Fast jeden Tag geschieht ein Femizid in Deutschland. Und alle drei Minuten erleben eine Frau oder ein Mädchen hierzulande häusliche Gewalt. Das neue Gewalthilfegesetz soll Betroffene besser schützen.
Berlin im vergangenen Sommer: Norhan A. kommt gerade aus der Haustür ihrer Zehlendorfer Zufluchtswohnung, als der Ex-Mann plötzlich vor ihr steht. Er reißt sie zu Boden, würgt sie, tritt ihr gegen den Kopf und sticht mit einem Messer mehrmals auf sie ein. Einer der Stiche trifft das Herz der vierfachen Mutter, die 36-Jährige erliegt später ihren Verletzungen.
Norhan A.s Tod ist kein Einzelfall. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden bereits 25 Frauen in Deutschland Opfer eines Femizids. Das geht aus der Zählung der weltweiten Initiative „One Billion Rising“ hervor, die von der Aktivistin Eve Ensler gegründet wurde. Der Begriff Femizid bedeutet, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts getötet werden, also der Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist.
Behördliche Statistiken zeichnen ein ähnliches Bild. Laut Lagebild des BKA, das im Herbst 2024 vorgestellt wurde, wurden im vorangegangenen Jahr, also 2023, 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten. Dies entspricht einem Anteil von 32,3 Prozent aller Opfer von Tötungsdelikten. Der Anteil weiblicher Opfer, die im Zusammenhang mit partnerschaftlichen Beziehungen Opfer von Tötungsdelikten wurden, lag bei 80,6 Prozent. Insgesamt wurden 360 Mädchen und Frauen Opfer vollendeter Taten. Demnach gab es 2023 beinahe jeden Tag einen Femizid in Deutschland. „Alle drei Minuten erleben eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt. Jeden Tag werden mehr als 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Sexualstraftat“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei der Vorstellung des Lagebildes.
25 Femizide im laufenden Jahr
Aus der Anfang April 2025 veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik für 2024 geht hervor, dass sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen bundesweit zugenommen hat. Demnach ist die Zahl der Vergewaltigungen, sexueller Nötigungen und schwerwiegender sexueller Übergriffe 2024 um mehr als neun Prozent gestiegen.
Eine Erklärung für den Anstieg bei all diesen Gewaltdelikten könne „eine gestiegene Sensibilisierung und eine höhere Anzeigenbereitschaft“ der Betroffenen sein. So zumindest sehen es die Vertreter der Behörde.
Norhan A. hatte ihren Ex-Partner vor ihrem Tod angezeigt; er war er ihr und den gemeinsamen Kindern gegenüber gewalttätig gewesen und hatte ihr mit dem Tod gedroht. Sie erwirkte eine gerichtliche Gewaltschutzverfügung und ein Annäherungsverbot. Ihr Ex-Mann fand sie trotzdem. Ein Jahr nach der Morddrohung gegen Norhan A. setzte er diese in die Tat um. Die Politik will von Gewalt betroffene Frauen jetzt besser schützen.
Mit dem im Februar im Bundesrat verabschiedeten Gewalthilfegesetz haben Betroffene künftig einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung. Der Haken: Das Gesetz soll erst ab 2032 umgesetzt werden. Die Länder, so die offizielle Begründung, sollen genug Zeit haben, um ihre Hilfesysteme auszubauen. „Die Etablierung solcher Strukturen ist ein komplexer Prozess, der nicht innerhalb eines kurzen Zeitraums zu bewerkstelligen ist“, sagt dazu Müserref Tanriverdi von der „Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt“ am Deutschen Institut für Menschenrechte. Dennoch seien sieben Jahre „eine signifikant lange Zeit“. Besonders für Frauen, die eben jetzt „dringend Schutz und Unterstützung“ benötigten.