Ein Baby wird geboren – für alle Kulturen ein ganz besonderes Ereignis. Doch was für viele Menschen heute eine klinisch durchgetaktete Angelegenheit ist, war und ist andernorts mit jahrhundertealten Ritualen verbunden. Zwischen Spiritualität, Aberglauben und Praktischem: Wie gebären Frauen in anderen Ländern?
Ob im Dschungel, im Dorf oder im Krankenhaus – eine Geburt ist nie nur ein medizinischer Akt. Wer den ersten Schrei seines Kindes hört, das erste Mal die süße Schwere des Neugeborenen auf dem eigenen Körper spürt, der weiß, dass in jeder Geburt eine gewisse Magie liegt. Eine Geburt, für viele etwas fast schon Spirituelles. Kein Wunder also, dass es in vielen Ländern und Kulturen noch heute gewisse Traditionen gibt – vor, während und nach der Entbindung.

Denn auch die Monate vor der Geburt sind in vielen Kulturen von einer Vielzahl an Ritualen begleitet. In Indien beispielsweise wird im siebten Schwangerschaftsmonat das „Valaikappu“-Ritual gefeiert. Dabei wird die werdende Mutter mit Armreifen und Schmuck beschenkt, um das ungeborene Kind und die Mutter zu segnen und zu schützen. Ähnlich spirituell geht es bei den Navajo in Nordamerika zu: Dort steht beim „Blessingway“ die emotionale Stärkung der Mutter im Mittelpunkt. In Russland gilt als weit verbreitet, dass man einer schwangeren Frau nichts abschlagen dürfe, da sich sonst ein Muttermal oder „Zeichen“ auf dem Baby bilden würde. In China wiederum sollen unterm Bett platzierte Messer Geister fernhalten, während in Afrika bestimmte Nahrungsmittel gemieden werden, um das Gleichgewicht im Körper zu wahren.
Ein russischer Brauch besagt: „Was man Schwangeren verweigert, zeigt sich später am Kind“
Gleichgewicht im Körper ist auch während der Geburt so eine Sache. Beispielsweise in asiatischen Kulturen, wie in Taiwan oder Japan, wo von Gebärenden erwartet wird, möglichst still zu bleiben. Schmerz gilt nicht als etwas, das man zeigen sollte, sondern als etwas, das in Würde getragen wird. In Vietnam glaubt man sogar, dass lautes Schreien böse Geister anzieht – was Mutter und Kind gefährden könnte. In westlichen Ländern wird der Schmerz in den meisten Fällen mit Medikamenten behandelt und unterdrückt, in der Türkei werden die Schmerzenslaute der werdenden Mutter gar regelrecht gefeiert: Die Familie beschenkt die Mutter mit Gold und Schmuck, je intensiver sie ihre Schmerzen zum Ausdruck gebracht hat. In Mexiko wiederum wird erwartet, dass Frauen tapfer sind – doch nicht, um still zu sein, sondern um das Baby zu schützen. Lauter Schmerz könnte es erschrecken oder den Geburtsverlauf stören.

Doch nicht nur die Geräusche der Gebärenden spielten eine Rolle, sondern auch jene drum herum. Während in deutschen Kliniken oft eine ruhige, gedämpfte Atmosphäre herrscht, sind in Teilen Westafrikas oder Lateinamerikas Geburtsgesänge üblich. In Uganda singen ältere Frauen Lieder, um die Gebärende zu ermutigen. In Indien werden Mantras gesprochen, in Nepal Klangschalen verwendet. Geräusche gelten dort als Mittel, um den Übergang ins Leben zu erleichtern – nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.
Generell ist die Geburt in vielen Kulturkreisen ein sehr spirituell aufgeladener Moment. Die Grenze zwischen Leben und Tod, so heißt es, scheine in diesem Moment durchlässig. Neue Seelen betreten die Welt – und genau das berge auch Gefahren, denkt man beispielsweise in Teilen Mexikos. Dort werden traditionell alle Fenster und Türen geschlossen, um das Eindringen böser Geister ins Haus und somit in die Seele des Neugeborenen zu verhindern. Ähnliche Vorstellungen finden sich in Teilen Afrikas, aber auch in der islamischen Welt, wo schützende Gebete gesprochen werden, um Mutter und Kind in dieser verwundbaren Zeit zu bewahren. Im krassen Gegensatz dazu steht Indien: Hier werden die Türen gar absichtlich geöffnet – als Zeichen, dass sich auch der Körper der Frau „öffnen“ darf. Weiter wird ihr während der Geburt das Haar geöffnet.
Selbst bei der Art, wie geboren wird, gibt es große Unterschiede: Während die westliche Medizin schon lange auf die liegende Geburtsposition setzt – bequem für Ärztinnen und Ärtze, aber nicht unbedingt für die werdende Mutter – folgen viele traditionelle Kulturen einem ganz anderen Prinzip: dem der Schwerkraft. In vielen afrikanischen Ländern, etwa in Ghana oder Nigeria, sind Geburten im Stehen oder Hocken weit verbreitet. Frauen stützen sich auf Stühle, Seile oder andere Frauen. Diese Positionen sollen den Geburtskanal öffnen und den Druck auf die Wirbelsäule verringern. Auch in Südamerika, etwa bei den indigenen Quechua oder Mapuche, wird traditionell aufrecht geboren – mithilfe erfahrener Hebammen, die über Generationen hinweg ihr Wissen weitergeben.
In Südostasien, besonders bei den Hmong in Laos und Vietnam, wird ebenfalls aufrecht entbunden. Dort allerdings ist es üblich, dass die Frau die Geburt weitgehend allein bewältigt, oft in einem eigenen Raum, in dem Männer keinen Zutritt haben. Sie entscheidet selbst, wann das Kind kommen darf – ein Ausdruck von Autonomie, der heute in vielen Ländern wieder in der Diskussion steht.

Generell stellt sich auch die Frage: Wer darf bei der Geburt überhaupt dabei sein? In westlichen Ländern ist es längst üblich, dass der Partner oder die Partnerin als emotionale Unterstützung mit im Kreißsaal ist. Doch das ist längst nicht überall so. In Italien ist erst in den letzten Jahren die Begleitperson in Mode gekommen. Der familiäre Rückhalt spielt dort zwar eine zentrale Rolle, aber weniger im Kreißsaal selbst. Gefeiert wird erst nach der Geburt, meist aber noch im Krankenhaus. Typisch sind kleine Geschenke wie „Bomboniere“ (kleine Säckchen mit Mandeln und Glücksbringern) oder die „fiocco nascita“: eine große, meist handgefertigte Schleife mit dem Namen des Neugeborenen.
In vielen traditionellen Gesellschaften ist die Geburt noch heute reine Frauensache. Männer – selbst Väter – müssen draußen bleiben. Teils aus gesellschaftlichen, teils aber auch aus spirituellen Gründen. Bei den Inuit und einigen indigenen Völkern in Südamerika gilt die Anwesenheit von Männern beispielsweise als unheilvoll. Umgekehrt gibt es auch Kulturen, in denen die werdenden Väter eine zentrale Rolle spielen: In Papua-Neuguinea etwa simulieren Männer mitunter Wehen, um mit ihren Frauen „mitzuleiden“ – ein Brauch, der zeigen soll, dass das Kind zu beiden Eltern gehört.
Auch der Ort der Geburt ist teilweise eine Frage der Tradition: In vielen westlichen Ländern ist die Geburt im Krankenhaus Standard, doch weltweit gesehen ist die Hausgeburt nach wie vor weit verbreitet – teils aus Notwendigkeit, teils aus Überzeugung. In Ländern wie den Niederlanden etwa ist die Hausgeburt kulturell akzeptiert und medizinisch gut begleitet. In ländlichen Gegenden Afrikas oder Südostasiens gibt es spezielle Geburtshütten, in denen Frauen ab dem Beginn der Wehen untergebracht werden – fern vom Alltagsleben und oft auch abseits des Dorfes. Sie bleiben dort nicht nur während der Geburt, sondern auch für einige Tage danach, bis sie wieder als „rein“ gelten. In Thailand wiederum gibt es buddhistische Klöster, in denen Nonnen die Geburt begleiten, vor allem bei alleinstehenden oder sozial benachteiligten Frauen. Insbesondere Hausgeburten und Geburtshäuser werden auch in Deutschland immer beliebtere Optionen.

Ist das Kind erst mal da, folgt die Frage nach Plazenta und Nabelschnur. Wo in westlichen Kulturen diese meist entsorgt wird, trifft man auch hier mittlerweile vermehrt auf den Wunsch, diese mitzunehmen. Häufig wird sie dann eingelagert oder vergraben – Letzteres ist ein Brauch, der eigentlich von den Philippinen und aus Indonesien stammt, wo sie häufig im Garten unter einem Baum vergraben wird, oft verbunden mit einem Gebet und einem Wunsch für das Kind. Es soll Wachsen und Leben symbolisieren.
In Japan wird die Nabelschnur des Babys nach der Geburt sorgsam gereinigt, getrocknet und in einem kleinen Kästchen aufbewahrt. Man glaubt, dass sie ein Leben lang eine Verbindung zwischen Mutter und Kind darstellt – ein Symbol der Geborgenheit. In Mali wiederum ist der Umgang mit der Plazenta Aufgabe des Vaters. Er reinigt und vergräbt sie an einem sicheren Ort, um zu verhindern, dass sie von Hexern oder Geistern gestohlen wird. Die Angst vor Missbrauch dieser kraftvollen „Geburtsreste“ ist in vielen Kulturen tief verwurzelt. In Teilen Südamerikas, etwa Ein russischer Brauch besagt: „Was man Schwangeren verweigert,
zeigt sich später am Kind“bei indigenen Völkern im Amazonasgebiet, wird die Plazenta verbrannt, um ihre Kräfte zu neutralisieren. Ähnliche Praktiken gibt es auf La Réunion oder in Korea, wo man ebenfalls glaubt, dass eine unsachgemäße Entsorgung Unglück bringt.
In China soll die Mutter nach der Geburt nicht duschen, um die innere Kälte zu vertreiben
Und das Kind? Nun, selbst in der Wochenbettzeit gibt es Unterschiede. Diese ersten Wochen nach der Geburt sind weltweit von ganz unterschiedlichen Vorstellungen geprägt. Während Mütter in Deutschland oft nach wenigen Tagen nach Hause gehen – manchmal sogar schon ambulant gebären – sieht das in anderen Kulturkreisen ganz anders aus. In Mexiko gibt es das sogenannte „cuarentena“ – eine 40-tägige Schonzeit, in der die Frau von anderen Frauen umsorgt wird. Ähnlich sieht es in China mit dem „Zuo Yuezi“ aus: Ein Monat voller Suppen, Massagen und Ruhe. Die Mutter bleibt im Haus, soll weder duschen noch kalte Getränke zu sich nehmen – alles, um die „innere Kälte“ zu vertreiben, die durch die Geburt entstanden sei. Diese 40 Tage gelten auch in orthodoxen Gebieten Russlands als besonders: Das Neugeborene soll möglichst in dieser Zeitspanne getauft werden. Sie gilt als besonders sensibel, das Kind sei in dieser Zeit noch „zwischen den Welten“, so der Glaube.
In Nigeria übernimmt oft die Schwiegermutter, das Regiment nach der Geburt. Sie zieht bei der jungen Familie ein, übernimmt die Hausarbeit und wacht darüber, dass Mutter und Kind ausreichend geschützt werden. Auch in Ägypten oder im Libanon ist diese Phase stark ritualisiert – teils mit Reinigungszeremonien, teils mit Feiern, bei denen das Neugeborene offiziell in der Gemeinschaft begrüßt wird. In Israel ist es in orthodoxen jüdischen Gemeinden üblich, dass die Mutter nach der Geburt eine „Mikwe“, ein rituelles Tauchbad, nimmt. Damit soll symbolisch die Reinheit wiederhergestellt werden – ein Übergangsritus, der auch die spirituelle Rückkehr in den Alltag markiert.