Die junge Mannschaft Viktoria Berlin kann in der Regionalliga Nordost nach einer Durststrecke wieder einen Aufwärtstrend verzeichnen.
Trotz des gerade geglückten 3:2-Siegs gegen Hertha BSC II im April zeigte sich Berk Inaler in leicht betrübter Stimmung: „Diese Saison, dieses Team macht einfach so viel Spaß: wenn ich darüber nachdenke, dass in drei Wochen Schluss ist, finde ich es auch traurig“, so der Kapitän von Viktoria Berlin und erklärte gleich, weshalb der Aufwärtstrend weiter anhalten sollte: „Deswegen versuchen wir, die letzten Wochen einfach zu genießen und das Bestmögliche rauszuholen.“ Dabei hatte es im neuen Jahr zunächst eine kleine Durststrecke gegeben angesichts von elf Punkten aus neun Partien – die junge Mannschaft musste dabei hier und da noch mal Lehrgeld bezahlen. Gerade die Partie bei Energie Cottbus (Februar 2024), die nach einer 3:2-Führung bis zur 90. Minute noch verloren ging, hatte das Zeug zu einem „Knacks“. Zu diesem Zeitpunkt musste man sich vom Aufstieg in die Dritte Liga verabschieden – allerdings war der ursprünglich auch gar nicht das Ziel. Erst, als man zur Winterpause nach einer hervorragenden Hinrunde in Schlagdistanz zur Spitzengruppe lag, wollte man sich das Träumen nicht verbieten lassen. „Ich möchte auf jeden Fall in der Dritte Liga spielen – wieso nicht mit Viktoria?“, brachte es Berk Inaler, der mit 24 Jahren schon Führungsspieler und Kapitän der Mannschaft ist, damals selbstbewusst zum Ausdruck. Den Nackenschlag beim FC Energie aber musste man offensichtlich erst einmal verarbeiten: Es folgten unter anderem zwei „Nullnummern“ zu Hause gegen Rot-Weiß Erfurt und den ZFC Meuselwitz, dazu eine 1:2-Niederlage beim Abstiegskandidaten FC Eilenburg. Und trotz des 1:0-Erfolgs gegen Chemie Leipzig setzte es danach noch einmal zwei ungewöhnlich hohe Niederlagen gegen den FC Carl Zeiss Jena (1:5) und beim Greifswalder FC (1:4). So standen die Lichterfelder Mitte März quasi am Scheideweg: Musste die junge Mannschaft der Saison und ihrem Verlauf am Ende doch Tribut zollen und sollte sie nach dem starken ersten Halbjahr einfach nur im tristen Mittelmaß versinken? Nun, offensichtlich haben die Verantwortlichen an den richtigen Schräubchen gedreht – denn anders als das mit namhaften Spielern gespickte Ensemble der VSG Altglienicke etwa, das nach anfänglich erfolgreicher Jagd auf den Anschluss zur Spitzengruppe zuletzt mit lediglich drei Siegen aus zwölf Partien aufwarten konnte, wurde bei Viktoria der Schalter noch einmal erfolgreich umgelegt.
Ein Verein, der schon vieles erlebt hat
Mit 16 Punkten aus sechs Spielen könnte man sogar auf der Zielgeraden noch dem zuletzt ebenfalls schwächelnden BFC Dynamo den Rang des besten Berliner Teams in der Nordost-Staffel 2023/24 abjagen – nach dem 31. Spieltag hatte man sich jedenfalls bis auf einen Zähler an den (inzwischen ehemaligen) Aufstiegsaspiranten herangepirscht. Im direkten Duell gegen die Weinrot-Weißen im Stadion Lichterfelde hatte man mit der „Rasselbande“ (Durchschnittsalter: 22,6 Jahre) dem erfahrenen Gegner (26,3) beim 3:1 sogar trotz eines Rückstands noch klar die Grenzen aufgezeigt. „Spielerisch und nach der Pause auch in der Zweikampfführung war Viktoria das bessere Team“, bekamen die „jungen Wilden“ sogar Anerkennung von BFC-Trainer Dirk Kunert gezollt. „Dass wir fünf Spieltage vor Schluss mit dieser Mannschaft überhaupt noch die Möglichkeit besitzen, Erster zu werden, ist nicht hoch genug zu würdigen“, frohlockte wiederum Rocco Teichmann angesichts des Erfolgs am 29. Spieltag. Der heutige Geschäftsführer des Regionalligisten hatte zunächst noch als Sportdirektor die ganz schwierigen Zeiten erlebt, als der Verein das im Jahr 2019 eröffnete Insolvenzverfahren mithilfe des Geldgebers „Sports & Entertainment Holding“ (SEH) aufheben lassen konnte. In der Saison 2021/22 gelang sogar der Höhenflug in die Dritte Liga – mit dem direkten Abstieg aber wurde dann ein Paradigmenwechsel zum Ausbildungsverein im Portfolio des Investors (im Bereich Fußball noch bei Austria Klagenfurt / Erste Liga Österreich sowie inzwischen HNK Sibenik / Zweite Liga Kroatien engagiert) vollzogen. Trainer wurde der bei Viktoria im Jugendbereich erfolgreiche Semih Keskin, dem im ersten schwierigen Jahr immerhin der vorzeitige Klassenerhalt gelang.
Nach einer erneut großen Fluktuation im Kader war diese Saison dann mit dieser sportlichen Bilanz wahrlich nicht zu rechnen – schon gar nicht mit dem „Comeback“ nach der erwähnten Durststrecke. Zu den Faktoren, die das ermöglichen, zählt sicher trotz des immer noch auftretenden Auslassens einiger Torgelegenheiten die verbesserte Treffsicherheit. So ist Lucas Falcao nach einem kleinen Loch wieder der gewohnt zuverlässige Schütze (Saisontore 13 bis 15 im April) – außerdem haben einige Spieler ihre „Blockade“ überwunden. Dazu zählt der erfahrene Nicolas Hebisch (zuletzt erstes Tor seit Dezember), aber auch Jüngere wie Julien Damelang (drei Tore seit Mitte März), Laurenz Dehl (zwei Tore seit Mitte März) oder Oleg Skakun (vier seit Anfang März) – sogar Abwehrrecke Aidan Liu konnte jüngst seine Körpergröße auch torgefährlich einbringen (erster Treffer Ende April). Auch das Pressing funktioniert bei Viktoria wieder besser – unlängst gegen Hertha BSC II zu beobachten, als Akteure aus dem Profi-Kader in Reihen des Gegners wie Torwart Robert Kwasigroch oder Verteidiger Agustin Rogel vom Anlaufen Falcaos oder Inalers kalt erwischt wurden und daraus Treffer resultierten. Bei all den positiven Aspekten stellt sich jedoch gerade für einen Ausbildungsverein gegen Ende einer Saison die Frage: Mit welchem Personal wird es denn kommende Spielzeit weitergehen? Dass solch eine starke Saison nun jedes Jahr wiederholbar ist, davon ist eben auch nicht auszugehen. In jedem Fall dürfte auf die Verantwortlichen um Rocco Teichmann wieder Arbeit bezüglich Sichtung und Verpflichtung von passenden jungen Spielern zukommen. Und ein ganz dickes Fragezeichen scheint es darüber hinaus auch noch zu geben: So vermeldete das für gewöhnlich gut informierte Fachblatt „Fussball-Woche“ vergangene Woche, dass auf Nachfrage bei Viktoria ein Verbleib von Trainer Keskin über das Saisonende hinaus noch nicht klar sei. Zu diesem Zeitpunkt einer Saison sind Verlängerungen eigentlich bereits verkündet – allerdings können Personalentscheidungen gerade bei Ausbildungsvereinen auch mal kurzfristig fallen. Umso mehr gilt es, wie Berk Inaler sagte, die letzten Wochen noch einmal richtig zu genießen.