Es ist ohnehin kein einfacher Job. Beleidigungen, Bedrohungen, selbst Angriffe gehören fast zum Alltag. Trotzdem sind auch Jüngere bereit, Verantwortung zu übernehmen, und sich im „Netzwerk Junge Bürgermeister*innen“ deutlich Gehör zu verschaffen.
Die Mischlings-Dame Balou benimmt sich an diesem Nachmittag merkwürdig. Die Hündin will bei wunderschönem Sommerwetter nicht raus, liegt apathisch auf ihrer Decke, da kann Herrchen machen, was es will. Schließlich kommt der Tierarzt und stellt fest, dass das Tier vorsätzlich vergiftet wurde. Die Hündin kann in letzter Sekunde gerettet werden. Offenbar war kein notorischer Hundehasser mit Giftködern am Werk, sondern jemand, der einen ganz anderen treffen wollte, nämlich das Herrchen von Balou.
Der ist parteiloser Bürgermeister einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern und hat sich ganz offenbar unbeliebt in seiner Kommune gemacht. Ein Windrad soll auf Weisung der Landesregierung gebaut werden, und das sorgt für reichlich Ärger. Der Bürgermeister will namentlich nicht genannt werden und die Geschichte am liebsten einfach nur vergessen, was ihm aber nicht gelingt. Am Ende des FORUM-Gesprächs kommt sie dann doch wieder hoch.
Angriffe auf örtliche Repräsentanten in Städten und den Gemeinden sind längt kein ostdeutsches Phänomen. Auch aus dem beschaulichen Baden-Württemberg gibt es zuhauf Geschichten von zerkratzten Autos. Oder aus Hessen, wo auf dem Grundstück eines Bürgermeisters gleich der ganze Tiefbrunnen vergiftet wurde. Kaum einer will darüber in der Öffentlichkeit sprechen, um nicht erneut Nachahmer auf den Plan zu rufen. Bürgermeister zu sein, vor allem im ländlichen Raum, ist schon lang nicht mehr vergnügungssteuerpflichtig.
Spielraum für Gestaltung vor Ort
Trotzdem hat Sina Römhild vor einem Jahr den Sprung ins Bürgermeisteramt von Oechsen in Thüringen gewagt. Die Mutter eines fast fünfjährigen Kindes hatte bislang Glück. In ihrem ersten Amtsjahr konnte sie einen Spielplatz in ihrer 600-Seelen-Gemeinde auf den Weg bringen und auch eröffnen. Dazu hat die Freiwillige Feuerwehr neue Spinde auf der Wache erhalten und neues Ausrüstungsmaterial. Doch Deutschlands jüngste parteilose Bürgermeisterin macht sich mit ihren 25 Jahren wenig Illusionen, auch wenn sie immer wieder den politischen Gestaltungsspielraum vor Ort hervorhebt. Sie ist natürlich auf ihre Mitbürger angewiesen, damit sich etwas ändert: „Zum Beispiel bei der Unterbringung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Ohne das private Engagement in unserer Gemeinde hätte ich das nie gestemmt bekommen. Alle Flüchtlinge konnten privat untergebracht werden. Und für mich das Wichtigste: Beinahe alle haben einen Job gefunden, haben also auch eine wirtschaftliche Zukunft.“ Doch sollten nun noch weitere Zuweisungen von Flüchtlingen kommen, könnte es auch für Bürgermeisterin Römhild eng werden.
Ihren Job als Bürgermeisterin übt sie übrigens ehrenamtlich aus, im Hauptberuf ist sie Verwaltungswirtin. „Wenn ich allein die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz und die nun ausgerufene Fernwärmeoffensive sehe, frage ich mich, wie weit muss man von der Realität entfernt sein. Bei uns gibt es keine Fernwärme, die wird es hier auch nie geben. Die Leute heizen mit Öl oder Holz, teilweise mit Gas, und wurden in den letzten Monaten völlig verunsichert.“ Was die 25-jährige Bürgermeisterin aus Oechsen im Rhönkreis in West-Thüringen am meisten ärgert: „Damit bekommt die AfD bei uns immer mehr Aufwind. Die müssen gar nichts machen, die brauchen keine Plakate kleben. Die ganze Heizungsdebatte ist für die AfD ein absoluter Selbstläufer, wie ja gerade die Landratswahl im benachbarten Sonneberg gezeigt hat.“
600 Kilometer weiter südwestlich an der badischen Weinstraße liegt Durbach. Hier im Schwarzwald, in der Nähe der Grenze zum französischen Straßburg, ist Andreas König (CDU) Bürgermeister. Er ist Amtsvorsteher für fast 5.000 Menschen, und seine Gemeinde darf ohne Weiteres als sehr wohlhabend umschrieben werden. Baden-Württemberg eben. Aber auch hier bekommt der 36-Jährige, der seit neun Jahren als Bürgermeister amtiert, das Unverständnis der Bevölkerung über die aktuellen Entscheidungen von Bund und Land zu spüren. Aber Andreas König ist nach fast einem Jahrzehnt im Amt entspannt: „Meine Aufgabe ist es, viele Dinge, die mir da vom Land und dem Bund vorgegeben werden, so zu gestalten, dass sie dann auch noch erträglich sind. Und wo es nicht passt, passiert bei uns auch nichts.“ Sorgen bereitet dem Bürgermeister von Durbach aber nicht nur die Kritik seiner unmittelbaren Mitbürger, sondern das zunehmende Unverständnis seiner französischen Amtskollegen rund um Straßburg. „Der deutsche Atomausstieg im April, mitten in der schwersten Energiekrise seit Bestehen der Bundesrepublik, hat bei meinen französischen Bürgermeister-Kollegen zu mehr als nur Kopfschütteln geführt. Dort macht man sich tatsächlich Gedanken, ob bei ihnen die Lichter ausgehen, wenn die französischen Energiekonzerne ihren Strom im kommenden Winter lieber für teures Geld nach Deutschland verkaufen können.“ Er versucht dann zu beschwichtigen, wirklichen Einfluss hat er auf die große deutsche Politik natürlich nicht. Andreas König ist ja nur Bürgermeister von Durbach.
„Stimmung ist hochexplosiv“
Während es an der badischen Weinstraße im Umgang untereinander und mit den Nachbarn in Frankreich dann doch eher gesittet zugeht, steht seine Amtskollegin gut 800 Kilometer südöstlich im politischen Feuer. Wiebke Şahin-Schwarzweller ist Bürgermeisterin im südlichen Brandenburg in Zossen. Seit zehn Jahren eine Boom-Region im Vergleich zu vielen westdeutschen Gemeinden. Die Gigafabrik von Tesla im benachbarten Grünheide, Bombardier in Hennigsdorf und eine mögliche neue Rüstungsschmiede für F-35-Kampfflugzeuge von Rheinmetall irgendwo in Brandenburg. Doch vor Ort, bei der Bevölkerung in den Landkreisen um Berlin herum, sind die Zündschnüre sehr kurz. „Das ist das Paradoxon. Gerade hier in Zossen, im erweiterten Speckgürtel von Berlin, geht es wirtschaftlich richtig nach vorn. Trotzdem ist die Stimmung, egal bei welchem Thema, sofort hochexplosiv, und ich bekomme das dann als Bürgermeisterin immer sofort hautnah mit.“ Auch für die 43-jährige Bürgermeisterin, die einzige in Ostdeutschland mit einem FDP-Parteibuch, ist das alles nicht ganz so einfach. Fast die Hälfte des Gemeinderates besteht aus AfD-Mitgliedern. „Die können da halt blockieren, wie sie wollen. Wir bekommen hier vom Bund beinahe nicht umsetzbare Aufgaben vorgesetzt. Das Land macht dann noch obendrauf Druck, und ich darf das dann vor Ort ausbaden.“ Wiebke Şahin-Schwarzweller macht mit Blick auf die eingeforderte kommunale Wärmeplanung schon mal klar, dass es die in Zossen wohl kaum geben wird. „Dass wir uns als Kommune bei Kitas, Schulen oder Amtsgebäuden über die zukünftige Wärmeversorgung Gedanken machen müssen, sehe ich ein. Aber dass ich jetzt als Bürgermeisterin dann noch meinen Mitbürgern sagen soll, wie sie zukünftig ihr Haus warm kriegen, lehne ich ab. Das ist ein bisschen viel Bevormundung durch das politische Berlin.“
Die Kommunen und ihre Bürgermeister sehen offenbar die einzige Möglichkeit darin sich gegen die Übermacht des Bundes und ihrer Landesregierung zu wehren, indem sie Anweisungen ins Leere laufen lassen. Politische Vorgaben funktionieren nur, wenn sie dann auch bis ins letzte Verwaltungsglied umgesetzt werden, und das sind nun mal die Städte und Gemeinden.