Im Saarland machen sich Bürgerinnen und Bürger Gedanken, wie das Land die Pariser Klimaschutzziele erreichen kann. Bis zum Herbst will der „Bürgerrat Klimaschutz“ sein Gutachten vorlegen. Damit wird sich dann die „hohe Politik“ im Landtag auseinandersetzen müssen.
Es war ein langer Anlauf, bis Landtagspräsidentin Heike Winzent verkünden konnte, dass der erste Bürgerrat im Saarland seine Arbeit aufnimmt. Für das Saarland ein „Pilotprojekt“, wie die Landtagspräsidentin unterstreicht. Wobei das Land sich einer Entwicklung anschließt, mit der man andernorts schon länger Erfahrung gesammelt hat.
Für das Saarland ein Pilotprojekt
In den nächsten Monaten soll sich der erste Bürgerrat im Saarland mit einer höchst anspruchsvollen Aufgabe auseinandersetzen. Es geht um nicht weniger als die Frage: „Wie kann das Saarland auf Grundlage des Pariser Klimaabkommens die im saarländischen Klimaschutzgesetz festgelegten Klimaschutzziele unter Berücksichtigung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Verträglichkeit erreichen?“ Damit das möglichst konkret wird, soll über vier „Handlungsfelder“ diskutiert werden: Gebäude, Mobilität, Energie und Klimaanpassungsmaßnahmen. Was an Diskussionen auf die 51 ausgewählten beziehungsweise -gelosten Mitglieder des Bürgerrats in den kommenden Monaten zukommt, zeigt ein Blick auf die ziemlich eindrucksvolle „Themenlandkarte“, zu finden auf derInternetseite buergerrat-saarland.de. Der Bürgerrat kann sich dazu aus einem Expertenpool Fachleute einladen. Am Ende soll ein Bürgergutachten stehen, mit dem sich dann die Politik im Landtag in den Ausschüssen und öffentlichen Plenarsitzungen auseinandersetzen muss.
Erfahrungen mit Bürgerräten gibt es bereits vielfach, aber Bürgerrat ist nicht gleich Bürgerrat, betonen Nathalie Faha und Clara Schmitz von der translake GmbH, einem erfahrenen Dienstleister in Sachen Beteiligungsformate. Es gibt Bürgerräte auf unterschiedlichen Ebenen (lokal/regional, landes- und bundesweit) und zu höchst unterschiedlichen Fragestellungen. Mal geht es um ein sehr spezifisches, konkretes Projekt, mal um ein sehr breites Themenfeld. Entsprechend lässt sich nicht einfach eins zu eins eine Vorlage übernehmen. Trotzdem funktionieren und arbeiten Bürgerräte nach gleichen grundsätzlichen Prinzipien.
Die Zusammensetzung soll einen möglichst repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung darstellen. Unter entsprechenden statistischen Kriterien (etwa Alter, Geschlecht, Bildung) werden Bürgerinnen und Bürger eingeladen und schließlich unter den Interessierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgelost.
Allein schon dieses einigermaßen aufwändige Auswahlverfahren unterstreicht den zentralen Anspruch, eine möglichst große Bandbreite an Alltagserfahrung zu versammeln und daraus dann Aspekte und Perspektiven zu gewinnen, die die Debatten im politischen Raum und unter Experten ergänzen und bereichern. Fabian Klimasch von der Stabsstelle Demokratiebildung, Beteiligung und Partizipation im Saarländischen Landtag nennt das ein „dialogisch-konsultatives“ Format als Ergänzung der parlamentarischen Demokratie.

Der Bürgerrat hat damit eine Zwitterrolle. Es soll keine Veranstaltung sein, an deren Ende als Erkenntnis bleibt: „Schön, dass wir mal drüber geredet haben“, es ist aber auch kein Instrument, das die Aufgaben der gewählten Abgeordneten als eine Art Ersatzparlament übernimmt.
Empfehlungen aus dem Bürgergutachten sind für die Politik nicht bindend, aber die Politik muss sich in einem öffentlichen und transparenten Prozess, letztlich auch in einer Landtagssitzung, damit auseinandersetzen. Und dass Abgeordnete dann das, was engagierte Bürgerinnen und Bürger über Monate in harter und ernster Arbeit formuliert haben, nur mit netten Worten abtun, ist nicht zu erwarten. Im Gegenteil. Es hat sich gezeigt, dass der „Alltagsexpertenrat“ in aller Regel nicht ohne Einfluss auf die politischen Debatten ist.
Ein Bürgergutachten für die Politik
Bürgerräte haben für die Politik eine „Wegweiser-Funktion“. Sie sind weitaus mehr als tagesaktuelle Umfragen zu bestimmten Themen, weil sie sich vertieft mit einer Thematik auseinandergesetzt haben und das eben aus Alltagssicht und nicht aus Sicht von Experten oder Lobbyisten. Marianne Birthler, lange Jahre Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und dann Vorsitzende des Bürgerrats „Deutschlands Rolle in der Welt“ (2023), meinte damals: „Wenn der Bundestag einen Rat anregt und finanziert, dann muss er sich auch Gedanken machen, wie er mit den Ergebnissen umgeht.“ Das gilt selbstverständlich in dem Fall auch für das Land. Im Haushalt des Saarlandes sind für die Jahre 2024 und 2025 jeweils 200.000 Euro für Bürgerbeteiligung vorgesehen. Wie viel dieses Budgets auf den Bürgerrat Klimaschutz entfällt, wird erst nach Abschluss seiner Arbeit feststehen. Aber dem Landtag ist dieses aufwändige Verfahren einiges Wert.
Für die Durchführung, also inhaltliche und organisatorische Vorbereitung, die begleitende Moderation in den nächsten Monaten sowie die anschließende Begleitung, wenn das Bürgergutachten in der politischen Diskussion ist, wurden Experten vom Beteiligungsbüro translake aus Konstanz und Stuttgart gewonnen. Zugleich gibt es eine wissenschaftliche Begleitung des Pilotprojektes im Saarland.
Der erste Bürgerrat im Saarland soll, wie andere Bürgerräte in der Bundesrepublik auch, eine zusätzliche Wirkung entfalten, wie Landtagspräsidentin Heike Winzent hervorhebt: nämlich als vertrauensbildende Maßnahme in einer Zeit, in der „Vertrauen in Demokratie und die Funktionsfähigkeit der Institutionen gelitten“ hat.
Deshalb wird großer Wert auf Transparenz und Offenheit gelegt. Unter anderem ist noch für den Monat März eine öffentliche Informationsveranstaltung zur Arbeit des ersten Bürgerrats im Saarland geplant.