Ob als Popsänger oder Mitwirkender bei den Musikshows „The Voice Of Germany" und „The Masked Singer": Rea Garvey ist der populärste Ire in Deutschland. Mit „Musicshake" erfand er sogar ein neues TV-Format. Im Interview spricht der 47-Jährige über das neue Album „Hy Brasil", weinende Männer und Chancen in der Krise.
Rea Garvey, Ihr fünfter Longplayer heißt „Hy Brasil". Wie erarbeiten Sie sich ein Album?
Ich habe keine feste Vorstellung, sondern ich lasse mich gern leiten und begebe mich in ein dunkles Zimmer. Irgendwann fühle ich etwas Festes, ob es eine Wand ist oder eine Tür. Und diesem Weg folge ich dann. So geht es mir immer, wenn ich morgens um vier aufstehen und zum Flughafen muss. Ich fühle mich frei und bin trotzdem in der Dunkelheit. Irgendwann habe ich ein Lied geschrieben, von dem ich denke, es könnte fester Bestandteil des nächsten Albums sein. Das führt mich dann zum nächsten Lied.
Mit welchem Lied hat alles angefangen?
Als ich „Talk To Your Body" geschrieben hatte, wusste ich, wo es mit dem Album langgeht. In dem Moment fühlte ich mich sicher und kannte den Weg. Ich fing an, ganz anders zu arbeiten und freute mich auf jede Session, weil die Ungewissheit weg war. Eigentlich ist die Arbeit an einer Platte immer ein bisschen gleich, aber die Lieder sind jedes Mal anders.
Die Singleauskopplung „Talk To Your Body" verstehen Sie als eine Liebeserklärung an das Leben. Wie intensiv erleben Sie die Zeit mit Corona?
Ich glaube, wir alle erleben diese Zeit sehr intensiv. Wir müssen umdenken. Selten höre ich, dass jemand gar keine Veränderung verspürt, um durch diese Krise zu kommen. Es gibt daran auch etwas Positives, denn Corona macht uns alle gleich. So etwas kommt selten vor. In den ersten zwei Wochen der Krise war ich frustriert und ein bisschen verloren, aber dann habe ich von allem, was ich mir vorgenommen hatte, losgelassen. Später habe ich mir mit Josephine die Yellow-Jacket-Online-Session ausgedacht. Eine spontane Idee, weil meine Frau meinte, ich solle mal ein bisschen Musik für die Leute machen. Und dann waren 10.000 Leute in meinem Feed. Da spürte ich, dass ich das Album fertig machen musste. Ich wollte nicht, dass es ein Opfer dieser Zeit wird. Es sollte für sich stehen, weil ich es größtenteils 2019 geschrieben habe.
Wie viele Stücke hatten Sie für „Hy Brasil" insgesamt geschrieben?
Ich habe 44 Demos aufgenommen. Davon habe ich 14 ausgesucht und gemerkt, dass das alles positive Lieder waren. Im ersten Lockdown war ich oft nachts allein im Studio und habe zu den Liedern probehalber getanzt. Ich merkte, dass mir dieses Album ein irrsinnig gutes Gefühl gab. Das ist der Einfluss von Corona auf der Platte.
Sie vergleichen Ihr Album mit der mythischen Insel „Hy Brasil" westlich von Irland. Der Sage nach taucht sie nur alle sieben Jahre für einen Tag aus dem Atlantik auf. Was hat diese Phantominsel mit Ihnen und Ihrer Musik zu tun?
Wir haben von Hy Brasil als Kinder gehört und fest an ihre Existenz geglaubt. In meiner Fantasie bin ich da hingeflogen, weil sich auf dieser magischen Insel meine ganzen Helden aufhielten, um immer jung zu bleiben. Ich bin schon ein Tagträumer, in Gedanken will ich da immer noch hin. Zu der Zeit, als ich mit der Arbeit an der Platte anfing, hatte ich ein bisschen Abstand von der Musik genommen. Es war wie Liebe auf Distanz. Ich musste ein bisschen kämpfen, um diese Beziehung wieder zu verstärken.
Und das hat funktioniert?
Ja. Als ich dann mit 14 Liedern im Studio stand, fühlte ich mich wie an einem magischen Ort. Dieses Album ist für mich ein musikalisches Hy Brasil. Die Reise dorthin ist irgendwie mystisch. Da sitzen Menschen aus verschiedenen Welten bei mir in Berlin im Studio und wir schreiben zusammen ein Lied. Und auf einmal wird es von Millionen Menschen gehört. In meiner Fantasie glaube ich an die Geschichte von Hy Brasil, auf diese Weise hat sie für mich viel mehr Wert. Die Iren sind bekannt als die besten Fußballfans der Welt. Sie glauben alle, dass ihr Team die WM gewinnen wird. Glauben macht die Reise viel schöner.
In dem Song „Just A Minute" geht es darum, sich Zeit zu nehmen. Hat die Corona-Pandemie Ihr Leben zwangsentschleunigt?
Das Tempo, in dem ich 2017 und 2018 gearbeitet habe, war crazy. Das „Neon"-Album ist durch die Decke geschossen, weshalb wir unheimlich viel unterwegs waren. Der Grund, weshalb ich ein bisschen platt war, war dieses ständige Liefernmüssen. Ich kam mir vor wie ein Zahnrad in einer riesigen Maschine. Das fühlte sich nicht gut an. Wenn man sich dazu entschließt, Musiker zu sein, muss man auch das Gefühl haben, dass es etwas Besonders ist. Erfolg als Musiker ist fast so selten wie ein Lottogewinn. „Just A Minute" ist mein Lieblingslied auf der Platte. Ich habe es in nur zwei Stunden mit Leuten aus der Hip-Hop-Szene geschrieben. Die Botschaft lautet: Lass uns den Moment genießen und nicht an Morgen denken. Ich möchte etwas bewusst erleben statt immer nur zu machen, machen, machen.
Wie ist es für Musiker, in Corona-Zeiten zu reisen? Werden Sie dauernd getestet, sitzen Sie viel in Quarantäne?
Man muss sich einfach gut informieren, ich will ja keine Regeln brechen. Gott sei Dank sind Dinge möglich. In Köln zum Beispiel bei den Dreharbeiten zu „The Masked Singer" wurde man getestet. Das finde ich gut. Ich glaube, ich bin im Moment der meistgetestete Ire in Deutschland. Bei „The Voice" waren Samu und ich erst einmal in Quarantäne. Manchmal muss man den Kopf einfach abschalten. Ich kann es nachvollziehen, dass Leute bestimmte Maßnahmen infrage stellen, aber die größte Stärke wäre, wenn darüber nicht ständig gestritten würde, sondern alle an einem Strang zögen, um irgendetwas umzusetzen. Die Politik macht Pläne, die vielleicht nicht perfekt sind, aber wer ist momentan wirklich in der Lage, die beste Entscheidung zu treffen? Die Virologen widersprechen sich manchmal sogar. Es ist eine super schwierige Zeit und nicht der Moment, sich selbst zu profilieren.
Aufgrund der Pandemie kann man ja nur kurzfristig planen. Wie sehr verunsichert Sie das?
Es ist jetzt eine andere Planung. Die ersten zwei Wochen waren für meine Frau und mich sehr unangenehm, weil wir Pläne eigentlich mögen. Wir mögen es vor allem nicht, wenn uns gesagt wird, dass wir irgendetwas nicht mehr dürfen. Wir mussten erst lernen, innerhalb dieser Beschränkungen anders zu planen. Ich hatte unser Studio erst im Januar fertiggestellt, und dann musste ich es komplett auf online umstellen. Das war klug, weil wir dadurch eine positive Beschäftigung fanden. Seitdem haben wir schon 22 Online-Shows realisiert. Wir kamen mit der Zeit auf über 200.000 Views. Statt zu sagen, dass alles schlecht ist, sollte man sich lieber innerhalb der Beschränkungen etwas Positives oder Kreatives ausdenken. Wir verdienen mit den Yellow-Jacket-Sessions natürlich kein Geld, das darf aber nicht von Dauer sein. Ich bin Entertainer, das ist meine Rolle in der Gesellschaft. Auch wenn wir Künstler das Gefühl haben, von der Politik vergessen worden zu sein, habe ich immer noch mein Talent. Am Ende möchte ich sagen können: Ich bin stolz auf das, was ich in der Corona-Zeit gemacht habe.
Gibt es in Ihrem Team Menschen, die sich beruflich neu orientieren mussten?
Absolut. Ich arbeite mit unglaublich tollen Leuten zusammen. Ich habe denen am Anfang gesagt, dass ich mich auf sie verlasse, aber jetzt auch für sie da bin. Ich bin stolz, dass die sich nicht haben kleinkriegen lassen. Einige von ihnen haben sich umschulen lassen. Es ist schwer, aber zusammen kommen wir da schon durch. Die Veranstaltungsbranche versucht, kreativ zu sein und neue Pläne zu schmieden.
Ein Song auf dem Album heißt „Men Don’t Cry" – „Männer weinen nicht". Haben Sie es früher als Schwäche angesehen, als Mann offen Emotionen zu zeigen?
Früher galt weinen als nicht männlich. Aber der Song ist leicht ironisch. Natürlich weinen Männer. Ich tue das nicht gern und auch nicht oft, aber ich finde, über wirklich wichtige Dinge sollte man weinen können. „Men Don’t Cry" dreht sich um die Beziehung zwischen meinem Vater und mir. Er war Polizist und übernahm die Rolle seines Vaters, als dieser starb. Mein Papa war eines von acht Geschwistern und hatte einen Panzer um sich gebaut. Den haben wir zusammen wieder abgebaut.
Wie haben Sie das geschafft?
Als Papas Schwester gestorben ist, war er überhaupt nicht in Kontakt mit seinen eigenen Emotionen. Ich habe ihn damals regelmäßig zum Bahnhof gefahren. Beim Aussteigen bat ich ihn immer, mich in den Arm zu nehmen. Da standen dann zwei Männer auf dem Parkplatz und umarmten sich, was in Irland zu der Zeit vielleicht nicht gern gesehen war. Aber als mein Papa das erste Mal in Deutschland war, konnte er sehen, dass das hier ganz normal ist. Ich glaube, er hat das auch gebraucht, weil er ein sensibler Mensch war.