Dass vor Urzeiten Dinosaurier dort lebten, wo heute Rumänien liegt, ist fast unvorstellbar. Doch eine neue Studie unter der Leitung der Berliner Paläontologin Verónica Díez Díaz förderte neue Funde zutage. Die neuesten Erkenntnisse verändern auch unser Bild von der Artenvielfalt dieser Tiere im Europa der Kreidezeit.

Über das Aussterben der Dinosaurier wissen Paläontologen, dass diese Periode am Ende der Kreidezeit, vor etwa 66 Millionen Jahren, einsetzte. Lange Zeit war jedoch unser Verständnis von dieser Periode stark von Fossilien aus Nordamerika wie zum Beispiel aus der Morrison- und der Hell-Creek-Formation geprägt. Neue Funde aus Rumänien aktualisieren das Bild, das wir von dieser Zeit und ihrer Vielfalt auf jener Insellandschaft, die es seinerzeit im Haţeg-Becken im heutigen Rumänien gegeben hat, hatten.
Eine 126 Seiten lange Studie unter der Leitung von Verónica Díez Díaz, die vor Kurzem in der Fachzeitschrift „Journal of Systematic Palaeontology“ erschienen ist, ergab eine überraschende Erkenntnis: Auf der Haţeg-Insel im heutigen Rumänien herrschte eine hohe Vielfalt an Titanosauriern, die sich zudem in ihrer Größe voneinander unterschieden. Außerdem stellte das Team um Díez Díaz fest, dass sich die Diversität und Größe auf die geografische Verbreitung der Riesensaurier auswirkte. „Wir haben so viele neue Erkenntnisse und Materialien über die Inselsauropoden (pflanzenfressende Langhalssaurier, Anm. d. Red.) gesammelt, dass wir weitere Untersuchungen machen müssen“, sagt Verónica Díez Díaz, angestellte Paläontologin am Museum für Naturkunde in Berlin. Finanziell unterstützt wurde ihre Forschungsarbeit von der britischen Royal Society und der US-amerikanischen Jurassic Foundation.
Viele Sauropoden auf kleiner Insel
Seit vielen Jahren vertreten die Forscherinnen und Forscher die Hypothese, dass die Vielfalt der Dinosaurier in der europäischen Kreidezeit größer gewesen sein muss als bislang angenommen. Vor allem mehrere Funde aus Spanien, Frankreich und Rumänien gaben Anlass zu dieser These. „Zum Beispiel dachte man, dass an einem Ort in Frankreich (Campagne-sur-Aude, Süd-Ost-Frankreich) nur eine Spezies gelebt hatte. Doch wir sahen anhand unserer neuen Funde, dass an einem Ort mindestens zwei Sauropodenarten vorgekommen sind“, sagt Verónica Díez Díaz. Die in Berlin lebende Paläontologin hat während ihrer sieben Jahre dauernden Studie mit Zoltán Csiki-Sava von der Universität Bukarest und mit Philip Mannion und Paul Upchurch vom University College London zusammengearbeitet. 2010 traf ihn die damalige Doktorandin auf einem Kongress in Aix-en-Provence. „Wie auch ich forscht Zoltán Csiki-Sava an Sauropoden. Wir sprachen darüber, dass wir in Zukunft eine Forschungskooperation machen wollen“, erzählt sie.

Die Paläontologie ging lange Zeit davon aus, dass in Europa nur drei Arten von Sauropoden vorgekommen sind. „Die neuen Fossilienfunde ändern jedoch komplett unser Bild von der Kreidezeit“, sagt Verónica Díez Díaz. Im Zeitraum der Studie entdeckte das Forscherteam mehr als 20 verschiedene Individuen und Gruppierungen von Knochen im Westen Rumäniens. „Wir sind uns sicher, dass auf dieser verhältnismäßig kleinen Insel viele Sauropoden-Dinosaurier gelebt haben müssen“, sagt die Forscherin. Um welche neuen Arten handelt es sich im Einzelnen? Da ist zum einen der Titanosaurier Uriash kadici, der zu den größten bekannten Sauropoden des europäischen Archipels der späten Kreidezeit gehört. Weiter schreibt das Team der Studienautoren, dass zwei weitere Dinosaurierarten hier ansässig gewesen sein müssen: Paludititan nalatzensis und Petrustitan hungaricus. „Die Knochen von Petrustitan waren zwar bekannt, aber das Problem war, dass sie eigentlich zum Magyarosaurus dacus gehörten“, sagt die Studienleiterin. In der Studie heißt es dazu, dass die kleinwüchsige Sauropodenart Magyarosaurus dacus aus den Ablagerungen des unteren Maastrichtiums im Hațeg-Becken stammt. Allerdings merken die Studienautoren an, dass diese Art vernachlässigt wurde, zudem gebe es keine moderne Einordnung ihrer Anatomie, Taxonomie und phylogenetischen, sprich ihrer stammesgeschichtlichen, Verwandtschaft. Welch mühsame Arbeit die falsche Zuordnung der Knochen den Forschern bereitete, verdeutlicht der folgende Passus in der Studie: „Durch detaillierte anatomische Studien historischer und unbeschriebener Überreste, kombiniert mit Archivdaten, identifizierten wir gemeinsame Autapomorphien (abgeleitete Merkmale, die nur innerhalb einer betrachteten Gruppe auffindbar sind, Anm. d. Red.), die mehrere Teilskelette verbinden. Unsere Analyse von Hunderten von Exemplaren ermöglicht die Stabilisierung der Typusart Magyarosaurus dacus.“
Über die Lebensweise und Ernährung der erwähnten Urzeittiere selbst ist indes allerdings kaum etwas bekannt. „Uns fehlen insbesondere Informationen über die Zähne der neu entdeckten Sauropodenarten. Deshalb konnten wir bisher auch noch nicht analysieren, welche Pflanzen sie gefressen haben und welche nicht“, sagt Verónica Díez Díaz. Direkte Rückschlüsse von den gefundenen Sauropoden-Arten auf die damals herrschenden Umweltbedingungen lassen sich aber nicht ziehen. Zumindest weiß das Team um die Studienleiterin Verónica Díez Díaz, dass im Haţeg-Becken das Klima tropisch und sehr feucht gewesen sein muss. „Am ehesten lässt sich ein Vergleich ziehen zum Klima heute in Karibik und Vietnam“, sagt Verónica Díez Díaz.
„Plus/minus fünf Millionen Jahre“

Zumindest aber gibt es eine sichere Erkenntnis: Unter den Inselsauropoden, die vor Millionen Jahren im heutigen Westrumänien lebten, variierte die Körpergröße teilweise sehr stark. Im Unterschied zum riesengroßen Uriash kadici waren Magyarosaurus dacus und Petrustitan hungaricus mit einer Körperlänge von zwei Metern vergleichsweise kleine Sauropoden. Nicht nur in puncto Größe unterschieden sich die Inselbewohner voneinander, sondern auch in ihrem bevorzugten Lebensraum: Magyarosaurus und Petrustitan konnten sich nur in den niedrigeren Ebenen ernähren. Allein wegen seiner Größe war Uriash kadici im Stande, von Bäumen zu fressen. „Diese Erkenntnis sagt uns, dass diese Arten einen Lebensraum teilen konnten und friedlich koexistierten“, erklärt Verónica Díez Díaz. Mit absoluter Gewissheit jedoch wissen die Studienautoren nicht, ob die drei Arten wirklich zur selben Zeit auf jener Insel gelebt haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies so gewesen ist, sei jedoch sehr hoch, betont Díez Díaz und führt weiter aus: „Das ist ein Grundproblem von Paläontologie: Wir arbeiten mit Zeiträumen von Millionen Jahren. Meist sind die Rückdatierungen nicht exakt, sodass wir plus/minus fünf Millionen Jahre angeben müssen.“
Überdies beleuchtet die Studie einen anderen interessanten Aspekt: Es lassen sich Verbindungen zwischen den europäischen Dinosaurierarten und ihren Verwandten in Afrika, Asien und Südamerika nachweisen. „Es gibt drei Hypothesen, warum das so gewesen sein könnte“, erzählt die Forscherin. Die Studienautoren gehen unter anderem von einem sogenannten „Saurier-Endemismus“ aus, also einem Vorkommen der Saurier auf einem räumlich begrenzten Gebiet. „In Europa lebten kleinere Arten wie Magyarosaurus und Petrustitan hungaricus, die möglicherweise aus Asien eingewandert sind. Die großen Sauropodenarten wanderten von Afrika nach Europa, wo sie auch Inseln besiedelten“, erklärt Verónica Díez Díaz. Um diese Hypothese weiter auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen, müsste allerdings das Datenmaterial aus den vergangenen 20 Jahren weiter ausgewertet werden. Und dafür braucht es neben den zeitlichen insbesondere auch ausreichend personelle Ressourcen.
Mit den neuesten Informationen werden jedenfalls die europäischen Paläontologen in die Lage versetzt, genauer an der Anatomie und Taxonomie, das heißt der wissenschaftlich-systematischen Einordnung der Lebewesen zu arbeiten. „Auch für die heutige Zeit ist das paläontologische Wissen essenziell. Inseln sind sehr wichtige Orte, anhand derer wir die Biodiversität und das Ökosystem weiter erforschen können“, sagt Verónica Díez Díaz. Dazu komme, dass immer wieder neue Fundstellen neues Material liefern. Das wiederum helfe den Paläontologen, die unvorstellbar weit zurückliegende Zeit der Dinosaurier besser verstehen zu können.