Norbert Blüms schon geflügelte Worte der „sicheren Rente" mögen für einige noch stimmen – doch reicht für viele Rentner das Geld nicht mehr aus. Ihnen droht Armut. Auch das von der SPD initiierte Sicherheitsnetz, die Grundrente, schafft neue Ungerechtigkeiten.
ein Geld für Miete und Strom gleichzeitig und für eine warme Mahlzeit pro Tag reicht es auch nicht immer: Eine wachsende Zahl älterer Menschen in Deutschland ist von Armut bedroht. Die Armutsgefährdung sei in der Gruppe ab 65 Jahren zuletzt am meisten gestiegen, teilte das Statistische Bundesamt bereits im September 2020 mit. Die jüngste Anfrage der Linken zu diesem Thema im Bundestag offenbart die Tragweite des Problems: Die Fraktion fragte die Bundesregierung, wie viele Beschäftigte im Augenblick zu wenig verdienen, um nach 45 Jahren Vollbeschäftigung eine Rente oberhalb der Grundsicherung im Alter zu haben. Darüber berichtete zuerst das ZDF. Die Antwort gab die Bundesagentur für Arbeit im Auftrag des Arbeitsministeriums: 2,9 Millionen Menschen in Deutschland verdienen derzeit weniger als 2.050 Euro im Monat sozialversicherungspflichtig – und damit nicht genug, um über das Grundsicherungsniveau im Alter zu kommen. Es gelte die Faustregel: Wer trotz Rente weniger als 865 Euro an Einkommen im Monat zur Verfügung hat, sollte eine Grundsicherung beantragen, empfiehlt die Deutsche Rentenversicherung, diese würde dann geprüft. Derzeit beziehen nur drei Prozent der Verrenteten Grundsicherung – vor allem wegen jener Prüfung des Vermögens, vermuten Experten.
Die Antwort des Ministeriums zeigt, wohlgemerkt, blitzlichtartig einen aktuellen Ausschnitt aus dem Erwerbsleben von Millionen arbeitenden Menschen in Deutschland – möglich, dass einige von ihnen irgendwann mal mehr verdienen, im schlimmsten Fall aber weniger, insbesondere durch die Pandemie.
Corona-Pandemie verschärft Lage
Viele Angestellte in der Gastronomie und Hotellerie, aber auch in der Veranstaltungsbranche und im Einzelhandel arbeiten auf Minijob-Basis. Viele dieser Jobs, bis 2019 in ihrer Zahl stark wachsend, gingen bereits im ersten Lockdown 2020 verloren (FORUM berichtete). Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) leiden nach wie vor die Minijobbenden am meisten unter dem Lockdown. Um 850.000 oder zwölf Prozent lag die Zahl der vergebenen Minijobs im Juni 2020 demnach niedriger als ein Jahr zuvor. Die Beschäftigung ist im selben Zeitraum dagegen nur um lediglich 0,2 Prozent gesunken. Das Problem: Beschäftigte in Minijobs sind zwar ebenfalls sozialversicherungspflichtig, sind leicht kündbar, haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Und 80 Prozent von ihnen haben sich von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen, das bedeutet: Jetzt mehr Geld, aber dafür keinen Anspruch auf Grundrente.
Seit 1. Januar 2021 existiert dieser weitere Sicherungsmechanismus für geringe Einkommen, die Grundrente, auf Betreiben des SPD-geführten Arbeitsministeriums von Hubertus Heil. Der Unterschied zur Grundsicherung: Sie muss nicht beantragt werden, und die Bedürftigkeit wird nicht geprüft, sondern das Einkommen vom Finanzamt automatisch an die Rentenversicherung gemeldet. Heißt: Wer mindestens 33 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, Voll- oder Teilzeit, vielleicht Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat und weniger Renten-Entgeltpunkte als das Durchschnittseinkommen erzielt hat, kann bis zu 360,73 Euro netto zusätzlich bekommen. Die Einkommensgrenzen liegen bei Alleinstehenden bei 1.250 Euro monatlich, bei Paaren bei 1.950 Euro. Der Zuschlag wird gestaffelt und erreicht nach 35 Jahren Beitragszahlung die volle Höhe. Bis tatsächlich Geld fließt, dauert es in diesem Jahr jedoch, weil die Rentenversicherung noch sämtliche Versicherten auf den Grundrentenanspruch untersuchen muss. Geschätzte 1,3 Millionen Deutsche kommen dann laut Bundesregierung in den Genuss der Grundrente, die zunächst 1,4 Milliarden Euro kosten wird.
Kritik von der Wissenschaft
Der Sozialverband VdK begrüßte die Reform grundsätzlich, ebenso die Arbeiterwohlfahrt. Doch es gibt auch Kritik. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall rechnet vor, dass zum Beispiel die Geringverdienenden, sprich die in Minijobs Angestellten, gar nicht von der Grundrente profitieren. Deren Renten-Entgeltpunkte, die sie erzielen, seien geringer als 0,4 Punkte, die Mindestgrenze für die Grundrente. Die Kritik ist berechtigt, obwohl rentenversicherungspflichtige Minijobs dabei helfen können, einen Teil des Anspruches auf Grundrente zu erfüllen: Sie zahlen immerhin auf die 33 Jahre Mindest-Rentenversicherungspflicht ein. Sie wirken sich allerdings nicht auf die Höhe der Grundrente aus, weil Minijobs nur circa 0,1 Rentenentgeltpunkte bringen. Ein weiterer Kritikpunkt: Das Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik fand heraus, dass ein Viertel der als arm geltenden Frauen nicht in den Genuss der Grundrente kommen, weil sie die erforderlichen 33 Jahre Beschäftigungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erreichen. 21 Prozent der Anspruchsberechtigten für die Grundrente hätten dagegen ein Vermögen, das über dem Durchschnittsvermögen der Rentenbeziehenden liegt – die Grundrente also gar nicht benötigen. Denn das tatsächliche Vermögen werde gar nicht geprüft. Die Grundrente sei daher „doppelt ungerecht".
Armutsforscher wie Prof. Christoph Butterwegge kritisieren außerdem, dass das Problem der Altersarmut durch drei weitere Faktoren verschärft würde: das absinkende Rentenniveau, die Pandemie und die Ausweitung von Minijobs. Seit Jahren liegt der Verdienst bei Minijobs bei fixen 450 Euro, während die restlichen Reallöhne um durchschnittlich ein Prozent pro Jahr gestiegen sind. Auch das DIW fordert eine Erhöhung der 450-Euro-Grenze. Durch den pandemiebedingten Wegfall vieler Minijobs seien über eine Million Kleinstrentner betroffen, so Butterwegge. Das Rentenniveau, der Unterschied zwischen dem durchschnittlichen deutschen Verdienst und der Nettorente, sinkt zudem seit Jahren, laut Rentenversicherung 2020 zuletzt auf 47,6 Prozent. 2030 erreicht es 44,3 Prozent. Dies bedeutet nicht, dass der Geldbetrag sinkt, denn in dieser Zeit steigen gleichzeitig die Löhne und Gehälter sowie die Renten. Jedoch wird der Unterschied zwischen Lohn und Rente größer. Und um diese Lücke zu stopfen, bedarf es weiter einer privaten Rentenvorsorge.
Ob nun die Grundrente Altersarmut lindern kann, wird sich erst zeigen. Letztlich verhindern könne man Altersarmut nur durch Maßnahmen, die bereits am Arbeitsmarkt beginnen, fordern Gewerkschaften wie auch die Nationale Armutskonferenz: durch faire Löhne und ein faires Rentensystem.