Die Ampel möchte den Unkrautvernichter nicht mehr einsetzen. Die EU-Kommission funkt jedoch mit einer positiven Empfehlung dazwischen. Dass Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir dies noch ändern kann, gilt als unwahrscheinlich.
Soll Glyphosat weiter verwendet werden oder nicht? Die Bundesregierung will gegen die verlängerte Zulassung kämpfen, die EU das Totalherbizid für weitere zehn Jahre empfehlen. Im Koalitionsvertrag der Ampel war bereits vereinbart worden, es vom Markt zu nehmen – eine Zulassungsempfehlung der EU käme da ungelegen. Da kommt es Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir gerade recht, dass mehrere Umweltorganisationen Schützenhilfe leisten. Sie haben Herstellern des Unkrautvernichters Glyphosat vorgeworfen, im EU-Zulassungsverfahren Risiko-Informationen unterdrückt zu haben. Die österreichische Organisation Global 2000 kündigte einen Gang zur Staatsanwaltschaft Wien an, dem sich auch das Pesticide Action Network Germany (Pan Germany) und weitere Gruppierungen anschlossen.
Die Umweltaktivisten übermittelten der Staatsanwaltschaft ihre ergänzenden Vorwürfe zu bereits eingebrachten Strafanzeigen wenige Wochen vor der geplanten EU-Entscheidung zu Glyphosat. Mitte Oktober sollen EU-Staaten darüber entscheiden, ob sie einem Vorschlag der Europäischen Kommission zustimmen und das Herbizid für weitere zehn Jahre zulassen.
Die Bayer AG und weitere nicht namentlich genannte Glyphosat-Hersteller hätten in dem Verfahren für die Verlängerung der Zulassung mutmaßlich wissenschaftliche Studien unterschlagen, hieß es seitens der Umweltschützer. Sie nannten unter anderem Untersuchungen zur toxischen Wirkung des Unkrautmittels auf das Nervensystem, zum Krebsrisiko und zur Aufnahme der Substanz durch die Haut. Es bestehe der Verdacht, dass die Produzenten „die Behörden und die Öffentlichkeit über die wahre Wirkweise und die Gefährlichkeit von Glyphosat auf Mensch, Tier und Umwelt“ getäuscht und somit Betrug begangen hätten.
Keine Gefahren, aber Datenlücken
„Bayer hat keine wissenschaftliche Studie verschwiegen oder den zuständigen Behörden vorenthalten“, teilte das Unternehmen in einer Reaktion der Presse mit. Mehr als 1.500 Studien seien in das Genehmigungsverfahren eingeflossen. EU-Behörden seien zu dem Ergebnis gekommen, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung weder gesundheitsgefährdend noch krebserregend sei.
Ende Juli hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) eine Untersuchung zu Glyphosat veröffentlicht, in der sie keine inakzeptablen Gefahren, aber Datenlücken in mehreren Bereichen gesehen hatte. Zu den Aspekten, die nicht abschließend geklärt wurden, gehören etwa ernährungsbedingte Risiken für Verbraucher sowie Risiken für Wasserpflanzen und den Artenschutz.
Die Geschichte von Glyphosat und die anhaltenden Diskussionen um möglicherweise gesundheitsschädliche, ja krebserregende Stoffe reichen lange zurück. Erstmals hergestellt wurde es 1950, ins Licht der Öffentlichkeit aber rückte es erst sehr viel später. 2016 kaufte der deutsche Chemieriese Bayer den US-Konkurrenten Monsanto – und damit auch das Herbizid Glyphosat – für 60 Milliarden US-Dollar. Damit übernahm Bayer auch eine Fülle von Klagen gegen Monsanto. Aktuell sieht die Bilanz unterm Strich für Bayer eher gemischt aus: Sieben Mal in Folge hat der Konzern Klagen in den USA rund um den Unkrautvernichter und seine neue Tochter Monsanto gewonnen oder mit einem millionenschweren Vergleich beendet, für den der Konzern Rückstellungen vornehmen musste. Gleichzeitig schwächelt das Geschäft, die Preise gehen nach Lieferengpässen im vergangenen Jahr zurück. Die Nachfrage nach Glyphosat sei vor allem in den USA hoch, berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Ob die Übernahme doch noch zu einem Erfolg wird, hängt nicht zuletzt von den europäischen Ländern ab. Die Wissenschaft ist über den Nutzen und die Folgen des Herbizids gespalten.
„Grundsätzlich widerspricht der Vorschlag der EU-Kommission allen öffentlichen Diskussionsergebnissen der zurückliegenden Jahre“, sagt beispielsweise die Agrarwissenschaftlerin Prof. Dr. Maria R. Finckh, Leiterin des Fachgebietes Ökologischer Pflanzenschutz der Universität Kassel. „Die genannten Einschränkungen, vor allem das Verbot der Sikkation (gezielte Austrocknung der Pflanze, die das Reifen beschleunigen soll; Anm. d. Red.) und die mindestens fünf Meter Randstreifen auf den Feldern, sowie der Verweis auf die Risiken der Beimischungen sind EU-weit betrachtet eine Verbesserung, auch wenn letzterer Verweis sehr ungenau und damit leicht auszuhebeln ist. Für Deutschland sind die Einschränkungen fast keine Veränderung des Status Quo.“
Andererseits würden Insekten, vor allem Bienen, gar nicht genannt, sondern nur indirekte Effekte auf die Biodiversität über das Nahrungsnetz. „Die Auswirkungen auf das Mikrobiom werden gänzlich ignoriert. Das bedeutet, dass die Tatsache der antibiotischen Wirkung von Glyphosat und die vielfältigen Daten, die aufzeigen, wie die selektive antimikrobielle Wirkung von Glyphosat die Gesundheit von Tieren, Menschen und Pflanzen beeinträchtig, schlicht ignoriert werden“, so Prof. Finckh. „Dies ist eine gravierende Lücke, die nicht akzeptabel ist.“ Und dies sei auch der wichtigste Grund, warum Glyphosat ein Problem darstelle: „Weil dieses Antibiotikum flächendeckend oft jedes Jahr dem Boden zugeführt wird. Mit gravierenden Auswirkungen auf das Mikrobiom.“
„Ich halte den Vorschlag für angemessen“, sagt dagegen Prof. Prof. Dr. Christoph Schäfers, Bereichsleiter Angewandte Oekologie am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie. „Die wesentlichen Diskussionen ergaben sich zum einen um die verwendeten Formulierungen, die nun eingeschränkt werden und dies in einigen Mitgliedsstaaten bereits waren. Zudem um die krebserzeugenden Wirkungen, für die mechanistisch keine Hinweise gefunden werden konnten.“ Zahlreiche Studien kamen zu diesem Schluss, während die Internationale Krebs-Forschungsagentur (IARC) in Lyon zu einem anderen Ergebnis gelangt. Deren Schlussfolgerungen sind jedoch umstritten.
Prof. Schäfers weist darauf hin, dass die „Zulassungsbehörden der Mitgliedstaaten die Produktanwendungen in Abhängigkeit von den lokalen Gegebenheiten einschränken“ können. Die Landwirte müssten sich genau informieren, was sich im Vergleich zur früheren Praxis ändert. „Bei der Bewertung des ‚Restrisikos‘ sollte berücksichtigt werden, dass es bis heute keine Substanz gibt, die bei vergleichbarer Wirkung weniger unerwünschte Nebenwirkungen hat. Das wesentliche Problem von Glyphosat ist sein Einsatz in extrem großem Umfang. Wenn dieser mit Hilfe der neuen Regulation eingeschränkt wird, ist bereits viel erreicht.“ Dennoch ist auch Schäfers der Meinung: „Besser ist: ganz ohne Herbizide.“
Ob letztlich Glyphosat weiter in der EU oder in Deutschland verwendet wird, hängt nun von den Landwirtschaftsministern der EU-Staaten ab. Cem Özdemirs Haltung ist klar, auch Österreich will gegen die Glyphosat-Empfehlung votieren. Wieviele andere Staaten sich der Haltung Özdemirs anschließen werden ist unklar, die rechtlichen Hürden, eine EU-Empfehlung auszuhebeln, sind recht hoch und bedürfen einer qualifizierten Mehrheit von EU-Staaten: 55 Prozent der Staaten, die zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, müssten sich gegen die Empfehlung aussprechen. Dass dies geschieht, gilt als sehr unwahrscheinlich.