Der FC Bayern München muss und wird nach der verkorksten Saison seinen Kader umstrukturieren. Dabei wird ein bewährtes und erfolgversprechendes Vorgehen an den Tag gelegt.
Man weiß bis heute nicht, ob er es ernst gemeint hat. „Der FC Bayern hat noch nie einen Spieler von einem Konkurrenten gekauft, um ihn zu schwächen“, sagte der frühere „Ober“-Bayer Karl-Heinz Rummenigge im Jahr 2020 mit voller Überzeugung und erntete dafür mächtig Spott. Denn Beispiele für diese Vorgehensweise gibt es zu Genüge. Ob nun Götze oder Lewandowski oder selbst vor langer Zeit Otto Rehhagel und Mario Basler aus Bremen – diese Liste könnte ewig weitergeführt werden. Als die Bayern Julian Nagelsmann, Dayot Upamecano und Marcel Sabitzer verpflichteten, gab es nicht mal den medialen Aufschrei, weil es eben zur Normalität wurde.
Als Borussia Dortmund Götze, Lewandowski und Mats Hummels nacheinander an den FC Bayern München verlor, geschah dies keineswegs geräuschlos. Besonders die Wechsel von Götze und Lewandowski waren von heftigen Reaktionen der Vereinsführung begleitet. Diese Taktik erwies sich als erfolgreich. Seitdem hinkt der BVB in seiner Entwicklung hinterher, was zwar nicht ausschließlich, aber auch auf den Verlust dieser Schlüsselspieler zurückzuführen ist.
Unter der Leitung von Uli Hoeneß setzten die Münchner stets finanzielle und
strategische Mittel ein, um ihren Status als Nummer eins zu behaupten. Vor Borussia Dortmund waren es Vereine wie Werder Bremen und Bayer Leverkusen, die Ziel der Münchner Transferpolitik wurden. Vor zwei Jahrzehnten sicherten sich die Bayern nacheinander die aufstrebenden Spieler von Leverkusen, darunter Robert Kovac, Zé Roberto, Michael Ballack und Lucio. Nachdem Bremen 2004 die Meisterschaft gewonnen hatte, wechselten Valerien Ismael, Tim Borowski und Miroslav Klose ebenfalls nach München. Diese Transfers waren oft von Spannungen und Kontroversen begleitet, da die Absicht, Konkurrenten zu schwächen, offensichtlich war. Zusätzlich spielt es eine Rolle, dass die Bayern in der Bundesliga seit Jahrzehnten an der Spitze der Transferhierarchie stehen und die besten Spieler am Ende bei ihnen landen.
In diesem Jahr wurde der VfB Stuttgart Vizemeister, und so gehört es schon fast zum guten Ton, dass in diesem Sommer erneut ein Spieler von diesem Konkurrenten verpflichtet wird. Die Bayern holten Hiroki Ito, und die Schwaben erhalten dem medialen Vernehmen nach eine Basisablöse von 23 Millionen Euro aus München plus erfolgsabhängiger Bonuszahlungen.
Die Gegner schwächen?
Der 25-Jährige, der sowohl in der Innenverteidigung als auch links hinten spielen kann, unterschrieb einen Vertrag bis zum 30. Juni 2028. „Wir wollen hungrige Spieler, die neue Energie reinbringen, und Hiroki hat alles, was wir uns wünschen: Er ist ein Spieler, der Herausforderungen annimmt, sie bewältigt und kontinuierlich seinen Weg macht“, kommentierte Max Eberl, der neue starke Mann der Bayern die Verpflichtung. Für Hiroki Ito selbst ist es ein großer Karriere-Sprung. Im Sommer 2021 war er vom japanischen Erstligisten Júbilo Iwata für nicht einmal eine halbe Million Euro nach Stuttgart gewechselt. In drei Jahren beim VfB sammelte der Linksfuß 98 Pflichtspieleinsätze. Auch in der abgelaufenen Saison, die Stuttgart sensationell als Zweiter beendete, zählte Ito zu den absoluten Leistungsträgern. Ist dies eine Verpflichtung, um die Stuttgarter zu schwächen? Sicher nicht nur. Ito überzeugte und könnte die Probleme sowohl in der Innenverteidigung als auch auf der linken Verteidigerposition zumindest verkleinern. Die Lösung in der Innenverteidigung soll eine andere sein. Und die sorgt für Unruhe beim amtierenden Meister.
Bayer Leverkusens Trainer Xabi Alonso hat im Rahmen eines Briefs an seine Mannschaft bei „The Players‘ Tribune“ seine Hoffnung ausgedrückt, auch in der kommenden Saison mit dem aktuellen Team arbeiten zu können. Er bedankte sich bei seinen Spielern und dem Staff für ihre harte Arbeit und betonte: „Ich hoffe, ihr kommt alle zurück, denn wir haben noch viel Potenzial, das wir gemeinsam ausschöpfen können.“ Diese Botschaft dürfte vor allem an Jonathan Tah gerichtet sein, der im Visier des FC Bayern steht. Der Vertrag des Nationalspielers, der bei der EM zu den Stammspielern zählt, läuft bis 2025. Medienberichten zufolge haben sich die Münchner und Tah bereits auf einen Wechsel verständigt, jedoch steht die Ablösesumme noch zur Debatte, da Leverkusen eine höhere Summe verlangt als Bayern derzeit zu bieten bereit ist. Schon im vergangenen Sommer waren die Leistungsträger von Bayer Leverkusen begehrt. Alonso erinnerte daran: „Ich habe meinen Spielern gesagt: ‚Vertraut mir, wenn ihr zurückkommt, werden wir eine erfolgreiche Saison haben.‘“ Mit ähnlichen Worten und seinem aktuellen Brief versucht er nun, Tah und die anderen Spieler vom Verbleib zu überzeugen.
Alonsos Problem: Tah soll bereits signalisiert haben, unbedingt zu den Münchnern wechseln zu wollen, sich mit den Bayern sogar schon auf einen Fünfjahresvertrag geeinigt haben. Bayer 04 Leverkusen fordert aktuell zwischen 40 und 45 Millionen Euro für Tah. Der FC Bayern ist derzeit aber nur bereit, zwischen 20 und 25 Millionen für den Nationalspieler zu bieten. Die Münchner argumentieren, dass Tah vergangenes Jahr noch eine Ausstiegsklausel in Höhe von 18 Millionen Euro hatte und sein Vertrag im kommenden Sommer ausläuft. Die Vereine verhandeln derzeit miteinander, aber eine Einigung gibt es logischerweise noch nicht. Bayern geht die Situation strategisch und ohne Stress an. Der Transfer von Stuttgarts Ito hat den Druck auf den Rekordmeister etwas verringert. Die Vorzeichen in der Causa Tah sind jedoch klar: Sollte es in diesem Sommer zu keiner Einigung kommen, will Tah Leverkusen 2025 ablösefrei verlassen.
Zwei Innenverteidiger
Dass Eberl nun zuallererst zwei Innenverteidiger verpflichten will, hätte im vergangenen Sommer niemand gedacht. Eurosport titelte einst „Das Luxusproblem“, während die „tz“ von einem „Monster-Dreikampf“ sprach, als es um die Innenverteidiger des FC Bayern ging. Diese Schlagzeilen sind keine zwölf Monate alt und bezogen sich auf die defensive Kaderzusammensetzung der Münchner. Doch der Begriff „Luxus“ scheint im Laufe der Saison verschwunden zu sein, übrig bleibt lediglich ein Problem. Matthijs de Ligt, vor der Saison für 67 Millionen Euro verpflichtet, konnte auch verletzungsbedingt die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Dayot Upamecano, eigentlich ein Paradebeispiel für den modernen Innenverteidiger, ist mittlerweile eher als jemand bekannt, der in wichtigen Spielen schwächelt. Dann gibt es noch Min-jae Kim, die möglicherweise größte Enttäuschung des sogenannten „Monster-Dreikampfs“. Vor der Saison als zuverlässige Alternative zu dem unsicheren Upamecano geholt und von der Münchener Presse „Korea-Kante“ genannt, erwies sich der 1,90 Meter große Verteidiger als nicht besonders beeindruckend. Seine Leistungen in der Bundesliga waren passabel, doch in der Champions League fiel er negativ auf, besonders durch zwei entscheidende Fehler im Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid. Und damit aus dem Dreikampf kein Fünfkampf wird, darf de Ligt den Verein wohl schon wieder verlassen. Der eigentlich auserkorene Hoffnungsträger der kommenden Jahre konnte die Erwartungen nie erfüllen, zum einen aufgrund einiger Verletzungen, zum anderen schlicht leistungsbedingt.
Ito ist verpflichtet, Tah kommt im schlechtesten Fall erst nächstes Jahr, im besten Fall in diesem. Eine klare Linie lässt sich bei diesen beiden Verpflichtungen jedoch erkennen: Die altbewährte Taktik ist zurück. Wenig kreativ, jedoch oft von Erfolg gekrönt.