Abstieg, Relegation, Klassenerhalt – im Saisonfinale ist für Union Berlin noch alles möglich. Der dramatische Rückschlag in Köln war für die Vorbereitung auf das letzte Spiel gegen Freiburg Gift.
Dirk Zingler wusste natürlich, dass seine Glaubwürdigkeit infrage gestellt wird. Wer einem Trainer vor laufender Kamera die „volle Unterstützung“ des Clubs versichert und felsenfest behauptet, „dass die Spieler dem Trainer folgen“, nur um selbigen Trainer einen Tag später doch zu entlassen, der muss sich kritische Fragen gefallen lassen. Und Zingler stellte sich diesen Fragen. In einer Pressekonferenz nach der Entlassung von Nenad Bjelica versuchte der Präsident von Union Berlin seine Aussagen und Entscheidungen zu rechtfertigen – und er sparte dabei auch nicht mit Kritik an den Medien. „Sie spekulieren permanent über Menschen, das geht mir richtig auf den Zeiger“, sagte Zingler zu den anwesenden Journalisten: „Wir verlieren jegliches Maß. Es ärgert mich total. Diese Spekulationen über Menschen.“
„Wir verlieren jegliches Maß“
Vor Bjelicas Entlassung hatte das Fachblatt „Kicker“ berichtet, dass eine Trennung vom Kroaten spätestens nach Saisonende bereits beschlossene Sache gewesen sei. „Es wurde keine Entscheidung getroffen“, dementierte Zingler einmal mehr den Bericht: „Es gilt immer nur das, was die Menschen auf direkten Wegen miteinander kommunizieren.“ Dass öffentlich seine Glaubwürdigkeit infrage gestellt wird, lässt Zingler zumindest äußerlich kalt: „Das tangiert mich überhaupt nicht.“ Wichtig sei ohnehin aktuell nur der Klassenerhalt, und nur deswegen habe der Club zwei Spieltage vor Saisonschluss noch einmal die Reißleine gezogen und zum zweiten Mal in dieser vermaledeiten Spielzeit den Trainer entlassen. Doch zumindest kurzfristig hat sich das nicht ausgezahlt. Durch das dramatische 2:3 in der Vorwoche beim Tabellenvorletzten 1. FC Köln hat sich die Ausgangslage vor dem Saisonfinale sogar noch verschlimmert.
Union ist auf den Relegationsrang 16 abgerutscht und hat den direkten Klassenerhalt nicht mehr in der eigenen Hand. Schlimmer noch: Es droht sogar noch der Direktabstieg. Sollten die Eisernen ihr Heimspiel am Samstag (18. Mai) gegen den SC Freiburg verlieren und Köln zur gleichen Zeit beim 1. FC Heidenheim gewinnen und die aktuell um drei Treffer schlechtere Tordifferenz wettmachen, tauschen beide Clubs die Plätze. Dann müsste der Champions-League-Starter dieser Saison als 17. den bitteren Gang in die Zweite Liga antreten, Köln könnte sich in einem Relegations-Duell gegen den Zweitliga-Dritten noch retten. Die Plätze 15 und 14 sind für Union zwar auch noch möglich. Doch vor allem die formstarken Mainzer, die zuletzt sogar Champions-League-Finalist Borussia Dortmund mit 3:0 düpierten, sind im Fernduell beim VfL Wolfsburg im Vorteil. Dem VfL Bochum reicht im Auswärtsspiel bei Werder Bremen ein Punkt, um sich in der Endtabelle sicher vor Union zu platzieren.

Was aber noch stärker gegen Union spricht als die nackten Zahlen, ist der heftige Nackenschlag, den die Last-Minute-Niederlage in Köln verursachte. Bis zur 87. Minute war Union beim Stand von 2:1 der große Gewinner des vorletzten Spieltags im Abstiegskampf gewesen. Doch die Eisernen verspielten die hervorragende Ausgangslage durch zwei späte Gegentreffer fast schon fahrlässig. Danach ließen die Spieler die Köpfe hängen, das ohnehin angeknackste Selbstvertrauen hat noch mal sichtlich gelitten. Entsprechend wollte Interimstrainer Marco Grote nicht noch extra draufhauen. Er wählte stattdessen aufbauende Worte, die aber für neutrale Beobachter eher wie Durchhalteparolen klangen. „Das ändert auch nicht wahnsinnig viel an unserer Situation, die jetzt aber etwas unbequemer, etwas schwieriger ist“, sagte Grote. Der eigentliche Coach der A-Junioren, der bereits nach der Entlassung von Urs Fischer im November interimsmäßig die Bundesligaprofis übernommen und damals mit einem 1:1 gegen den FC Augsburg eine Niederlagenserie beendet hatte, wollte sich das Spiel in Köln nicht schlechtreden lassen: „Da waren viele Sachen auch richtig gut – aber eben nicht lange genug. Jetzt geht es darum, weiterzumachen.“
Der Rucksack, den die Spieler auf dem Rasen im übertragenen Sinn mitschleppen, ist nach dem letzten Wochenende noch mal deutlich schwerer geworden. Kaum jemand hatte zu Saisonbeginn in der Euphorie um die Premierensaison in der Champions League und vermeintliche Toptransfers wie Robin Gosens, Kevin Volland und Leonardo Bonucci den Abstiegskampf erwartet. Er ist auch neu für die Berliner. Von allen Abstiegskandidaten wirken sie nach außen aktuell am wenigsten als verschworene Einheit. „Wir schaffen es nur zusammen. Das war bei Union immer so. Und wir müssen daran glauben“, sagte Rechtsverteidiger Christopher Trimmel. Der Kapitän forderte für das entscheidende Spiel gegen Freiburg mehr Mut und Selbstvertrauen: „Wenn es Spieler gibt, die nicht daran glauben, dann brauchen sie nicht mehr zu kommen. Aber ich glaube, dass da keiner dabei sein wird.“
Mehr Mut und Selbstvertrauen fürs letzte Spiel
Unmittelbar nach dem Abpfiff in Köln gab es aber fast nur Leere bei den Berlinern. „Schluss in Köln. Keine Worte“, schrieb der Club auf der Kurznachrichtenplattform X. Eine halbe Stunde dann später fand die Social-Media-Abteilung dann doch noch ein paar Worte, die eine Danksagung an die leidensfähigen Fans waren: „Wir können es euch wieder nicht zurückzahlen, aber DANKE für die irren Strecken, die ihr in dieser Saison für uns abgespult habt. Ob Sieg oder Niederlage, ob schön oder scheiße gespielt. Ihr wart immer da und werdet es auch immer sein. Wir sehen uns nächsten Samstag. Mit aller Gewalt …“. Keine Frage: Union wird gegen Freiburg auf Sieg spielen und sich – wenn überhaupt – erst in der Schlussphase mit Rechenspielen befassen. „Wir haben nach wie vor die Zuversicht, den Glauben und die Überzeugung und auch das Vertrauen in diese Mannschaft“, meinte Interimscoach Grote.
Gegner Freiburg wird den 34. Spieltag aber ganz sicher nicht als Sommerkick bestreiten. Zum einen kämpfen die Breisgauer noch um die Europapokal-Qualifikation. Zum anderen wollen sie ihrem Trainer Christian Streich in dessen letzten Spiel für seinen Herzensclub unbedingt einen Sieg zum Abschied schenken. Sollte Freiburg die Unioner in die Zweite Liga schießen, würde Streich das sicher leidtun. Der 58-Jährige hatte sich in der Vergangenheit mehrfach als Sympathisant des Unioner Wegs geoutet. „Wenn ich jetzt nicht Bundesliga-Trainer bei einem anderen Verein wäre, würde ich fragen, ob ich mal hingehen dürfte, um zu schauen, was sie da machen – besonders defensiv“, hatte Streich einmal gesagt. Damals war aber noch Urs Fischer an der Seitenlinie verantwortlich. Die defensive Stabilität hat seitdem mächtig gelitten – auch das wurde Bjelica zum Verhängnis.
Dass der Kroate in der Club-Mitteilung zur Trennung mit keiner Silbe selbst zu Wort kam, lag laut Zingler nicht an Union. „Wenn es der Club, obwohl er für eine schöne Verabschiedungskultur bekannt ist, nicht tut, dann muss es ja einen Grund dafür geben, der nicht bei uns liegt“, sagte der Präsident. Man wolle ehemalige Mitarbeiter immer wohlwollend verabschieden, „aber dazu gehören dann oft zwei“. Er bedauere, dass sich die Wege nicht ganz so harmonisch getrennt hätten. Doch aktuell hat Union deutlich größere Probleme.