Auf jeden Menschen kommen 2,5 Millionen Ameisen, deren Gesamtzahl lange unterschätzt wurde. Laut einer neuen Studie gibt es mindestens 20 Billiarden Krabbeltiere, die in mehr als 15.000 Arten unterteilt sind.
Sie waren schon Lebensgefährten der Dinosaurier: die ebenso wie Bienen und Wespen zur Gruppe der Hautflügler zählenden Ameisen. Deren ältestes aufgefundenes Fossil stammt aus der Kreidezeit vor etwa 100 Millionen Jahren. Ameisen sind damit wahre Erfolgsinsekten, von denen bislang mindestens 15.700 Arten und Unterarten bekannt sind, in Deutschland sind etwa 100 verschiedene Arten heimisch. Wobei die Wissenschaft ausschließlich Kenntnis von oberirdischen Krabbeltieren hat, während über Arten oder Zahl der unterirdisch lebenden Ameisen noch so gut wie nichts ermittelt werden konnte. Ameisen einer Art sind strikt in sogenannte Kasten gegliedert, die sich deutlich voneinander unterscheiden und für ganz spezielle Aufgaben zuständig sind. Bei den Königinnen handelt es sich um geschlechtlich aktive Weibchen, die von Frühling bis Herbst ununterbrochen Eier legen. Die mit Flügeln ausgestatteten Männchen sind ausschließlich für die Befruchtung der Königinnen verantwortlich und sterben nach dem Begattungsflug. Bei den körperlich kleinsten und flügellosen Arbeiterinnen handelt es sich um geschlechtlich unterentwickelte Weibchen, die für so ziemlich alles verantwortlich sind – von Futtersuche oder Nestbau bis hin zur Versorgung von Brut und Königinnen mit Nahrung oder der Verteidigung des Baus gegen Angreifer.
Im heimischen Garten, auf der Sommerterrasse oder gelegentlich durch Eindringen in die Wohnräume können die sechsbeinigen Insekten, die sich quasi überall einnisten können und deren Zahl innerhalb eines Volkes zwischen einigen Hundert und mehreren Millionen schwanken kann, zu ungeliebten Plagegeistern werden. Dabei wird leicht vergessen, wie wichtig die Ameisen nicht nur als Nahrungsgrundlage für andere Tiere oder als Schädlingsbekämpfer für ein funktionierendes Ökosystem sind. „Pro Hektar bewegen Ameisen im Jahr bis zu 13 Tonnen Erdmasse, damit haben sie großen Einfluss auf die Erhaltung des Nährstoffkreislaufs und spielen auch in der Verbreitung von Pflanzensamen eine entscheidende Rolle. Tatsächlich sind Ameisen für das reibungslose Funktionieren biologischer Prozesse so wichtig, dass sie als Ökosystemingenieure angesehen werden können. Der verstorbene Ameisenforscher Edward Osborne Wilson nannte sie einmal ‚die kleinen Dinger, die die Welt regieren‘“, erklärt der Biologe Dr. Patrick Schultheiss vom Lehrstuhl für Verhaltensbiologie und Soziobiologie der Julius-Maximilian-Universität in Würzburg. Er hat kürzlich gemeinsam mit seiner am gleichen Institut tätigen Kollegin Sabine Nooten ein Forscherteam geleitet, das sich die Mammutaufgabe gestellt hatte, die Gesamtzahl der auf der Erde lebenden Ameisen zu ermitteln. „Wir hatten keine Vorstellung, was die Zahl sein könnte – da war alles überraschend“, so Dr. Schultheiss. Es gab lediglich eine Untersuchung zweier US-amerikanischer Biologen aus dem Jahr 1994, die ausgehend von der Ameisendichte in Südengland die Zahl der insgesamt auf der Erde ansässigen Insekten auf eine Billiarde bis zu zehn Billiarden berechnet hatte.
Nur oberirdische erfasst
Das Würzburger Forscherteam wollte es mithilfe einer umfangreichen Datenanalyse genauer wissen. Dazu werteten sie die Ergebnisse von 489 früheren Studien über Ameisenpopulationen aus möglichst vielen Kontinenten aus, wobei Erhebungen aus rund 1.300 Lokalitäten zur Verfügung standen. „Unser Datensatz repräsentiert eine enorme Sammelleistung von Tausenden von Wissenschaftlern. Wir konnten dann die Anzahl der Ameisen für verschiedene Regionen der Welt extrapolieren und ihre globale Gesamtzahl und Biomasse abschätzen“, so Dr. Schultheiss. Allerdings musste er einräumen, dass nicht für alle Gebiete der Erde aussagefähige Daten zur Verfügung standen: „Es gibt bestimmte Teile der Welt, in denen wir nur wenige Daten haben, und wir können daher keine zuverlässigen Schätzungen für alle Kontinente erreichen. Afrika ist ein solches Beispiel. Wir wissen seit Langem, dass es ein sehr ameisenreicher Kontinent ist, aber auch sehr wenig erforscht.“ Für den Süden Afrikas gibt es Zahlenmaterial, nicht aber für die nördlichen Regionen.
Um Struktur in das Datengerüst zu bekommen, gliederten die Forscher dieses nach Landschaftstypen wie „Wüste“ oder „tropischer Regenwald“ auf. Danach ermittelten sie die durchschnittliche Ameisendichte pro Quadratmeter in dem jeweiligen Landschaftsgebiet und rechneten diesen Wert entsprechend hoch. „Unser erstes Anliegen war es herauszufinden, ob die Ameisendichte in verschiedenen Regionen gleich ist“, so Patrick Schultheiss. Dadurch hatte man sich etwaige Rückschlüsse etwa über die Bedeutung und Einbindung der Insekten in verschiedenen Ökosystemen erhofft. Es stellte sich heraus, dass Ameisen außer in den Polarregionen in nahezu allen Lebensräumen der Erde anzutreffen sind. Wobei fast zwei Drittel, genauer gesagt 61 Prozent der oberirdisch lebenden Ameisen in tropischen Feuchtwäldern und tropischen Savannen ansässig sind. „Neben der Klimazone“, so die Würzburger Forscher, „spielen aber auch lokale Ökosysteme eine wichtige Rolle. Wälder und Trockengebiete beheimateten die meisten Exemplare, in stark von Menschen beeinflussten Gebieten kommen sie dagegen deutlich seltener vor.“
Was die Gesamtzahl der auf der Erde oberirdisch ansässigen Ameisen betrifft, so kamen die Würzburger Forscher mit ihren eher konservativen Schätzungen zu einem Ergebnis, das deutlich oberhalb des bislang angenommenen Wertes liegt. Demnach ist unser Planet von bis zu 20 Billiarden Krabbeltieren bevölkert. „Anschaulicher wird es, wenn man daraus resultierend die Biomasse der Tiere errechnet“, so Dr. Schultheiss. „Diese beträgt zwölf Megatonnen Kohlenstoff. Das übersteigt die kombinierte Biomasse von wilden Vögeln und Säugetieren und entspricht rund 20 Prozent der Biomasse der Menschheit.“
Zwölf Megatonnen Kohlenstoff
Rein rechnerisch betrachtet entfallen auf einen Menschen damit 2,5 Millionen Ameisen. Die können wie im Falle der invasiv auftretenden Feuerameisen durchaus auch negative Einflüsse auf die lokale Biodiversität haben. „Es ist von größter Wichtigkeit“, so das Würzburger Team, das seine Forschungsergebnisse im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht hat, „die noch bestehenden Wissenslücken zu schließen, um ein umfassendes Bild der Insektendiversität zu erhalten – und ein globales Verständnis der weltweiten Muster der Biodiversität sowie ihrer Treiber. Als globale Gemeinschaft sollten wir unsere Anstrengungen auf Regionen, Habitate und regionale Lebensgemeinschaften konzentrieren, über die wir am wenigsten wissen – solange wir es noch können.“
Interessant dürfte in Corona-Zeiten auch sein, dass Ameisen Strategien zum Schutz vor Epidemien entwickelt haben, wie die Evolutionsbiologin Dr. Nathalie Stroeymeyt von der Universität Bristol herausgefunden hat. Nach der Infizierung von Versuchstieren mit einem infektiösen Pilz hatten sich diese Ameisen in freiwillige Quarantäne begeben und sich von ihrer Kolonie ferngehalten. Laut Dr. Stroeymeyt mussten die Tiere bemerkt haben, dass sie einen für ihr Volk potenziell gefährlichen Erreger in sich trugen. Die Forscherin vermutet, dass die Tiere die Pathogene über den Geruch erkennen konnten. Der Geruchssinn der Ameisen ist auch interessant für die Krebsforschung, weil schon nachgewiesen werden konnte, dass trainierte Insekten spezifische Krebsduftstoffe erschnüffeln können.