Im vergangenen Jahr wanderten rund 450.000 Menschen den Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Abseits der eher bekannten Wege geht es auf der Alternativroute, dem Winterweg, ruhiger zu.
Kaum eine andere Wanderstrecke in Europa ist so mythenumrankt, und auch so bekannt wie der Jakobsweg. Im letzten Jahr wanderten 450.000 Pilger und Pilgerinnen aus aller Welt nach Santiago de Compostela in Galicien in Nordspanien, zwei Drittel davon auf dem „Camino Francés“, dem 800 Kilometer langen „Französischen Weg“, der in Frankreich beginnt, durch viel bergiges Gebiet führt und dadurch durchaus anspruchsvoll ist. Die Zahlen belegen allerdings auch: Es wird auf dem Französischen Weg immer voller.
Viele Klöster liegen am Weg
Mittlerweile begeben sich sogar weitgereiste Pilger aus Japan oder China auf die Wanderungen – Länder also, in denen der christliche Glaube kaum eine Rolle spielt. Mit der Geschichte des Heiligen Jakobus ließen sich ganze Bücher füllen, hier nur so viel: Am 25.Juli 816 wurde Jakobus in der eigens dafür errichteten Kathedrale von Santiago de Compostela in einem Silbersarg beigesetzt. Die Grabkirche gilt neben Rom und Jerusalem als die bedeutendste der christlichen Welt. Kein Wunder also, dass jedes Jahr die Zahl der Touristen ansteigt, zumal die Kathedrale selbst vor ein paar Jahren aufwendig saniert wurde und nun wieder in voller Pracht erstrahlt.
Der Weg nach Santiago de Compostela, der Hauptstadt der Region Galicien, ist kein einzelner Weg, sondern es gibt mindestens vier auf spanischem Gebiet, einer beginnt im portugiesischen Porto, je nach Zählweise sind es aber auch noch mehr. Ein weniger bekannter, und deutlich weniger frequentierter, ist der „Winterweg“, wobei der Name (Camino de Invierno) ein wenig irreführend ist. Denn auch wenn er mit seinen vielen am Weg gelegenen Klöstern (daher auch die Bezeichnung „Ribeira Sacra“) schon vor einigen hundert Jahren das Reisen im Winter möglich machte, ist er heute doch ein Weg, den man auch im Sommer machen kann – allerdings empfehlen sich der Juli und August wegen der großen Hitze nicht unbedingt. Die anderen Hauptwege sind rund um den 25. Juli, dem Tag des Heiligen Jakobus, sowieso rappelvoll, ebenso wie die Unterkünfte, sodass der Aufbruch rund um dieses Datum stets nur unter erschwerten Bedingungen zu bewerkstelligen ist. Auf dem Winterweg, der über weite Strecken an den Ufern des Flusses Sil entlangführt, ist aber meist deutlich weniger los, sodass man selbst im Sommer noch einsame Strecken entdecken kann und Zeit zum Innehalten hat.
Ein Ausflug in eine Weinregion
Der Anfang des Winterwegs: Er beginnt im gut 200 Kilometer vor Santiago gelegenen Ponterrada. Es empfiehlt sich, auch mal vom Weg abzuweichen, und Entdeckungen zu machen, etwa in der Region Valdeorras. Dort wird hervorragender Wein angebaut. Die bekanntesten Weine Galiciens sind die Weißweine Albarino, Godello und Treixadura, auch Rotwein wird zu einem größeren Teil produziert, er nennt sich „Mencía“. Joaquín Sanchez ist Präsident der örtlichen Weinassoziation und führt schon mal gerne selbst durch ein örtliches Weingut. Einzelne Winzer bauen für den Eigenbedarf ihren Wein in Fässern aus, die sie in Höhlen lagern – eine alte Tradition, die aber für die kommerzielle Produktion keine Bedeutung mehr hat, dieser Wein darf allenfalls in kleineren Mengen an Touristen ausgeschenkt werden. „Der galicische Wein steigert sich von Jahr zu Jahr sowohl in der Produktion wie in der Qualität. Wir sind aber dennoch noch nicht so bekannt, wie andere Regionen“, sagt Sanchez. Der vor Ort kredenzte Weiß- sowie Rotwein schmeckt voll und mineralisch. Die Qualität des Weins hat sich jedenfalls rumgesprochen, auf einer eigens entworfenen Route kann man die „ruta do vino“ entlangwandern und von Bodega zu Bodega laufen. Mit dem Winterweg hat diese Route dann aber nichts mehr zu tun. Die galicischen Weine werden nach dem „Terroir“-Prinzip hergestellt, die Trauben stammen also wirklich aus der jeweiligen Region und werden nicht miteinander vermischt, ein Genuss für Weinfans.
Nicht verpassen sollte man die vielen Kirchen und Klöster, die auf dem Weg liegen und einen verwunschenen Eindruck machen. Grünbemooste Bäume lassen an Harry-Potter-Drehorte denken, das raue Klima Nordspaniens nagt an den Gemäuern. Vieles ist hier auf den ersten Blick verwittert, doch der Eindruck täuscht, viele Kirchen wurden saniert, und in manchen kann man spannende Entdeckungen machen: In der „Ermita de Nuestra Senora de Faro“ zeigt ein kleines Museum, wie das Leben einiger Mönche zu damaligen Zeiten hier und in anderen Klöstern in der Gegend war. Wer sich mehr und tiefgängiger mit der Kirchengeschichte beschäftigen will, kann sogar eine eigene Tour buchen. Beatriz Perez Pereira bietet geführte Touren durch die Kirchen und Klöster an („Mais que romanico“ heißt ihre Firma), die heute nicht mehr in Betrieb sind. Dutzende Schlüssel hat sie an der Hand, einige der uralten großen Schlüssel, mit denen man Zugang zu den alten Gemäuern bekommt, haben 200 Euro pro Stück gekostet. Pereira erzählt Geschichten aus einer versunkenen Welt, die Jahrhunderte zurückliegt. Die Pilger und Pilgerinnen, die sich auf den Winterweg machen, interessieren sich oft nicht so sehr für die Sehenswürdigkeiten, die rechts und links des „Caminos“ liegen. Das ist schade, so kann man etwa in Belesar, einem Ort, der am Fluss Sil liegt, eine Bootsfahrt machen– die aber den Weg hinauf, zurück auf den Winterweg nicht vereinfacht, sondern nur etwas abkürzt.
Wer nach Tagen und Wochen in Santiago de Compostela ankommt, hat gleich mehrere Möglichkeiten, sich für die Strapazen der Wanderung gebührend zu belohnen: Viele Pilger gehen in den „Mercado de abasto“: Hier im Hauptmarkt von Santiago de Compostela in der Altstadt werden vor allem Meeresfrüchte zelebriert, Muscheln, wie die „Zamburina“, die meistens aus Zuchtbecken kommen, die an der atlantischen Küste liegen. Mit dem Oktopus, dem Nationalgericht Galiciens, gelingt das bislang noch nicht, so dass man wegen der großen Nachfrage den Pulpo teils aus Marokko importieren muss.
Durch das Mittagessen gestärkt, ziehen die Pilger und Pilgerinnen ins zentrale Büro, wo man sich das offizielle Dokument der Wanderung abholen kann. Das Büro ist organisiert wie ein deutsches Bürgeramt, mit Wartenummern, die aufgerufen werden. Viele Sprachen werden hier gesprochen, neben Spanisch, Galicisch, Englisch auch Französisch, Deutsch und sogar Mandarin.
Der Weg ist eine Herausforderung
Jenny ist eine junge Deutsche um die 30, die als freie Mitarbeiterin im Büro arbeitet und seit sechs Jahren in Santiago de Compostela lebt. Sie erzählt, dass viele Menschen sehr emotional im Büro ankommen: „Es kommt immer darauf an, warum sie laufen, ob sie alleine sind, oder zu zweit.Manche brauchen auch mal eine Umarmung, die wir dann auch geben, wenn sie es möchten. Alles ist sehr emotional, sehr freudig, aber auch traurig, weil es hier dann zu Ende ist. Aber der Camino endet ja hier nicht, viele kommen nochmals und begeben sich auf eine andere Route. Manche verlängern auch noch den Weg, indem sie in das 80 Kilometer weiter westlich gelegene Finisterre wandern, dem „Ende der Erde“, wenn man den Namen wörtlich übersetzt.“ Wer die offizielle Urkunde bekommen will, muss einige Regeln beherzigen: Man muss mindesten 100 Kilometer gelaufen sein, oder 200 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren sein, und man muss auf dem Online-Formular unbedingt ankreuzen, dass man aus spirituellen Gründen aufgebrochen ist. Ein Zugeständnis an die Katholische Kirche, die zwar nicht offiziell den Jakobsweg anbietet, aber dennoch die spirituelle Hand über den Camino hält.
Was bietet also der „Camino de Invierno“? Er ist wohl heute das, was der Camino Francés und auch die anderen gut erschlossenen Wege über viele Jahre hinweg bis in die 90er-Jahre war: eine Herausforderung für entschlossene und aufgeschlossene Pilger, die auch längere Etappen gehen können und mit der Einsamkeit keine Probleme haben. Ein bisschen Spanisch zu sprechen hilft um hier und da besser zurechtzukommen. Ein Abenteuer, das jeder und jede selbst ausgestalten kann, ist der Winterweg allemal.