicher sind schon ein erfinderisches Bergvolk. Dabei bin ich noch froh, dass die Verantwortlichen nicht in Kängurus messen, denn dann würde good old Austria wohl auch in Europa noch mit Australia verwechselt werden", sagt Thomas. Gleich am nächsten Morgen starten wir. Um Zeit zu sparen, fährt er, ausgerüstet mit Profi-Kamera, Zollstock und gelbem Bandmaß bis zur 1.794 Meter hoch gelegenen „Ellmaualm". Sie ist eine von 40 bewirtschafteten Hütten im Großarltal, das wegen dieser Anzahl das „Tal der Almen" genannt wird. Gemütliche Hütten sind es, zumeist mit Sonnenterrasse und guter Bauernküche. Auf einigen können Wanderer auch übernachten.
Ein andermal gerne, doch jetzt geht es um den Babyelefanten, und ein Großglocknerblick ist stellenweise auch inkludiert. Das Messen wird vorsichtshalber zunächst bei einigen Ziegen geübt. Langsam nähert sich Thomas einem Pärchen. Das langhaarige, anthrazitgraue Tier mit den geschwungenen Hörnern könnte ein Bock der Capra Grigia-Rasse sein. Seine braun-weiße Nachbarin ist eine der weit verbreiteten Tauernschecken. Doch beide Tiere ignorieren den Messversuch ebenso wie die munteren Zicklein.
Vorsicht vor Kühen mit Kälbern
Und die Pferde? Die haben dafür gar keine Zeit. Einige machen immer wieder ein Wettrennen. Welch ein lebensfrohes Bild! Kühe gibt es auch jede Menge, und die wirken total lieb und friedlich.
Thomas drückt mir jedoch das Merkblatt „Zehn Verhaltensregeln für den Umgang mit Weidevieh" in die Hand. Vor allem bei Mutterkühen mit Kälbern sei Vorsicht geboten, lautet die Warnung. Erst bei einem braunschwarzen Lämmchen, gehalten vom Sohn des Almbesitzers, gelingt das Messen.
Vielleicht bringt die Wanderung durch den Trög, ein einsames Hochmoorgebiet mit kleinen Teichen, mehr Erfolg, denn Elefanten lieben das Wasser. Thomas folgend trete ich stets auf Grasbüschel, um an durchfeuchteten Stellen nicht einzusacken. Trockenen Fußes erreichen wir einen der bläulich schimmernden Miniseen mit einer Bank zum Rasten.
Weiße Wölkchen spiegeln sich in dem Teich, der im Sommer auch zum Baden geeignet ist. Totale Ruhe rundherum, kein Mensch weit und breit. Noch intensiver als das Wasser leuchtet der blaue Enzian, der dort üppig wächst. Thomas liegt schon mit der Kamera im Gras, um die Farbenpracht einzufangen. Bekanntlich ziert eine blaue Enzianblüte auch die namensgleichen Schnapsflaschen, „obwohl der Enzian aus gelben Blüten hergestellt wird, die an einer hohen Pflanze wachsen", weiß Thomas.
Schön ist es hier, niemand kommt vorbei. Der Babyelefant lässt sich auch nicht blicken. War ja auch nur ein Scherz, ihn im schönen Großarltal zu suchen. Gäbe es ihn, würde er dort sicherlich mit Vergnügen herumstapfen. Also wandern wir zurück zur „Ellmaualm", um uns auf der Sonnenterrasse zu stärken und das Auto abzuholen.
Auch am nächsten Tag, nun alleine unterwegs und mit der Panoramabahn aufwärts schwebend, präsentiert sich zwar der Großglockner, aber kein kleiner Elefant. Selbst auf dem Zick-Zack-Pfad hinunter zur „Gehwolfalm" hat er keinen Fußabdruck hinterlassen. Das hatte ich auch gar nicht erwartet.
Erst viele Wochen später ahnte ich, wo er sich nach seinem erfolgreichen Sommereinsatz erholt haben könnte – bei der österreichischen Post. Dort wird er womöglich Modell gestanden haben, denn die hat ihn als herauslösbare Briefmarke auf ein Blatt Klopapier gedruckt, das oft heiß umkämpfte Hamsterobjekt im ersten Lockdown. Bei der Abstimmung im Dezember haben die Österreicher den Baby-Elefanten auch zum „Wort des Jahres" gewählt, und das hat er wirklich verdient. Doch dieser Erfolg bei der Corona-Bekämpfung war leider nicht von Dauer. Selbst eine riesengroße Elefantenherde hätte der mächtigen zweiten Pandemiewelle nicht standgehalten.
Dennoch versucht Österreichs Regierung erneut, die Bevölkerung mit Elefanten-Hilfe auf die mehr denn je nötige Abstandswahrung aufmerksam zu machen.
Diesmal ist es ein Kind im Elefantenkostüm, das sich durch die dicht an dicht voraneilenden Erwachsenen drängt und versucht, sie etwas auseinanderzudrücken. Ein offensichtlich anstrengender Job, denn das Kind müht sich oft vergeblich, guckt auch öfter traurig oder wütend. „Babyelefant zu sein, ist nicht leicht. Helfen Sie ihm", lautet der Titel des TV-Spots, der mehrmals täglich zur besten Sendezeit läuft.
Hoffen wir, dass dieser mutierte BabyElefant den unbedingt notwendigen Erfolg hat, in den Städten und demnächst auch in den Wintersportgebieten.