Die Krise beim schwer angeschlagenen FC Bayern spitzt sich nach der nächsten Pleite immer mehr zu – die Lage für Trainer Thomas Tuchel wird immer brenzliger.
Thomas Tuchel und seine schwer geschlagenen Stars schlichen fassungslos in die Kabine. Beim FC Bayern herrschte nach der nächsten ernüchternden Pleite Alarmstufe Rot, der Druck auf den Trainer wird immer größer. „Es geht mir beschissen“, sagte Vorstandschef Jan-Christian Dreesen nach dem 2:3 (1:2) und einer erneut dürftigen Vorstellung beim klaren Außenseiter VfL Bochum entsprechend.
„Auf die nächsten Spiele konzentrieren“
Als es um die Zukunft von Tuchel ging, war er nicht so direkt. „Ich halte nichts von diesen monströsen Trainer-Unterstützungsbekundungen“, so Dreesen. „Ich weiß ja, was sie hören wollen, aber diese Treueschwüre sind ja nach einer Woche schon wieder vorbei. Deswegen sage ich es auf meine Art und Weise. Das ist aktuell kein Thema, mit dem wir uns beschäftigen. Wir müssen uns auf die nächsten Spiele konzentrieren.“ Ob Tuchel dann am Samstag gegen Leipzig auf der Bank sitze? „Selbstverständlich.“ Tuchel selbst nahm diesmal sein Team in Schutz. „Diese Niederlage unterscheidet sich. Was schiefgehen kann, ist heute schiefgegangen. Es ist extrem viel gegen uns gelaufen. Wir hatten viele hochkarätige Chancen. Das war nicht verdient“, sagte Tuchel bei DAZN.
Nach den Enttäuschungen von Leverkusen und Rom wird die Lage beim Rekordmeister immer brenzliger. An der Tabellenspitze der Bundesliga hat Bayer Leverkusen nun acht Punkte Vorsprung, der Titelverteidiger hat die zwölfte Meisterschaft in Serie längst nicht mehr in der Hand. Diese sei „gerade nicht so realistisch“, so Tuchel. Es droht gar die erste titellose Saison nach zwölf Jahren. Für den eigentlichen Bayern-Aufbaugegner Bochum sorgten Takuma Asano (38.), Keven Schlotterbeck (44.) und Kevin Stöger (78.) per Foulelfmeter für die Sensation. Jamal Musiala (14.) hatte den Favoriten zunächst in Führung geschossen. Zu allem Überfluss sah Bayern-Verteidiger Dayot Upamecano auch noch Gelb-Rot (77.). Harry Kane verkürzte mit seinem 25. Saisontor (87.) nur noch.
Im Vorfeld der Partie, die einmal mehr von massiven Fanprotesten begleitet war, hatte Tuchel Sorgen um seine Zukunft noch weggeschoben. „Es macht keinen Sinn, sich darüber Gedanken zu machen“, sagte er bei DAZN. Es herrsche beim Rekordmeister „eine Stimmung, als wären wir auf einem Relegationsplatz. Wir werden intern aber nicht alles in Schutt und Asche reden.“ Dies könnte nun aber passieren. Im Vergleich zum Spiel in Rom tauschte Tuchel zweimal. Überraschend begann Eric Maxim Choupo-Moting für Leroy Sané, der laut Tuchel „seit Wochen mit Schmerzen in der Patellasehne“ kämpfe und von der Bank kam. Upamecano, der schon in Rom mit Rot vom Platz geflogen war, blieb ebenfalls zunächst draußen, Matthijs de Ligt begann für ihn. Die von Tuchel erhoffte Reaktion ließ auf sich warten, die erste Chance im Dauerregen von Bochum hatten die Gastgeber durch einen Kopfball von Kapitän Anthony Losilla (6.). Der Favorit hatte mehr Ballbesitz, wie zuletzt aber zu Beginn wenig Ideen in der Offensive. Doch die Bayern steigerten sich – und schlugen eiskalt zu, verpassten aber das 2:0 durch Kane (19.). Es folgten Proteste. Erst warfen die Bochumer Fans immer wieder Tennisbälle auf den Rasen, dann die Bayern-Anhänger. Insgesamt dauerte die erste Pause 13 Minuten.
Aus der Unterbrechung heraus schockte der VfL die Bayern mit zwei Toren. „Ganz Bochum ist stolz auf diese Leistung. Der Sieg ist gar nicht so unverdient. Wir haben extrem eklig gespielt“, sagte Stöger. Nach der Halbzeit gab es die nächste Pause durch Tennisbälle: Während der neunminütigen Unterbrechung schickte Schiedsrichter Daniel Schlager die Teams in die Kabine. Als es weiterging, drückten die Bayern, doch es fehlte erneut die Leichtigkeit, auch wenn Tuchel mit einigen Einwechslungen ins Risiko ging. Bochum hingegen verteidigte mit Leidenschaft und kam per Elfmeter zum 3:1, ehe Kane abstaubte. Die Bayern drängten nun, aber ohne Erfolg. „Es fühlt sich an wie ein Horrorfilm, der einfach nicht aufhört. Es läuft alles gegen uns. Wir können uns hinstellen und erzählen, dass wir gut ins Spiel gekommen sind – sind wir auch, aber dabei kommt man sich bescheuert vor“, sagte Leon Goretzka und selbst der Wortführer war fast sprachlos.
„Eine Woche zum Vergessen“
Thomas Müller sendet als Mensch gewordenes „Radio“ in allen Lebenslagen, doch die schwere sportliche Krise bei seinem FC Bayern machte selbst den Routinier wortkarg. „Eine Woche zum Vergessen. Es ist schwierig, die richtigen Worte für unsere Gefühle zu finden“, schrieb Müller nach dem 2:3 am Sonntagabend beim VfL Bochum bei Instagram. Über den schwer angeschlagenen Trainer Thomas Tuchel äußerte sich Müller erwartungsgemäß nicht. „Wir müssen uns weiterentwickeln, auch wenn es im Moment schwierig erscheint“, forderte Müller in seinem Beitrag im Netz noch. Seine Sätze versah er mit allerlei Parolen wie „In guten wie in schlechten Zeiten“, Zusammenhalten“, „Wieder aufstehen“ und „Wenn’s scheiße läuft, läuft’s scheiße“. In der Tat: Drei Pflichtspiel-Niederlagen nacheinander wie jetzt im Liga-Gipfel in Leverkusen (0:3), im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Lazio Rom (0:1) und in Bochum erlitten die Bayern zuletzt im Mai 2015. Das Verhältnis Mannschaft und Trainerstab scheint auch nicht mehr allzu harmonisch zu sein. Der ausgewechselte Nationalspieler Joshua Kimmich und Co-Trainer Zsolt Löw sollen einem Bericht der „Bild“-Zeitung zufolge beim Weg in die Kabine verbal aneinandergeraten sein. Weder Trainer Tuchel noch Vorstandschef Dreesen dementierten den Streit. „Josh muss einigermaßen bedient gewesen sein auf der Auswechselbank, das ist aber normal“, sagte Dreesen zu jener Situation. „Er gibt immer alles und will gewinnen. Dass Josh in dem Moment einfach sauer ist, ist nachvollziehbar.“