Die Ampel hat fertig, und es kommt zu vorgezogenen Neuwahlen. Das waren aber auch schon die einzigen Gewissheiten in den Tagen nach dem Bruch der Koalition. Seitdem dominierten vor allem Schuldzuweisungen und der Streit um den Wahltermin die Diskussionen.
Dass es jetzt bereits zu Neuwahlen kommt, entspricht dem Wunsch einer klaren Mehrheit in der Bevölkerung, die den Dauerstreit zwischen den ungleichen Regierungspartnern schon lange leid war. Es geriet schon fast zum Ritual, dass ein mühsam errungener Kompromiss, kaum verkündet, schon wieder in Frage gestellt wurde. Das Wort von der Verunsicherung als Folge einer solchen Regierungsperformance durfte in keiner mahnenden Rede fehlen, bis am Schluss aus der Verunsicherung nur noch Verärgerung wurde.
Die Schuld am Scheitern war aus Sicht der Menschen schnell geklärt. Blitzumfragen am Tag danach sahen vor allem die FDP in der Verantwortung. Das änderte nichts daran, dass bis heute der Kampf um die Deutungshoheit unvermindert anhält. In gewisser Weise sogar verständlich.
Alle drei bisherigen Ampel-Partner finden sich in einer deutlich schwächeren Ausgangslage, als sie es vor der letzten Wahl waren. Die SPD vielleicht noch am wenigsten. Auch vor der letzten Wahl lag sie in Umfragen deutlich hinter der Union, um am Ende dann doch die Nase vorn zu haben. Die Grünen sind aus ihrem damaligen Höhenflug in einen kontinuierlichen Sinkflug übergegangen. Und der FDP droht das Ende der parlamentarischen Existenz. Eigentlich hätte keiner der drei ein sonderliches Interesse an einem schnellen Wahltermin haben dürfen. Letztlich haben sie sich aber in eine Dynamik verstrickt, an deren Ende der Bruch unvermeidlich war.
Dass Deutschland wenige Stunden nach dem Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen ohne handlungsfähige Regierung dasteht, hat vor allem bei vielen europäischen Nachbarn Besorgnis ausgelöst. Die EU selbst ist nach den Europawahlen noch nicht endgültig neu aufgestellt. Die neue Kommission ist zwar benannt, aber noch nicht abschließend vom Parlament abgesegnet. Das soll erst am 27. November erfolgen. Und nun steckt das trotz aktueller Rezession immer noch wirtschaftsstarke und große Deutschland in einer veritablen Regierungskrise.
An anderen Stellen, die auf eine Destabilisierung freiheitlicher Demokratien aus sind, wird man sich erfreut die Hände gerieben haben angesichts dieser Entwicklungen. Dabei gehört auch zum Wesen einer Demokratie, dass Regierungskonstellationen, die offensichtlich nicht mehr zu einer konstruktiven Zusammenarbeit in der Lage sind, aufgelöst werden und eine neue Regierung gewählt wird. Und das nach klar gesetzlich definierten Regeln, die es für einen solchen Fall eines demokratischen Übergangs gibt.
Neuwahl am 23. Februar 2025
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat es zutreffend eingeordnet: „Das Ende einer Koalition ist nicht das Ende der Welt. Es ist eine politische Krise, die wir hinter uns lassen müssen – und werden.“ Das Grundgesetz gebe klare Vorgaben für das weitere Verfahren. Und: „Unsere Demokratie ist stark.“ Was jetzt unter Beweis zu stellen ist.
Natürlich ist jeder Zeitpunkt, an dem eine Regierungskonstellation auseinanderbricht, ungünstig. Dieser scheint aber unter verschiedenen Gesichtspunkten besonders ungünstig. Eine ganze Reihe von Projekten und Reformen, an denen mitunter seit zwei Jahren gearbeitet und verhandelt wurde, standen eigentlich kurz vor einem finalen Abschluss. Renten, Krankenhäuser, Deutschland-Ticket, Kindergelderhöhung, Steuerentlastungen („kalte Progression“). Ob es womöglich eine Verständigung zwischen Kanzler und Oppositionsführer gibt, zumindest einige Teile davon doch noch in diesem Jahr im Bundestag zu verabschieden, war bei Redaktionsschluss noch offen. Das gilt im Übrigen auch für mögliche weitere Ukraine-Hilfen.
Eine Reihe anderer Projekte, die vor allem von Grünen und SPD in der Koalition vorangetrieben worden waren, wie beispielsweise Kindergrundsicherung oder Tariftreuegesetz, werden jedenfalls keine Chance mehr haben, eine Mehrheit zu finden. Das dürfte im Wahlkampf dann eine Rolle spielen.
Jedenfalls wird es ein kurzer Wahlkampf. Im Zentrum werden Richtungsentscheidungen stehen. Union und FDP werden vor dem Hintergrund der Rezession für eine Wirtschaftswende werben, Die SPD für eine soziale Gestaltung der Transformation, was auch die Grünen neben ihren Kernthemen machen werden. AfD und BSW werden ihre Vorstellungen von Friedenspolitik in den Mittelpunkt stellen.
Wahlkämpfe wurden zuletzt immer stärker personalisiert. Nicht umsonst werden zunehmend nicht mehr nur Spitzen-, sondern gleich Kanzlerkandidaten gekürt. Wobei allerdings keiner der erwartbaren Kandidaten oder Kandidatinnen mit wirklich überzeugenden Ergebnissen bei Umfragen aufwarten kann. Von Friedrich Merz über Robert Habeck, Olaf Scholz, Christian Lindner, Sahra Wagenknecht und Alice Weidel lagen alle noch im Oktober bei der Bewertung von Sympathie und Leistung im negativen Bereich (ZDF-Politbarometer).
Nach allen Erfahrungen dürfte auch bei dieser Wahl der Versuch von Einflussnahme von außen weiter zunehmen. Das war bereits ein wichtiges Thema bei den Europawahlen vor knapp einem halben Jahr. Dabei dürften alle Varianten zum Einsatz kommen, von Desinformationskampagnen bis zu direkten Cyberattacken. Und weil sich Wahlkämpfe immer mehr auch im Netz abspielen, stehen die Türen für Manipulationsversuche ziemlich weit offen.
Einen ersten Eindruck konnte man rund um das Ende der Ampelkoalition und darauffolgende Personalentscheidungen gewinnen. Da wurde die ganze Bandbreite von Gerüchten über finstere Verschwörungstheorien bespielt. Der jüngste Wahlkampf in den USA dürfte da einige Vorlagen geliefert haben.
Im Zusammenhang mit dieser Wahl sei mit einer Zunahme ausländischer Desinformation, insbesondere auf Sozialen Medien, und ausländischen Manipulations- und Einflusskampagnen im Informationsraum zu rechnen, erklärte die Bundesregierung Mitte September auf eine Anfrage der Union im Bundestag. Aufgrund der Verbreitungsmöglichkeiten insbesondere in den Sozialen Medien und im Internet sowie automatisierter Prozesse könne davon ausgegangen werden, „dass diese Mittel einen erheblichen Schaden verursachen können, wenn sie zum Beispiel das Vertrauen in staatliche Stellen, die Unabhängigkeit der Medien und demokratische Prozesse, wie zum Beispiel politische Wahlen, in Deutschland untergraben“, heißt es in der Antwort weiter. Hinsichtlich der Bundestagswahl 2025 sei es als wahrscheinlich zu erachten, „dass fremde Akteure versuchen werden, durch die Diskreditierung demokratischer Prozesse und das Schüren von Misstrauen in staatliche Stellen und die Unabhängigkeit der Medien Einfluss zu nehmen“.
Die Meinung über die ehemalige Ampel-Koalition war zum Schluss eindeutig. Entsprechend begrüßte auch eine klare Mehrheit das Ende. Auf die Frage, welche Koalition sie denn stattdessen wünschten, fielen die Antworten der Befragten am Tag nach dem Ende alles andere als klar aus. Viele können sich eine CDU-FDP-Koalition vorstellen, fast ebenso viele eine Große Koalition (Union-SPD). Offensichtlich als eine Lehre aus der Vergangenheit finden Dreier-Bündnisse nur verschwindend geringe Zustimmung.