Zugeparkte Straßen, lautes Autodröhnen, übel riechende Abgase. Das autofreundliche Saarbrücken ertrinkt in der Überpräsenz der Pkw. Sieht so die Stadt der Zukunft aus? Raumplaner Prof. Diplom-Ingenieur Stefan Ochs von der HTW Saar will den Verkehr deutlich reduzieren.
Herr Prof. Ochs, besitzen Sie ein Auto?
Ich besitze zwei Autos, einen E-smart und einen Mini, was in erster Linie daran liegt, dass ich zwei Kinder habe und bis vor Kurzem die innerstädtischen Wege über die Stadtautobahn fahren musste und vorher am HTW-Campus in Göttelborn gearbeitet habe. Meine Jungs können mittlerweile mit dem Fahrrad fahren. Meine Frau nutzt ebenso das Fahrrad und ich könnte es letztendlich auch, da ich am HTW-Campus Alt-Saarbrücken arbeite. Trotzdem haben wir noch diese beiden Autos, aber am liebsten wäre es mir nur ein Auto zu haben. Falls nötig würde ich mir dann ein zweites mieten.
Wie sieht in Ihren Augen die Stadt der Zukunft aus?
Die Frage kann ich so direkt nicht beantworten. Wir haben einen Bedarf, die Stadt neu zu denken, weil sich das Leben der Menschen komplett geändert hat. Durch das Internet, durch den Onlinehandel, durch Corona und Homeoffice, und zwar sehr viel stärker als wir das heute wahrnehmen. Man muss ganz provokativ fragen: Ist die Stadt eigentlich noch der Ort der Verwaltung, der Büros? Was mache ich eigentlich in der Stadt der Zukunft, wenn der Handel ins Internet oder auf die grüne Wiese geht? Was will ich dann in der Stadt? Kaffee trinken, Leute treffen, soziale und öffentliche Räume schaffen … Das muss die Stadt in Zukunft leisten. Und sie muss eine komplette Klimaneutralität erreichen. Das ist das, was wir derzeit in der internationalen Bauausstellung (IBA) als Oberthema haben: dass der soziale, der öffentliche Raum in der Stadt qualitativ vernachlässigt wurde und immer noch wird. Aktuelle Fragen der Stadtentwicklung sind, welche Funktion eine Stadt zukünftig haben wird und wie ich auf den Klimawandel reagiere?
Was macht die Pandemie beziehungsweise der Lockdown mit den Innenstädten? Beschleunigt dies unter Umständen die Umsetzung von Ideen, die vorher kaum oder nur äußerst mühsam umzusetzen waren?
Die Aspekte, über die wir beim Thema „Land" nachdenken, sind durch Corona in ihrer Gewichtung viel stärker in den Fokus gerückt. Wir sprechen über die Potenziale des ländlichen Raums, über die Grenzen, die nicht mehr zugemacht werden dürfen. Wir sprechen über Klima, Energie und Mobilität, über Kultur und die Nutzung öffentlicher Räume. Natürlich hat diese Entwicklung auch Auswirkungen auf die Stadtplanung, wobei wir die Stadt grundsätzlich neu definieren müssen. Es gibt einen Diskussionsbedarf und dafür kann eine Internationale Bauausstellung ein Thinktank sein. Denn eine IBA ist ein Raum, in dem man zehn Jahre denken darf, was man will. Darin wird man Stadtentwicklungsfragen diskutieren können, wenn die Bürger es möchten. Nebenbei: Saarbrücken ist nicht die einzige Stadt im Saarland.
Es gibt den Verkehrsentwicklungsplan des Saarlandes für 2030. Sind die von Ihnen genannten Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, dort enthalten?
Der VEP geht meiner Meinung nach von Voraussetzungen aus, die „out of time" sind. Bis 2030 können natürlich diese Dinge umgesetzt werden, aber die Fragen, die wir uns in der Stadtplanung stellen, reichen bis ins Jahr 2050. Wir müssen Mobilität grundsätzlich neu denken und müssen entscheiden: Dürfen Autos in die Stadt? Ja oder nein? Da bin ich durchaus zwiegespalten. Auch wenn wir über E-Auto oder Wasserstoffauto sprechen, das ändert ja nichts am Verkehrsaufkommen. Und ob diese Antriebe wirklich etwas am CO2-Ausstoß ändern, bezweifle ich. Da kann von Nachhaltigkeit keine Rede sein.
Glauben Sie, dass das Konzept der „autofreien Innenstadt" im Saarland, im Speziellen in der Hauptstadt, umzusetzen ist?
Lasst doch die Autos in der Stadt. Ich glaube, die erste Frage ist, wie viele Autos wir reinlassen und die zweite ist, auf welchen Straßen. Eine Bundesautobahn mitten in der Stadt zu haben ist einfach nur pervers. Wieso nicht die Stadtautobahn zur innerstädtischen Straße machen? Diesen „Stadtboulevard" könnten man sechsspurig gestalten, mit Tempolimit, 30 bis 50 km/h, mit Fußgängerüberwegen, Bus-Shuttle- und Fahrradschnellspur. Ein weiteres Problem ist, dass die Städte komplett zugeparkt sind, von vorne bis hinten. Egal, ob sie am Staden spazieren gehen oder im Nauwieser Viertel. Wir ertrinken in diesem verblödeten Schrott, der an der Straße steht.
Was könnte in Ihren Augen dieses Problem lösen?
Es reicht in Saarbrücken nicht, zu sagen, wir verbessern die Fahrradwege. Das ist eine Katastrophe hier. Ich bin immer froh, wenn meine Kinder unbeschadet nach Hause kommen. Vor Saarbrücken habe ich in Darmstadt gelebt, das eher flach ist. Ich brauchte dort kein Auto. Das Erste, was ich gemacht habe, als wir nach Saarbrücken gezogen sind: Ich habe mir ein Auto gekauft. Wie gehen wir damit um, dass diese Stadt komplett autofreundlich getrimmt ist? Wenn weniger Autos langsamer fahren, macht auch die E-Mobilität Sinn, deren Geräuschentwicklung ab Tempo 50 etwa dem Verbrennungsmotor entspricht.
Wir müssen aus den Schnellstraßen in der Stadt ruhige urbane Verkehrswege mit vielen Bäumen, mit viel Grün und ohne Leitplanken in der Mitte machen. Wir müssen die Tempo-30-Zonen in der Stadt erweitern und dieses Tempolimit überwachen. Die Leute würden gar nicht mehr auf die Idee kommen mit dem Auto zu fahren.
36,7 Prozent der Deutschen lehnen autofreie Innenstädte klar ab. 19,7 sind eher dagegen. Wieso findet die Idee so wenig Akzeptanz?
Die Leute kommen sonst nicht in die Stadt rein, und sie wollen mit dem Auto in die Stadt. Die Bahnhofstraße war früher vierspurig, mit Parkplätzen auf beiden Seiten. Die Menschen sind auf die Berliner Promenade gegangen zum Eis essen. Autos gab es da keine, auch nicht auf der Autobahn.
Diese Stadtentwicklung, die Sinn machte, wurde dann über den Haufen geworfen. Mittlerweile hat die Berliner Promenade Schwierigkeiten, mit der Bahnhofstraße mitzuhalten. Ich plädiere nicht für Autos in der Bahnhofstraße, aber wenn die Glaskästen in der Mitte weg wären und wir eine zweispurige Fahrbahn mit Tempo 30 oder „Shared Space" hätten, sprich der schwächste Verkehrsteilnehmer gibt das Tempo vor, würde das diesen Raum wahrscheinlich attraktiver machen.
Solange wir als Gesellschaft noch so autoabhängig sind in Deutschland und vor allem im Saarland, so lange wird sich nichts ändern. Wichtig wäre zudem ein barrierefreier Stadtraum, das hat nichts mit Alter oder Behinderung zu tun. Wenn ich einen Kinderwagen vor mir herschiebe oder mein Kind mit dem Laufrad oder Fahrrad fährt, bin ich froh, wenn die Innenstadt barrierefrei ist. Das beginnt mit dem Nulljährigen und hört mit der 90-Jährigen auf. Stadträume müssen absolut barrierefrei sein. Bei uns in Saarbrücken ist sogar die Straßenbahn eine Barriere.
Gibt es nicht einfache, kostengünstige Lösungen, die in Ihren Augen schon viel verändern könnten?
Die Frage ist: Wer setzt es um, und wo sind die Bürger, die sich dafür interessieren? Wir haben ab dem 11. April ein Projekt in der Erzhalle des Unesco-Weltkulturerbes Völklinger Hütte. Das ganze heißt „Future Lab: IBA-Plant", ein partizipatives Zukunftslabor, wo wir ein halbes Jahr Visionen für die Stadt- und Landentwicklung entwickeln wollen. Es soll jede Woche Veranstaltungen, auch Konzerte, geben. Das könnte ein Forum sein, wo Bürger gezielt angesprochen werden. Wir hoffen dort, die notwendigen Diskussionen führen zu können.
Die Stadt kriegt ein großes Problem meiner Meinung nach. Das Land wird immer attraktiver, was für das Saarland eine super gute Nachricht ist. Wir haben Leerstände auf dem Land und wir haben Homeoffice, das heißt dass junge Familienväter, die wegen der Kinder aufs Land gezogen sind und Saarbrücken keine bezahlbaren Wohnungen gefunden haben, fahren statt jeden Tag nur zwei- bis dreimal die Woche in die Stadt. Das bedeutet, dass die ganze Mobilitätsdiskussion mit einem Schlag obsolet, denn ich habe nur noch die Hälfte der Pendler, die jeden Morgen hier reinwollen. Das würde das ganze Leben der Stadt komplett verändern. Wenn Karstadt und Kaufhof zumachen hält sich vielleicht noch die Europa-Galerie. Ansonsten haben wir urbane Leerstände, die eine Herausforderung darstellen.