Im Europaparlament haben einzelne Abgeordnete mehr Gestaltungsmöglichkeiten als in nationalen Parlamenten, sagt die ÖDP-Europaabgeordnete und Spitzenkandidatin Manuela Ripa. Sie setzt sich unter anderem für eine Stärkung Europäischer Volksbegehren ein.
Frau Ripa, Sie sind die derzeit einzige saarländische Abgeordnete im Europaparlament – fühlen Sie sich in Brüssel beziehungsweise Straßburg manchmal vereinsamt?
(lacht) Ich hätte gerne mehr Kolleginnen und Kollegen aus dem Saarland vor Ort gehabt, in der Tat. Aber als einzelne Abgeordnete hat man im Europäischen Parlament viel mehr Mitwirkungsmöglichkeiten als in Parlamenten auf nationaler Ebene. Wenn man Berichterstatterin oder als so genannte „Schattenberichterstatterin“ an einzelnen Gesetzen arbeitet, so wie ich es gemacht habe, hat man entsprechenden Einfluss und kann seine Schwerpunkte, im meinem Fall das Ökologische, hineinverhandeln. Von daher habe ich mich nicht zu einsam gefühlt.
Jetzt müssen Sie uns noch erklären, was eine „Schattenberichterstatterin“ ist.
Als Berichterstatterin ist man im Parlament verantwortlich für den Bericht zu einem Gesetzesentwurf. Und dann bestimmt noch jede Fraktion jemanden, der für die Fraktion diesen Bericht mitverhandelt. Das nennt man „Schattenberichterstatter“. In dieser Funktion kann man Impulse setzen und Änderungsvorschläge für das Gesetz einbringen. Ich bin selbst Berichterstatterin für das gesamte Parlament für nachhaltige Wasch- und Reinigungsmittel. So hat man auch als einzelne Abgeordnete große Einflussmöglichkeiten. In dieser Funktion habe ich in meinem Bericht beispielsweise strenge Grenzwerte für den Gesamtphosphorgehalt eingebracht, was wichtig für den Umweltschutz ist. Andere Schattenberichterstatter hatten andere Grenzwerte vorgeschlagen, da musste man einen Kompromiss finden.
Vielfach wird über den großen Einfluss von Lobbyisten auf die europäische Politik gesprochen. Was ist da dran?
In Europa werden 80 Prozent aller Gesetze gemacht, die in Deutschland Anwendung finden. Die Gesetze werden für ganz Europa gemacht, also für 450 Millionen Menschen. Sie haben damit größere Auswirkungen als rein nationale Gesetze. Da ist es normal, dass viel mehr Lobbygruppen, Unternehmen aber natürlich auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Verbände in Brüssel unterwegs sind.
Ist das was Schlimmes?
(lacht) Um ein Gesetz zu machen, muss man sich alle Interessensgruppen anhören. Ich bin Juristin, ich höre mir alle Gruppen mit ihren verschiedenen Ansichten an, sonst kann ich auch kein gutes, ausgeglichenes Gesetz machen. Gesetze betreffen nun mal auch Unternehmen, also muss man sich auch mit denen beraten, wie mit den NGOs, und natürlich auch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Ich hatte jetzt gerade erst ein Gespräch mit einer Tierärztin und einer Tierschützerin. Da ging es um ein Gesetz zur Verbesserung des Wohlergehens von Haustieren. Die haben mir erzählt, was zum Beispiel in Tierheimen nicht gut läuft. Solche Aspekte kann man dann auch gut mit einbeziehen.
Was sagen Sie denen, die an „Brüssel“, also der EU, Regelungswut und zu viel Bürokratie kritisieren?
Als ich vor 14 Jahren angefangen habe, auf Brüsseler Ebene zu arbeiten, war das erste Wort, das ich gelernt habe: cutting red tape, der englische Ausdruck für Bürokratieabbau. Damals war das also schon in aller Munde, geklappt hat das nicht wirklich. Man hat ja auch mal Herrn Stoiber nach Brüssel geholt, damit der Bürokratie abbaut. Aber bislang hat das die EU nicht wirklich hingekriegt.
In ihrer Bilanz zur Arbeit im Europäischen Parlament verweisen sie auf eine starke Unterstützung europäischer Bürgerinitiativen. Die werden oft nicht besonders öffentlich beachtet. Was tut sich da?
Die ÖDP ist die Partei der Direktdemokratie. Wir denken, das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit ist, Bürger ernst zu nehmen, in Entscheidungsprozesse einzubinden und vor allem, dass sie ihre Interessen in Entscheidungen wiederfinden. Da ist ein bisschen Bewegung drin. Das beste Instrument, das wir derzeit haben, ist in Bayern das Volksbegehren. Wenn man eine bestimmte Zahl von Unterstützern hat, muss das von dem Volksbegehren vorgeschlagene Gesetz im Parlament angenommen werden. Das haben wir als ÖDP sehr stark genutzt. Das Nichtraucherschutzgesetz ist von uns in Bayern ausgegangen. Oder das Volksbegehren Artenvielfalt, wo wir jetzt in Bayern eines der besten Naturschutzgesetze als Folge haben. Genau dieses Instrument wollen wir auch für europäische Bürgerinitiativen. Die sind im Moment noch ein bisschen ein zahnloser Tiger. Es gibt sehr hohe Hürden. Wenn die geschafft sind, muss sich die Kommission damit befassen, aber sie muss kein konkretes Gesetz einbringen. Wir hatten jetzt die Initiative „Keine Pelze in Europa“. Die hatte die erforderlich Zahl an Unterstützerunterschriften aus ganz Europa, war also erfolgreich. Die Kommission hat gesagt: Das müssen wir uns dann mal anschauen. Das ist zu wenig!
Sie haben vom Einfluss einzelner Abgeordneter gesprochen. Was ist Ihre persönliche Bilanz?
Ich habe vier Schwerpunkte: Schutz der Artenvielfalt, Verbraucherschutz zu dem auch Gesundheitsschutz zählt, Tierschutz und Klimaschutz. Artenschutz ist für uns lebenswichtig. Die meisten Insekten und Bestäuber sind vom Aussterben bedroht, das ist dramatisch für unsere Ernährungssicherheit. Ich bin für meine Fraktion Schattenberichterstatterin für die Bodenüberwachungsrichtlinie. 70 Prozent unserer Böden sind in einem schlechten Zustand. Beim Verbraucherschutz setze ich mich gegen gefährliche Chemikalien und für den informierten Verbraucher ein. Um die heutigen Kennzeichnungen zu verstehen, muss man oftmals schon Chemiker sein. Das darf nicht sein. Wir brauchen einfache Kennzeichnung, damit jeder seine Entscheidungen gut treffen kann. Ich setze mich gerade bei Waschmitteln für lesbare und verständliche Informationen ein. Das dritte: Ich bin Vizepräsidentin der Tierschutzgruppe des Europäischen Parlaments. Als die Kommission bei neuen Waschmitteln Tierversuche zulassen wollte, habe ich gesagt: Wir sind im 21. Jahrhundert, wir haben alternative Methoden. Das hat das Parlament auch mit großer Mehrheit angenommen. Und der vierte Punkt ist natürlich Klimaschutz. Wir müssen zu einer CO2 freien Produktion kommen, eine Riesenherausforderung für die Wirtschaft. In diesem Zusammenhang habe ich übrigens an einer CO2 Grenzausgleichssteuer mitgewirkt, ein neues Klimaschutzinstrument, wonach importierte Produkte, wie zum Beispiel Stahl den gleichen CO2-Preis zu zahlen haben, wie Unternehmen in Europa. Das reduziert global CO2 und sichert Arbeitsplätze in Europa.
Bundestagsabgeordnete sollen auch die Interessen ihres Wahlkreises in Berlin vertreten. Können Sie saarländische Interessen in Brüssel und Straßburg vertreten?
Ich konnte durchaus Akzente fürs Saarland setzen. Ich habe im Parlament eine Ausstellung zur nachhaltigen Tourismusregion Saarland gemacht. Das war das erste Mal überhaupt, dass eine Ausstellung zum Saarland im Europäischen Parlament (EP) stattgefunden hat. 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des EPs reisen jeden Monat zwischen Brüssel und Straßburg hin und her, also am Saarland vorbei. Diese sollen auch im Saarland Halt machen. Ich habe auch oft besorgte Bürger oder Vereine hier, deren Anliegen ich weitertragen kann. Oder vermitteln, wenn es um die Zukunftsfähigkeit unserer Industrie geht. Also man kann da schon einiges auch sehr konkret machen.