Beim Sport sollte man sich wohlfühlen und nicht in irgendwelche gesellschaftlichen Körperbilder gedrängt werden, findet Florentina Grabher. Flo betreibt in Wien ein Fitnessstudio für queere Menschen, die Hass nicht nur auf der Straße erleben.
Florentina Grabher, Sie haben in ihrem Instagram-Profil die Pronomen „she/they“ stehen. Was bedeutet das?
Eine Person, die sich mit dem Geschlecht identifiziert, das ihr bei der Geburt zugeteilt wurde, kann als „cis“ bezeichnet werden. Alle Personen, die sich nicht diesem Geschlecht zugehörig fühlen, können als „trans“ bezeichnet werden. Die Pronomenfrage ist wichtig, weil Menschen über andere Menschen reden, indem sie Pronomen verwenden. Mir wurde bei meiner Geburt gesagt, ich sei ein Mädchen. Ich bezeichne mich als nicht-binär. Das bedeutet, ich fühle mich weder ganz als Frau noch ganz als Mann. Im Englischen gibt es nicht nur „she“ (sie) und „he“ (er), sondern da gibt es auch „they“ (sie, Plural). Im Deutschen gibt es die Möglichkeit gar keine Pronomen zu verwenden, sondern einfach den Namen zu sagen. Es gibt auch sogenannte Neo-Pronomen, also Wortneuschöpfungen, die binäre Pronomen umgehen. Ich fühle mich am wohlsten mit „sie“ oder gar keinen Pronomen.
Wie kamen Sie zur Fitness?
Privat habe ich mit Kraftsport in einer Zeit angefangen, in der es mir überhaupt nicht gut ging. Ich hatte das Gefühl, dass um mich herum alles zusammenbricht, was ich als fixe Säulen in meinem Leben wahrgenommen habe. Ich hatte das Gefühl, ich sitze in einem Loch und komme nicht mehr heraus. Einerseits tut Kraftsport wegen den Hormonausschüttungen sehr gut. Andererseits hat es auch einen dokumentierbaren Fortschritt bei mir ausgelöst. An einem Tag konnte ich dieses Gewicht heben und in der Woche darauf ein schwereres. Das hat mich mit kleinen Schritten aus meinem Loch herausgeholt. Gleichzeitig bin ich dabei aber auch körperlich stärker geworden und habe mich in meinem Körper wohler gefühlt. Deswegen hat Kraftsport für mich auch eine sehr emotionale Komponente.
Und wie war der berufliche Weg?
Das Ganze ist eigentlich aus einem Witz entstanden. Ich habe technische Chemie studiert, aber in der Zeit viel Sport gemacht. Dadurch hat sich mein Körper verändert und aus meinem privaten Umfeld hörte ich hauptsächlich negative Kommentare. Man hat mir gesagt, dass ich der gesellschaftlichen Idealvorstellung, wie eine Frau auszusehen hat, nicht mehr entspreche. Aus der Queer-Community kamen aber sehr viele Fragen. Vor allem von Personen, die gerne Sport machen wollten, aber nicht genau wussten wie. Dann kam die Idee, dass ich einen Workshop machen könnte. Ich habe eine Einreichung geschrieben, sofort eine Förderung bekommen und die Termine online gestellt. Innerhalb von drei Stunden war das gesamte Semester ausgebucht. Da habe ich gemerkt, dass definitiv Nachfrage da ist. Ich habe zunächst Workshops geleitet, irgendwann eine Ausbildung gemacht und bin ins Personal Training gegangen.
Was zeichnet Ihr Training aus?
Ich versuche mit Queer Muscle einen Raum zu gestalten, der FLINTA*-Personen eine Möglichkeit gibt, in einem sicheren Umfeld Sport zu machen. FLINTA* ist die Abkürzung für Female, Lesbian, Inter, Nonbinary und Trans. Für cis-Männer, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde und die sich heute als Männer identifizieren, ist Queer Muscle nicht der richtige Ort.
Einerseits geht es darum, den physischen Raum zur Verfügung zu stellen. Andererseits stülpe ich keine gesellschaftlichen Idealvorstellungen über die Menschen, die in mein Fitnessstudio kommen. Ich gehe zum Beispiel bei einer Person nicht davon aus, dass sie abnehmen oder Muskelmasse zunehmen möchte. Sondern Personen dürfen selbst entscheiden, aus welchem Grund und welche Art von Sport sie machen möchten. Ich versuche mit den Menschen gemeinsam herauszufinden, was ihr Ziel ist. Aber ich finde es auch wichtig, dass es Online-Räume gibt, in denen Sport auf sichere Art und Weise möglich ist und biete diese mit Queer Muscle ebenfalls an.
Welche besonderen Bedürfnisse haben queere Menschen beim Fitnesstraining?
Einerseits unterscheiden sie sich gar nicht von anderen Personen. Ich glaube, Menschen wollen sich gerne bewegen können, Spaß dabei haben, respektvoll behandelt und nicht bevormundet werden.
Andererseits erfahren queere Personen Respekt in öffentlichen Räumen nicht in dem Ausmaß wie andere Personen. Zum Beispiel, indem sie nicht mit den richtigen Pronomen angesprochen werden. Oder sie wissen nicht, in welcher Umkleidekabine sie sich umziehen sollen. Bodyshaming stellt auch fernab von der queeren Community ein enormes Problem in unserer Gesellschaft dar. Menschen werden dafür, wie ihr Körper aussieht, schlecht behandelt. Eine mehrgewichtige cis-Frau, die nicht dem gesellschaftlich idealen Körperbild entspricht, kann auf der Straße viel Hass erfahren. Bei einer queeren Person, die diesen Körperidealen vielleicht gar nicht entsprechen will, potenziert sich das noch.
Die Bedürfnisse müssten sich nicht unbedingt unterscheiden. Sie tun es aber, weil die derzeitigen Angebote sehr bevormundend sind und meistens von zwei idealen Körpern ausgehen: dem männlichen, dünnen, nicht-behinderten Sixpack-cis-Mann und der leicht muskulösen, dünnen, nicht-behinderten cis-Frau.
Von welchen negativen Erfahrungen berichten queere Personen?
Der Satz, den ich am häufigsten höre ist: „Das war die erste positive Sporterfahrung meines Lebens.“ Mehrgewichte-Personen werden im Fitnessstudio ausgelacht oder von Fremden gefilmt, weil es „so lustig“ aussehe, wie sie auf einem Gerät trainieren. Personen werden hochkant aus einer Umkleidekabine rausgeworfen. Manche queere Menschen sind die ganze Zeit in Habachtstellung und checken, ob sie sich in einer eventuell gefährlichen Situation befinden. Frauen werden im Fitnessstudio häufig angegrapscht. Es erzählen viele von übergriffigen Trainern oder Trainer*innen – tendenziell sind es eher männliche Trainer – die ungefragt die trainierenden Personen anfassen. Das sollte man grundsätzlich nie machen, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen.
Was kritisieren Sie an herkömmlichen Fitnessstudios am meisten?
Am meisten kritisiere ich Bodyshaming, Fatshaming und, dass sie in meinen Augen einzelnen Personen bestimmte Körperideale überstülpen wollen. Für Personen, die diesen gesellschaftlichen Idealvorstellungen nicht entsprechen oder nicht entsprechen wollen, sind sie leider oft kein sicherer Raum. Aber das hat nicht nur mit den Fitnessstudios an sich, sondern mit unserer Gesellschaft und öffentlichen Räumen zu tun. Es ist bisher wenig Bewusstsein dafür da, dass alle Menschen Sport machen dürfen – egal, wie ihr Körper aussieht oder sie gerne hätten, dass ein Körper aussieht. Häufig wird Sport auch mit Abnehmen in Zusammenhang gebracht, aber auch das muss nicht immer der Grund sein, um Sport zu treiben. Sondern vielleicht einfach, weil man seine Knochendichte stärken oder sich einfach nur bewegen will.
Verändert sich das Bewusstsein für Diversität in der Fitnessbranche langsam?
Ich glaube schon, dass sich etwas verändert. Social Media trägt einen großen Teil dazu bei, vor allem, wenn es um Sichtbarkeit geht. Es gibt auch immer mehr Angebote, die diverser gestaltet sind. Gleichzeitig nehme ich die Entwicklung, dass Rechtsextremismus in vielen Ländern wieder erstarkt, beispielsweise auch in Wien wahr. Es gehört zu meinem Alltag, angefeindet zu werden und fremden Personen erklären zu müssen, welche Geschlechtsorgane in meiner Hose stecken. In der letzten Zeit erlebe ich persönlich, aber auch in meinem queeren Umfeld, viel mehr krasse Übergriffe bis hin zu lebensgefährlichen Situationen. Da sprechen wir von Messerattacken oder dass Menschen zusammengeschlagen werden. Vor allem Schwarze Menschen, People of Colour und Transpersonen haben das auch schon früher erlebt. Aber es wird immer schlimmer und weitet sich auf Personen aus, die das vorher nicht erfahren mussten. Diese Menschen erfahren einen Hass auf einem Niveau, das man sich oft nicht vorstellen kann.