Wer in seinem neuen Job gleich alles umgestalten möchte, könnte diesen schnell verlieren, warnt Roger Loos. Seit vielen Jahren trainiert der selbstständige Berater und Coach Führungskräfte und weiß, was einen erfolgreichen Chef ausmacht.
Ich kann alles besser. Ich entscheide, Sie führen aus. Jetzt wird alles anders: Drei Sätze, mit denen sich der „neue Chef" den Start in seine neue Tätigkeit schnell versemmeln kann. Denn Fehler, die die frisch gekürte Führungskraft in den ersten hundert Tagen macht, sind nur sehr schwer wieder auszubügeln.
Roger Loos kann ein Lied davon singen, was Führungskräfte alles falsch machen können beim Start in den neuen Job. Der selbstständige Berater und Coach von namhaften großen und mittelständischen Unternehmen trainiert seit vielen Jahren Führungskräfte in der Anfangsphase ihres neuen Wirkungsbereichs.
Doch wie macht man es richtig? Wie schafft man die erfolgversprechende Basis, auf der „der Neue" mit „den Alten" gemeinsam zum Wohle der Firma zusammenarbeitet?
„Vor vielen Jahren hat mir ein Personalchef in einem vertraulichen Gespräch gestanden, dass über 30 Prozent der von ihm eingestellten Führungskräfte die Probezeit nicht überstehen. Sie werfen das Handtuch, verlassen die Firma und hinterlassen einen riesigen Schaden", erzählt der Experte.
Jedes Unternehmen steckt viel Geld und Zeit in die Auswahl seiner Führungskräfte. Bevor sich ein Unternehmen für eine neue Führungskraft entscheidet, finden zahlreiche Bewerbungsgespräche, Diskussionsrunden, Selbstpräsentationen und Rollenspiele mit dem potenziellen Chef statt. Schließlich treffen sie eine Wahl und wenn der Neue nach kurzer Zeit wieder geht, schadet das dem Unternehmen nicht nur in finanzieller und personeller Hinsicht, auch das Image als Arbeitgeber und die Leistungsfähigkeit des Unternehmens leiden.
„Das Klagelied von Personalchefs über neue Führungskräfte, die sich nicht in die Firma einfühlen konnten, mit den Mitarbeitern nicht zurechtkommen, von ihren Teams boykottiert wurden, falsche Ziele ausgerufen haben und letztendlich in sie gesetzte Hoffnungen nicht erfüllen konnten, habe ich nicht nur einmal gehört", berichtet Roger Loos über die Ursprünge seiner Beratertätigkeit für Schulungen von Führungskräften. „Umgekehrt haben mir Mitarbeiter erzählt, dass der neue Chef sie krank mache und sie keine Lust mehr auf der Arbeit hätten. Dass sie mit Magenschmerzen zur Arbeit fahren und nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Beides schadet den Unternehmen."
Deshalb hat er in Unternehmen dafür geworben, neue Führungskräfte nicht ins kalte Wasser zu werfen, sondern ihnen eine professionelle Begleitung an die Seite zu stellen. „Auch der versierteste Manager kann an seine Grenzen stoßen, braucht einen ‚externen Blick‘ auf zwischenmenschliche Unternehmensabläufe. Ein Coaching in den Anfangstagen kann verhindern, dass der Neue in zu viele, vor allem aber vermeidbare Fettnäpfchen tritt."
Kurz und gut: Mit professioneller Hilfe für ihre neuen Führungskräfte können Unternehmen sicherstellen, dass der Neustart für beide Seiten gelingt und Mitarbeiter, Führungskräfte und Unternehmensleitung respektvoll, zufrieden und motiviert „am gleichen Strang ziehen".
„Fragen stellen, Mitarbeiter erzählen lassen und aufmerksam zuhören"
Ein paar einfache Regeln gilt es dabei zu beachten: In den ersten Tagen sollte der neue Chef vor allem Vertrauen zu seinen Mitarbeitern aufbauen, zuhören, Ruhe ins Unternehmen bringen und nichts verändern. „Wenn ich das den Chefs rate, ernte ich häufig ungläubiges Kopfschütteln", weiß Loos. „Viele meinen, sie müssten den Laden mal so richtig aufmischen, die Axt anlegen, mit dem großen Besen kehren. Alles falsch. Besser ist es, der Chef lässt sich von seinen Mitarbeitern erzählen, was sie machen, welche Aufgabenbereiche sie abdecken, wie ihre Selbsteinschätzung ist und welche Schwierigkeiten und Probleme es gibt. Dies widerspricht häufig dem eher männlichen Führungsstil, den ich gerne als ‚Moses-Strategie‘ bezeichne. Warum irrte Moses 40 Jahre durch die Wüste? Weil er nicht nach dem Weg fragte. Männer sind es weniger gewohnt, andere zu fragen, wo es genau ruckelt in einem Unternehmen. Deshalb die wichtigste Regel für den Einstieg: Fragen stellen, Mitarbeiter erzählen lassen und aufmerksam zuhören."
Dann sollte der neue Chef zugleich einen gern gemachten Folgefehler vermeiden: Viele Versprechen machen und mit solchen Aussagen wie „das werde ich ändern" oder „das werde ich so nicht mehr zulassen" besser umgangen werden. Stattdessen sollte mit Formulierungen reagiert werden, wie zum Beispiel: „Ihre Anregungen lasse ich jetzt erst einmal sacken, ich denke darüber nach und komme darauf zurück."
Wichtig ist auch für jeden Chef, sich schnell mit Gepflogenheiten in der Firma vertraut zu machen. Wer trinkt aus welcher Kaffeetasse, wer sitzt wo, wie sind die Tagesabläufe, wer muss informiert werden bei welchen Entscheidungen und Vorgängen?
Im nächsten Schritt sollte der neue Chef aus dem Gehörten sein persönliches Fazit ziehen und den Mitarbeitern seine Erkenntnisse offenlegen und die daraus resultierenden Entscheidungen mitteilen. Anstehende Änderungen müssen Hand in Hand mit den Mitarbeitern getroffen und durchgeführt werden. Transparenz ist hier das Zauberwort.
Manchmal können zu diesem Zeitpunkt schon schmerzliche Entscheidungen anstehen. Hat sich aus den Mitarbeitergesprächen beispielsweise herauskristallisiert, dass ein Kollege sich ständig vor der Arbeit drückt und der Rest des Teams schon lange darunter leidet, muss der neue Chef Konsequenzen ziehen. „Ich rate dann, den besagten Mitarbeiter einzubestellen und ihm klar zu sagen, welche Leistung er bringen muss. Ändert sich nichts in seinem Arbeitsstil, dann muss er das Team verlassen. Sonst heißt es ganz schnell auf dem Flur: ‚Nicht mal der Neue traut sich, den arbeitsunwilligen Kollegen zu entlassen.‘" Respekt verschafft sich der neue Chef mit mangelnder Entscheidungsfähigkeit auf jeden Fall nicht. Aber: Respekt ist wichtig, will man als Chef ernst genommen werden. So habe kürzlich Loos eine junge Führungskraft betreut, die zum Einstieg in die neue Tätigkeit erst einmal alle Mitarbeiter zum Essen in die Kantine eingeladen hatte. Dieser neue Chef hätte an alles gedacht: Einen schönen Tisch ausgesucht, Essen und Getränke vorbestellt, die Mitarbeiter in den Büros abgeholt und zur Kantine begleitet. „Höflich, wie er war, hielt er allen Mitarbeitern die Tür zur Kantine auf", erzählt Loos. Auch an die Reaktion kann sich der Coach noch gut erinnern. „Ein Mitarbeiter sagte im Vorbeigehen: ‚Da haben Sie ja den richtigen Job‘. Der junge Chef kochte innerlich vor Wut, doch beherzigte auch meinen Rat und blieb erst einmal gelassen, ließ alle Mitarbeiter das Essen genießen und sagte dann am Ende zu dem vorlauten Mitarbeiter in einem ruhigen aber bestimmten Ton, so dass es seine Kollegen hören konnten: ‚Kommen Sie bitte nachher noch zu mir ins Büro. Ich habe Klärungsbedarf.‘" Unter vier Augen wurde dem Mitarbeiter deutlich gemacht, dass ein solches Verhalten respektlos sei und somit auch nicht geduldet werden kann. „Leider kapierte der Mitarbeiter nicht, was der neue Chef ihm sagte", sagt Loos. „Letztlich wurde sein Arbeitsvertrag nicht verlängert. Die anderen Mitarbeiter konnten durch dieses konsequente Verhalten erkennen, dass der junge Chef sich nicht auf der Nase rumtanzen lässt."
Wenn der Chef alles regelt, fördert diese Verhaltensweise vor allem die Passivität
In vielen Unternehmen ist es heute so, dass bei Problemen der Chef gefragt wird. Er soll entscheiden. „Mir selbst erging es noch so, als ich in früheren Jahren ein Unternehmen leitete. Meine Mitarbeiter kamen kurz vor Feierabend zu mir ins Büro und sagten: ‚Chef, ich habe hier ein Problem, ich komme nicht weiter.‘ Dann gingen sie heim, und ich saß noch lange am Schreibtisch und suchte nach einer Lösung." Irgendwann merkte Loos, dass er gar keine Freizeit mehr hatte, sich völlig überforderte, keine Zeit mehr für seine Familie blieb, weil er nur nach Lösungen von Problemen seiner Mitarbeiter gesucht habe. Deshalb drehte er den Spieß um. Kam wieder ein Mitarbeiter kurz vor Feierabend in sein Büro, sagte Loos zu ihm: Haben Sie Zeit, mir das Problem genauer zu erklären und vielleicht sogar Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen? „Da hörte ich: ‚Nein, das geht jetzt nicht, ich will ja gleich nach Haus.‘ Dann entgegnete ich: ‚O.k., dann denken Sie morgen früh darüber nach, welche Lösungsmöglichkeiten Sie für Ihr Problem sehen, und dann entscheiden wir, welchen Ansatz wir wählen‘." Damit wurden die Mitarbeiter zu Entscheidungsträgern gemacht und wurden zusätzlich noch motiviert, selbst nach Lösungen zu suchen.
Als Führungskraft muss man sich bewusst sein, dass auch neue Regeln festgelegt werden dürfen. Allerdings muss das transparent dargelegt werden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie auch eingehalten werden.
Eine Einstellung, die Loos heute allen Führungskräften ans Herz legt. „Die Mitarbeiter sind diejenigen, die Fachkompetenz haben, über langjähriges Wissen und Ausbildung verfügen. Sie müssen sich als Entscheider wertgeschätzt fühlen. Der Chef ist oft fachfremd, er muss auch nicht das Fachwissen mitbringen, er muss den Mitarbeitern aber Mittel und Wege zur Verfügung stellen, Entscheidungen treffen zu können. Alles andere ist demotivierend für die Mitarbeiter. Das fördert nämlich Mitarbeiter, die nicht mehr mitdenken, weil der Chef alles regelt." Besser für ein Unternehmen sind Mitarbeiter, die sich einbringen, sich trauen, eigene Entscheidungen zu treffen. Und wenn sie Fehler machen, darf das heute kein Beinbruch mehr sein. „Unser Bildungssystem, das schon in der Grundschule beim Diktat darauf weist, dass das Kind fünf Wörter falsch geschrieben hat, statt zu loben, dass immerhin 30 Wörter richtig geschrieben wurden, hindert mutig eigene Entscheidungen zu treffen."
Hat die neue Führungskraft einen Überblick über Unternehmensabläufe gewonnen, Vertrauen aufgebaut, sich Respekt verschafft durch klare Ansagen und seine Mitarbeiter motiviert, sich mit ihm für das Unternehmen einzubringen, dann ist der Neustart gelungen. „Der Personalchef, der einst an der hohen Abbrecherquote seiner Führungskräfte verzweifelte, ist mittlerweile ein begeisterter Fan des Führungskräfte-Coachings", sagt Loos. „Mittlerweile bleiben über 80 Prozent der von ihm ausgesuchten und von uns betreuten Führungskräfte dem Unternehmen erhalten. Eine gute Entwicklung für beide Seiten, würde ich sagen."