Mit „Echnaton“ bringt die Komische Oper Berlin die zweite Oper mit dem suggestiven Sound von Philip Glass auf die Bühne. Regie führt der frühere Intendant und Opernregisseur Barrie Kosky.
Theben in der Zeit um 1300 vor Christus. Pharao Amenophis III. ist gestorben, sein Sohn, Amenophis IV. wird zum König gekrönt und tritt als radikaler Reformer an. Er wendet sich gegen die Vielgötterei mit dem Hauptgott Amun, will die Priester der alten Religion entmachten und stattdessen den Kult um den Sonnengott Aton zur Staatsreligion erheben. Diesem weiht er auch die neue Hauptstadt Achet-Aton, die der Pharao, der sich von nun an Echn-Aton nennt, in der Wüste zwischen Memphis und Theben bauen lässt. Er selbst und seine schöne Gemahlin Nofretete sind fortan die Hohepriester, die die Verbindung zwischen Aton und den Sterblichen herstellen. Die Revolution des kunstsinnigen Echnaton, der den einen als „Ketzerpharao“, den anderen als Aufklärer gilt, hat auf Dauer keinen Bestand. Nach ihm kehren die Könige wieder zu den alten Göttern um Amun zurück. Doch Echnatons Monotheismus könnte Vorbild für spätere monotheistische Religionen wie das Judentum, den Islam oder das Christentum gewesen sein.
Soweit der historische Hintergrund der Oper „Echnaton“ von Philip Glass, die am 15. März in der Komischen Oper Berlin Premiere feiert. Es ist nicht die erste Oper des amerikanischen Komponisten, die das Haus auf die Bühne bringt. Bereits 2017 feierte dort das Werk „Satyagraha“ des Minimal-Music-Pioniers seine umjubelte Premiere. Damals fand sie unter der Intendanz von Barrie Kosky statt, der zehn Jahre die Geschicke des Opernhaus leitete und dafür sorgte, dass es in der Kritikerumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ zum Opernhaus des Jahres gewählt und 2015 mit dem International Opera Award in der Kategorie Ensemble des Jahres ausgezeichnet wurde.
Jetzt führt der deutsch-australische Theater- und Opernregisseur selbst Regie. „Echnaton stand immer auf meiner Liste. Gott, Geburt, Tod – Echnaton ist ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts“, sagt er. „Und ich bin richtig begeistert, dass ich endlich in Berlin eine Philip-Glass-Oper mit dem sensationellen Countertenor John Holiday in der Titelrolle machen kann.“
Dabei ist „Echnaton“ – im Original „Akhnaten“ – Teil einer Opern-Trilogie, die jeweils einer anderen Persönlichkeit gewidmet ist, die die Welt veränderte. Nach „Satyagraha“, einer politischen Meditation über Mahatma Gandhi, stellt „Einstein on the Beach“ eine wissenschaftliche Meditation über Einstein und das Thema Zeit und Raum dar. „Echnaton“ schließlich ist eine religiöse Meditation, die einen zusammen mit der suggestiv-minimalistischen Musik von Glass auf eine zweistündige spirituelle Reise in die Zeit vor 3.500 Jahren mitnimmt.
Die Handlung ist historisch nicht belegt
1983 komponiert, wurde die Oper 1984 als Auftragswerk der Stuttgarter Oper uraufgeführt. Das Libretto verfasste der Komponist selbst zusammen mit Shalom Goldman, Robert Israel, Richard Riddell und Jerome Robbins, wobei es von den überlieferten Fakten abweicht. Dass Echnaton beispielsweise wie in der Oper zum Schluss gestürzt wird, ist historisch nicht belegt. Überhaupt gibt es in dem Werk keine durchgängige Handlung, vielmehr folgen in drei Akten mehrere Szenen assoziativ aufeinander, die mit „Die Krönung“, „Der Tempel“, „Echnaton und Nofretete“ oder „Angriff und Sturz“ überschrieben sind. Dabei wird zum Teil aus altägyptischen Texten zitiert. Zum Schluss springt die Handlung in die Gegenwart: Der Niedergang Echnatons und das Wiedererstarken der vorherigen Priesterkaste wird aus der Perspektive einer modernen Reisegruppe erzählt. Während sie die historischen Stätten in Ägypten besichtigt, schließt sich im Hintergrund der Schemen Echnatons dem Totenmarsch seines Vorgängers an.
Zentrale Rolle in der Oper spielt natürlich die in den 1970er Jahren entstandene Minimal Music von Philip Glass, die großenteils aus quasi „gebetsmühlenartig“ wiederholten Mustern besteht und dadurch einen starken Sog entwickelt. Besonderheit von „Echnaton“ ist, dass bei der Uraufführung 1984 im Kleinen Haus der Stuttgarter Oper – die große Bühne wurde gerade umgebaut – im Orchestergraben kein Platz für die Violinen war, sodass Glass sie einfach aus der Komposition strich. Durch den dominanten Bläserklang bekommt die Oper, die hauptsächlich in a-Moll komponiert wurde, einen tiefen, archaisch wirkenden Sound.
Die musikalische Leitung an der Komischen Oper obliegt dem Dirigenten Jonathan Stockhammer. Neben den Solisten – Countertenor John Holiday als Echnaton, Mezzosopranistin Susan Zarrabi als Nofretete, Sopranistin Penny Sofroniadou als Königin Tye, Bariton Noam Heinz als Horemhab, Stefan Cifonelli als Hohepriester von Amun – spielen das Vocalconsort Berlin und die Chorsolisten der Komischen Oper unter der Leitung von David Cavelius eine zentrale Rolle. Ihnen wird einige Stimmakrobatik abverlangt, um die eigentümliche, verführerische Klangwelt von Philip Glass entsprechend effektvoll umzusetzen.
In jedem Fall darf man gespannt sein auf den Berliner „Echnaton“ und kann nur staunen, was die Komische Oper in ihrem Exil im Schillertheater auf die Bühne bringt, während ihr Stammhaus in der Behrenstraße saniert wird. Mal bespielt sie den Hangar des früheren Flughafens Tempelhof mit einem spektakulären „Messiah“ von Georg Friedrich Händel, mal ein Zelt mit heiterem Musiktheater aus DDR-Zeiten, dann lässt sie – wiederum von Barrie Kosky – das makabre Musical „Sweeny Todd“ von Stephen Sondheim inszenieren. Und jetzt eben Glass’ „Echnaton“. Obwohl das Opernhaus mit unzähligen Widrigkeiten und finanziellen Problemen zu kämpfen hat, beweist es immer wieder Mut und großes Geschick, wenn es darum geht, sich für ein neugieriges, auch junges Publikum zu öffnen und auch zeitgenössische Werke zur Geltung zu bringen. „Echnaton“ dürfte in dem Zusammenhang ein besonderer Paukenschlag werden. Einige Aufführungen im März und April sind bereits ausverkauft. Wer das Minimal-Music-Spektakel miterleben will, muss also schnell sein!