Viel schwieriger und stressiger hätte das Startprogramm für Unions neuen Trainer Nenad Bjelica nicht sein können. Doch der Kroate sucht keine Alibis. Er verspricht maximalen Einsatz und verlangt das auch von seinen Spielern.
Raúl – nur wenige Namen versprühen im Weltfußball mehr Glanz als der des Spaniers. Und dieser Name geisterte in den Medien für ein paar Tage bei der Frage, wer die Nachfolge von Erfolgstrainer Urs Fischer bei Union Berlin antreten wird. Nicht nur das: Für das Fachblatt „Kicker“ war der frühere Weltklassespieler von Real Madrid und Schalke 04 fast schon sicher auf dem Sprung nach Köpenick. Die Fans konnten diese Nachricht kaum fassen, die Euphorie in Kommentaren auf den Social-Media-Portalen war spürbar – doch am Ende gab es für die Anhänger ein Déjà-vu. Ein „Isco 2.0“ sozusagen. Genau wie der spanische Welt- und Europameister Isco, der als sicherer Neuzugang in der vergangenen Winterpause galt, kam auch der Wechsel von dessen Landsmann Raúl nicht zustande. Union Berlin überraschte mal wieder alle und zog einen Fischer-Nachfolger aus dem Hut, der zwar einen deutlich weniger klangvollen Namen hat als Raúl, der dafür aber deutlich mehr Erfahrung im Trainergeschäft aufweist: Nenad Bjelica.
Der „Neue“ bringt Trainer-Erfahrung mit
Bei seiner offiziellen Vorstellung machte der Kroate schnell klar: „Mir ist es lieber, auf dem Platz zu sprechen.“ Doch viel Zeit blieb ihm dort nicht. Gerade einmal zwei Trainingstage hatte der 52-Jährige, um sich auf sein Premierenspiel bei Sporting Braga in der Champions League vorzubereiten. An diesem Samstag (15.30 Uhr) steht bereits das erste Bundesligaspiel an, das schwerer wohl nicht sein könnte: auswärts bei Rekordmeister Bayern München. Die Möglichkeit, erst nach diesen beiden Partien das Ruder bei Union zu übernehmen, kam für Bjelica nicht infrage. „Ich habe solche schweren Spiele in meiner Karriere schon gehabt“, sagte er selbstbewusst: „Es sind auch drei Punkte in München drin. Wir wollen diese Spiele erfolgreich gestalten und auch gewinnen.“
Bei seiner Vorstellung wurde schnell deutlich: Nenad Bjelica ist ein sehr ehrgeiziger Mensch, der von seinen Spielern auf dem Platz Leistung verlangt. Er habe als Trainer eine „sehr menschliche Führung“, sagte er – mit einer wesentlichen Einschränkung: „immer für jeden, der das als Leistung zurückzahlt.“ Der Mann, der wegen seiner Zeit als Spieler und Trainer beim 1. FC Kaiserslautern und in Österreich gut Deutsch spricht, stellte unmissverständlich klar: „Wer das bringt, wird Nenad Bjelicas bester Freund sein. Und wer nicht, der wird ein Problem haben.“ Er selbst werde mit „maximalem Einsatz“ vorangehen, denn: „Dieser Verein verdient das.“ Bjelica gab aber auch zu, „nicht viel Zeit“ zu haben, „um großartig etwas zu verändern“. Taktisch könne er nur Feinjustierungen vornehmen, sein Hauptaugenmerk lag in der ersten Arbeitswoche auf der Psychologie. „Ich werde versuchen, mit den Jungs positiv zu reden, sie zurück in die Spur zu bringen“.
Das 1:1 am vergangenen Wochenende zu Hause gegen den FC Augsburg mit dem Interims-Trainerduo Marko Grote/Marie-Louise Eta bezeichnete Bjelica als „Schritt nach vorne“. Zwar wurde die Horror-Serie von neun Niederlagen in Folge in der Liga beendet, doch der erste Bundesligasieg seit dem 4:1 bei Aufsteiger SV Darmstadt vom 26. August lässt weiter auf sich warten. Dennoch ist der neue Trainer „voll überzeugt, dass viel mehr drin ist, als zuletzt gezeigt wurde“. Diese Überzeugung, mit dem vorhandenen Kader die Trendwende schaffen zu können, habe für Bjelica den Ausschlag gegeben, verriet Sportchef Oliver Ruhnert. Zudem habe der Kroate „als Spieler und auch als Trainer viel Erfahrung sammeln können“ – auch im Abstiegskampf. „Wir glauben, dass er sich dieser Situation sehr bewusst ist.“ Und was war mit Raúl? Mit Spaniens Fußball-Ikone hat sich Union dem Anschein nach nicht intensiver beschäftigt. „Wir haben in den letzten Tagen wirklich viele Gespräche geführt. Und es spricht wirklich für die Organisation dieses Clubs, dass von all den Kandidaten oder von den Gesprächen, die wir geführt haben, bis zum heutigen Zeitpunkt nicht ein einziger Kandidat nach außen gedrungen ist“, sagte Ruhnert.
Auch Club-Präsident Dirk Zingler hatte sich zuvor bei der Trainersuche nicht in die Karten blicken lassen und Spekulationen über in der Öffentlichkeit gehandelte Namen wie Raúl, den ehemaligen Frankfurter Coach Oliver Glasner oder den Niederländer Alfred Schreuder nicht kommentiert. „Am Ende muss es ein Trainer sein, der Authentizität und einen klaren Weg hat“, hatte Zingler lediglich zum Anforderungsprofil gesagt: „Dann werden wir auch zusammenfinden.“ Schwierigkeiten bei der Suche habe es aufgrund der prekären Lage keine gegeben, behauptete Zingler. Die Kandidaten hätten gesehen, „wie wir bei Union miteinander umgehen. Trainer können hier gut arbeiten und genießen die Unterstützung des Clubs“.
Bei Union hat mit der Ernennung von Bjelica zum Chefcoach endgültig eine neue Zeitrechnung begonnen. Die Ära von Urs Fischer ist beendet – jedoch nicht ohne nochmalige Würdigung durch Fans und Club. Auf Bannern wurden ihm und seinem ebenfalls nicht mehr in Verantwortung stehenden Co-Trainer Markus Hofmann gedankt: „Ihr habt Träume verwirklicht, die wir eigentlich nie hatten.“ Fischer selbst wollte nach eigener Aussage das Spiel gegen Augsburg am Fernseher schauen und die Daumen drücken. Von Frust über die Trennung keine Spur. Auch Zingler hob nochmals hervor, wie wichtig ihm ein fairer und respektvoller Abschied gewesen sei. „Denn ein guter Neustart ist nur möglich, wenn auch das Ende vernünftig ist“, sagte der Club-Präsident. Nun müsse aber der Blick aller nur noch nach vorne gehen: „Wenn wir nicht nach vorne schauen, war der Schritt umsonst.“
Nur Lob für Grote und Eta
Wieder in die U19 ist Grote zurückgekehrt, während seine Assistentin Marie-Louise Eta vorerst beim Profiteam blieb. Die erste Co-Trainerin in der Geschichte der Fußball-Bundesliga soll Bjelica so lange unterstützen, bis Assistent Sebastian Bönig von seiner Auszeit aus persönlichen Gründen zurückkehrt, teilte der Club am vergangenen Sonntag mit. Das Duo Grote/Eta erhielt von Spielern und Verantwortlichen nur lobende Worte. Beide haben das Team gegen Augsburg stabilisieren können. „Es gab einige Nackenschläge, nach denen man hätte nachlassen können“, sagte Grote, „aber bei uns war das Gegenteil der Fall“.
Für den neuen Hoffnungsschimmer sorgte ausgerechnet Kevin Volland. Der Ex-Nationalspieler, der im
vergangenen Sommer als vermeintlich große Verstärkung für den Angriff nach Köpenick gekommen war, enttäuschte bislang auf ganzer Linie. Sein erstes Tor für Union, der in der 88. Minute den wichtigen Ausgleich gegen Augsburg sicherte, war für das Team, die Fans, den Club und vor allem für ihn selbst eine Erlösung. „Als Offensivspieler ein Tor zu machen und auch mal wieder 90 Minuten auf dem Platz zu stehen und Substanz in die Beine zu kriegen, tut gut“, sagte Volland sichtlich erleichtert. Der frühere Profi der AS Monaco war aber nicht nur deshalb glücklich, auch die Geburt seiner dritten Tochter wenige Tage zuvor habe ihn „beflügelt“, wie er selbst sagte.
Richtig froh über Vollands Tor war auch Robin Gosens. Der Nationalspieler hatte mit seinem Foul an der Strafraumkante den Elfmeter zur Augsburger Führung ermöglicht. Der Außenverteidiger war zwar auch nach Ansicht der Videobilder der Meinung, dass der Strafstoß unberechtigt gewesen sei, doch er zeigte sich einsichtig: „Wenn ich ihn einfach stelle und anspielen lasse, passiert deutlich weniger als das, was jetzt passiert ist.“ Selbstkritik, die sicher auch sein neuer Trainer gern hört.