Vor fünf bis sechs Millionen Jahren trennte sich das Mittelmeer vom Atlantik und wurde infolgedessen nahezu vollständig in eine Salzwüste verwandelt – mit gravierenden Auswirkungen auf die marine Biodiversität.
Heute kaum mehr vorstellbar, aber vor rund 5,5 Millionen Jahren war das Mittelmeer kein lieblich unter der mediterranen Sonne glitzerndes Wasserparadies. Vielmehr erinnerte sein weitgehend ausgetrocknetes Becken eher an eine unwirtliche, kilometerweit in die Erdoberfläche hineinreichende Salzwüste, in der es lebende Kreaturen sehr schwer hatten. Es handelte sich um eine staubtrockene Tiefebene, in der sich rasende Fallwinde von den Felshängen herabstürzten und dabei die Luft infolge der Reibung auf bis zu 80 Grad Celsius erhitzten. Vormalige Inseln waren zu Gebirgen geworden, die aus vier Kilometern unter dem einstigen Meeresspiegel liegenden Tälern, den tiefsten Landflächen der Welt, aufragten. Der Boden des Mittelmeerbeckens war mit einer stellenweise bis zu drei Kilometer dicken, glänzenden Mischung aus Gips und Kochsalz bedeckt. Die Salzschicht auf dem Meeresboden konnte erst 1970 durch Geoforscher zufällig bei Bohrungen im Balearen-Becken entdeckt werden. Die aufgefundene Substanz entpuppte sich als Anhydrit, ein Salz, das zurückbleibt, wenn Meerwasser verdunstet. Die außerdem gefundenen versteinerten Matten mit Bakterien namens Stromatolithen, die nur in Flachwasser gedeihen, erhärteten den Verdacht, dass das Mittelmeer irgendwann nahezu komplett trockengefallen war. Die Altersanalyse des Salzes erlaubte damals die Datierung dieses Ereignisses auf die Zeit vor knapp sechs Millionen Jahren.
Zwei Drittel aller Arten starben aus
Seither debattiert die internationale Forschung über die Ursachen des Erdgeschichtsdramas. Wobei inzwischen Klarheit darüber besteht, dass sich die Straße von Gibraltar, jene 14 Kilometer schmale Meerenge zwischen Europa und Afrika, durch die das Mittelmeer mit Wasser aus dem Atlantik versorgt wird, einst geschlossen und dadurch eine ökologische Krise ausgelöst haben musste. Inzwischen hat sich die These durchgesetzt, dass Bewegungen im oberen Erdmantel, wodurch Gebiete des heutigen Südspaniens und Nordmarokkos angehoben wurden, die schmale Passage blockiert hatten.
Dieser Prozess setzte bereits vor rund 7,6 Millionen Jahren ein, doch erst vor etwa 5,97 Millionen Jahren war der Zufluss komplett unterbrochen worden. Es war der Beginn der sogenannten Messinischen Salinitätskrise. Mangels Frischwasserzufluss begann das Wasser in dem Becken zu verdunsten, dabei stieg der Salzgehalt stetig an. Der Zufluss aus Strömen wie dem Nil war viel zu gering, um diese Entwicklung aufhalten zu können. Es bildeten sich kilometerdicke Salzablagerungen, sogenannte Salzriesen, die auch in anderen Teilen Europas, in Australien, Sibirien oder dem Mittleren Osten aufgefunden und als wertvolle Ressource in Salinen-Bergwerken abgebaut werden konnten.
Im Mittelmeer sammelten sich die Salzkristalle vor rund 5,5 Millionen Jahren zu einem Salzriesen von einer Million Kubikkilometern an, was ein internationales Forschungsteam unter Federführung von Dr. Konstantina Agiadi vom Institut für Paläontologie der Universität Wien und Dr. Daniel Garcia-Castellanos vom geowissenschaftlichen Forschungsinstitut Geosciences Barcelona jüngst in einer im Fachmagazin „Science“ veröffentlichten Studie bekannt gemacht hat. Die Forscher richteten in ihrer Arbeit das Hauptaugenmerk auf die Auswirkungen der Salzkrise auf die marine Biodiversität, weil die nahezu vollständige Austrocknung des Mittelmeers natürlich gravierende Folgen für das marine Leben haben musste. Die Hyperversalzung hatte das Mittelmeer zu einer lebensfeindlichen Umgebung gemacht. Viele Meeresbewohner, die zuvor gerade in dieser Region heimisch gewesen waren, sogenannte Endemiten oder endemische Arten, konnten sich an die extremen Bedingungen nicht anpassen und starben aus. „Unsere Studie stellt die erste statistische Analyse einer so großen ökologischen Krise dar“, sagt Dr. Agiadi.
Jahrzehntelang wurden akribisch knapp 23.000 Fossilien von rund 5.000 Arten aus Fundstellen in den Mittelmeer-Anrainerstaaten oder aus bei Bohrungen gewonnenen Sedimentkernen der Tiefsee ausgewertet. Dazu zählten sowohl die fossilen Überreste von winzigem Plankton, Weichtieren oder Korallen als auch Skelette großer Meerestiere bis hin zu Haien oder Delfinen. Wobei der Untersuchungs-Zeitrahmen großzügig abgesteckt worden war, die überprüften Objekte waren zwischen zwölf und 3,6 Millionen Jahre alt. Dies erlaubte Vergleiche zwischen der Artenvielfalt weit vor Beginn der ökologischen Katastrophe, als laut dem Forschungsergebnis 2.006 verschiedene Arten im Mittelmeer ansässig waren, und der Erholung der Biodiversität des Mittelmeers nach der geologischen Wiederöffnung der Straße von Gibraltar vor etwa 5,33 Millionen Jahren.
Jahrzehntelange Analysen
Dabei konnte der Befund ermittelt werden, dass sich die Zusammensetzung der Arten nach der Isolierung des Mittelmeeres ganz erheblich verändert hatte. Zwei Drittel der zuvor typisch im Mittelmeer heimischen Arten – exakt waren es 67 Prozent – konnten nach der Krise nicht mehr in den Proben nachgewiesen werden. Die heute im Mittelmeer vorkommenden Spezies haben sich daher größtenteils erst nach der Krise etablieren können. „Insgesamt deuten unsere Fossilanalysen damit auf eine faktische Ausrottung der mediterranen Biota während dieser Krise hin“, sagt Dr. Agiadi. Laut dem Team hatten die starken Schwankungen in Bezug auf Salzgehalt und Temperatur auch die Wanderungen der Meeresorganismen, die Ströme von Larven und Plankton, erheblich negativ beeinflusst und dadurch die zentralen Prozesse des Ökosystems geradezu dramatisch gestört.
„Von den übrigen Arten kann angenommen werden“, so die Forscher, „dass einige während des Höhepunkts der Krise im benachbarten Atlantik Zuflucht gefunden haben. Fossile Belege dafür sind allerdings rar.“
Nachdem das Mittelmeer wieder vom Atlantik her geflutet worden war, könnte dieser Teil der endemischen Arten laut den Wissenschaftlern wieder in ihre frühere Heimat zurückgekehrt sein. Doch daneben wanderten auch vormals im Mittelmeer nicht heimische Spezies in das Becken ein, beispielsweise Weiße Haie oder auch viele neue Arten von Plankton. Dies führte zur Entstehung eines neuen Biodiversitätsmusters, bei dem die Artenvielfalt im Mittelmeer von Westen nach Osten abnimmt – ein Phänomen, das auch heute noch zu beobachten ist. Laut den Wissenschaftlern ist die Artenvielfalt heute im Verhältnis zur Größe des Beckens wegen der zahlreichen nur im Mittelmeerraum vorkommenden Spezies überproportional hoch. „Die Biodiversität in Bezug auf die Artenzahl erholte sich erst nach mehr als 1,7 Millionen Jahren“, sagt Dr. Agiadi. Vor diesem Hintergrund dürfte die heutige überaus bedenkliche Situation des Mittelmeers, das als einer der weltweiten Hotspots des Klimawandels gilt und das am stärksten belastete Ökosystem der Welt ist, in einem neuen Licht erscheinen. Dr. Agiadi: „Um sich von Umweltkrisen zu erholen, brauchen Ökosysteme länger als gedacht, und danach können sie ganz anders aussehen als vorher.“
„Die Ergebnisse werfen eine Reihe neuer spannender Fragen auf“, sagt Dr. Daniel Garcia-Castellanos. „Wie und wo haben elf Prozent der Arten die Versalzung des Mittelmeers überlebt? Wie haben frühere, noch größere Salzformationen die Ökosysteme und das Erdsystem verändert?“ Denn so gravierend die Salinitätskrise des Mittelmeers auch gewesen war, so habe es laut dem Forscherteam im Laufe der Erdgeschichte ähnliche und teilweise sogar noch weitaus größere Krisen in mindestens 138 weiteren Meeresbecken gegeben.
All diesen Fragen will das Team künftig nachgehen, unter anderem innerhalb eines neuen Cost Action Networks namens „SaltAges“, in dem die sozialen, biologischen und klimatischen Auswirkungen von Salzriesen untersucht werden sollen.