Löwen, hungernde Kinder, Solaranlagen – Afrika weckt viele Assoziationen im Kopf. 54 Staaten lassen sich aber nicht über einen Kamm scheren. Deutschland nimmt in seiner Afrika-Strategie eine neue Haltung ein, gegenüber einem Kontinent, der viele Potenziale hat.
In einer Statista-Umfrage im Jahr 2010 wurden knapp 27.000 Menschen in Deutschland und der übrigen EU verschiedene Bilder vorgelegt. Sie sollten an Afrika denken und einordnen, welches der Bilder das positivste ist. Darunter waren: Wildlebende Tiere, die Schönheit der Natur, Kunst, Kultur und Musik, sportliche Erfolge, erneuerbare Energie, Unternehmergeist und neue Geschäftsmodelle. Am positivsten assoziierten die Deutschen wildlebende Tiere mit rund 33 Prozent. Darauf folgte die Schönheit der Natur mit 27 Prozent sowie Kunst, Kultur und Musik mit 13 Prozent. Erneuerbare Energien, Unternehmergeist und neue Geschäftsmodelle belegten die letzten Plätze mit weniger als fünf Prozent. Die Umfrage zeigt, dass Europäer und Europäerinnen Afrika noch immer mit verklärten Filmszenen assoziieren, nicht jedoch mit Modernität, wirtschaftlichem Wachstum oder technologischem Fortschritt. Aktuelle Zahlen zeigen jedoch etwas anderes.
Nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) leben in Afrika rund 1,4 Milliarden Menschen, von denen 40 Prozent jünger als 15 Jahre sind. In den 54 Staaten gibt es derzeit 56 Städte mit mehr als einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern. Die UN rechnet mit einem Zuwachs städtischer Bevölkerung von 174 Prozent – zum Vergleich: Für Europa wird ein Zuwachs von acht Prozent prognostiziert. 43 Prozent aller Menschen in Afrika leben in Städten.
Interesse an dem Kontinent wächst
2035 könnten auf dem Kontinent laut Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft 50 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden. Nach Angaben von Statista hat Afrika mit 49,9 Prozent den weltweit höchsten Anteil der erneuerbaren Energien im Primärverbrauch. Im Jahr 2022 betrug das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Kontinents geschätzt rund 7,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dazu hat er den höchsten Anteil an Unternehmerinnen in der Welt: Eine von vier Frauen gründet oder leitet laut Affirmation Finance Action for Women in Africa (AFAWA) ein Unternehmen.
„Die Art und Weise, wie Europa auf Afrika blickt, hat mit der Realität nichts zu tun“, sagte Aminata Touré, ehemalige Premierministerin des Senegal, 2020 im Interview gegenüber dem „Spiegel“. Deutschland, insbesondere das BMZ unter Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), will das mit der 2023 vorgestellten Afrika-Strategie ändern.
Darin verkündet sie eine neue Haltung: Deutschland strebt mit Afrika eine Partnerschaft auf Augenhöhe an. Mit Respekt, Fairness und einem Bewusstsein für die koloniale Vergangenheit, die Deutschland genauso mit zu verschulden hat wie andere europäische Länder. Über allem steht ein feministischer, postkolonialistischer, antirassistischer, sozial-ökologischer Ansatz. Übersetzt heißt das: Deutschland stellt Menschenrechte in den Fokus seines politischen Handelns.
„Afrika ist kein Land“, lautet die Mahnung, die Politikerinnen, Wirtschaftsexperten und Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen immer wieder anführen. In vielen Köpfen herrscht noch immer der Eindruck, Afrika sei ein Kontinent, dem geholfen werden muss, weil er sich nicht selbst helfen kann. Medienbilder von Flüchtlingsbooten, Dürren und abgemagerten Kindern tragen dazu bei. Zwar ist all das auch Teil von Lebensrealitäten in Afrika – und ebenso von deutscher Entwicklungspolitik. Allerdings nicht nur.
Während Burkina Faso noch immer das am schlechtesten elektrifizierte Land in Afrika ist, kann Kenia sich nahezu autark mit erneuerbaren Energien versorgen. Auf dem Kontinent, der so jung ist wie kaum ein anderer, wachsen Menschen zu Fachkräften der Elektrotechnik und der Solarenergie heran, die Deutschland für seine Energiewende dringend braucht. Ebenso wie Rohstoffe für Windkraftanlagen und Batteriezellen, von denen rund 30 Prozent des weltweiten Vorkommens in afrikanischen Böden liegen.
Afrika nimmt im globalen Wettbewerb eine neue Stellung ein und ist zum ersten Mal seit Langem in der Position, selbst entscheiden zu können, mit wem es zusammenarbeiten will. Auch das Interesse anderer Länder an dem Kontinent wächst. Wer das beste Angebot macht, gewinnt. Und was das Beste ist, kann je nach Land und Region sehr unterschiedlich ausfallen. Dabei sei man vielleicht nicht immer einer Meinung, sagt Svenja Schulze. Die Entscheidungen souveräner Staaten müssten allerdings respektiert werden. Deutschlands Aufgabe sei, Afrika auf dem Weg in die Zukunft zu unterstützen.
Deutschland muss zuhören
Die Bundesentwicklungsministerin ist davon überzeugt, dass internationale Zusammenarbeit die Weltgemeinschaft stärker macht. Und dass es auch im eigenen Interesse Deutschlands liegt, Afrika als Kontinent gegen die Klimakrise zu stärken, Ernährung zu sichern und die Menschen vor Krankheiten und Terror zu schützen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat deutlich gemacht, dass Deutschland seine Rolle in der Welt stärker wahrnehmen muss. Für Svenja Schulze ist eine feministische Entwicklungspolitik der Weg, genau das zu tun.
Studien haben bewiesen, dass die Chancen auf anhaltende Friedensabkommen um 20 Prozent steigen, wenn Frauen an Verhandlungen beteiligt werden. Dazu könnte das globale Wirtschaftswachstum bis 2025 um 28 Billionen US-Dollar steigen, wenn Frauen gleichberechtigt sind. Im Angesicht von Kriegen und der Klimakrise kann eine Gesellschaft es sich nicht mehr leisten, die Hälfte der Bevölkerung außen vor zu lassen. Und die Weltstaaten können es sich nicht leisten, nur an sich zu denken.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Afrika bedeutet für Deutschland auch, sich mit der eigenen Vergangenheit und den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen. Das kann unangenehm sein, sagt Marieke Fröhlich von Venro, dem Verband für Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe. Eine Lösung für den ganzen Kontinent gibt es nicht. Aber die Menschen wüssten sich schon zu helfen. Deutschland müsse vor allem eines: zuhören.