Warum man nicht mit einer schnellen Veränderung der Asylsituation rechnen darf
Lange hat es gedauert, bis die Bundesregierung den Vorschlägen des Europäischen Rates zur Asylrechtsreform in allen vorher noch strittigen Einzelpunkten zugestimmt hat. Die dort vereinbarten Eckpunkte rufen jedoch weiterhin Kritik von beiden Seiten in dieser Diskussion hervor – jenen, die eine stärkere Abschottung wollen und jenen, die eine liberale Asylpolitik befürworten. Die Argumente sind dabei simpel: Für die einen ist diese Reform nicht hart und durchgreifend genug, für die anderen ist sie es viel zu sehr. Die absolute Mehrheit der Regierungen neigt eher zur Abschottung, doch für viele ist das noch nicht genug. Die Diskussion entwickelt sich so, als wäre in kurzer Zeit mit einem Durchgreifen der Politik zu erwarten. Doch was ist konkret zu erwarten?
Die neuen Vorschläge mit ihren Aufnahmelagern an den Außengrenzen – oder am liebsten noch weit davor – und den schnellen Asylverfahren und ebenso schnellen Zurückweisungen erweckt auf den ersten Blick tatsächlich den Anschein eines „harten Durchgreifens“. Wer sich aber mit den Entscheidungsprozessen der EU auskennt, weiß, dass selbst im Idealfalle mit einer schnellen Umsetzung nicht zu rechnen ist. Erst einmal wird man auf die Neuwahlen zum Europäischen Parlament warten, das jetzt, ein Dreivierteljahr vor dem Ende der Legislaturperiode, keine heißen Eisen mehr anfassen wird. Dann muss sich das neue Parlament in Ruhe sortieren, ehe es sich mit dem Vorschlag befasst.
Wenn das bereits Ende 2024 geschieht, war es schnell. Für den Fall, dass danach alles ganz fix geht, ist mit einer Implementierungszeit von mindestens zwei, wenn nicht drei Jahren zu rechnen. Und dass es nicht „ganz fix“ ablaufen wird, haben die Proteste der unzufriedenen Mitgliedsstaaten bereits unter Beweis gestellt – interessanterweise von denen, denen die neuen Regelungen nicht hart genug sind, und die nicht einsehen, für die Nicht-Aufnahme von Flüchtlingen plötzlich zahlen zu müssen.
Dazu kommen eine Reihe von rechtlichen Unwägbarkeiten. Der Vorschlag, so, wie er jetzt existiert, ist juristisch angreifbar. Zum einen kann man argumentieren, dass der vorgeschlagene Umgang mit Minderjährigen gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstößt, die eigentlich alle EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet haben. Kinder festzusetzen und sie ab einem gewissen Lebensalter quasi wie Erwachsene zu behandeln, das ist beides rechtlich fragwürdig. Zum anderen ist generell die geplante Quasi-Inhaftierung von Asyl-Antragstellern in den geplanten Aufnahmeeinrichtungen ebenfalls bedenklich.
Eine langfristige Inhaftierung – drei bis sechs Monate, je nach Fall – ohne, dass eine Straftat vorliegt (und einen Antrag auf Asyl zu stellen ist nun einmal keine), wirft ebenfalls grundlegende Menschenrechtsfragen auf. Es ist zu erwarten, dass kritische Akteure, sobald etwas in Recht und Verordnung gegossen ist, mit diesen Regelungen vor die europäischen Gerichte ziehen werden. Betrachtet man deren Rechtsprechung in der Vergangenheit, sollte die EU nicht damit rechnen, in allem ungeschoren davonzukommen (außer, sie ändert die Regelungen vorauseilend selbst).
Alle, die sich von den neuen Regeln eine schnelle Lösung für die Asylproblematik erhoffen, sollten darüber noch einmal nachdenken. Und angesichts potenzieller neuer Auslöser für Flüchtlingsmigration – eine Eskalation im Nahost-Konflikt, eine Eskalation in Armenien, um nur zwei naheliegende Beispiele zu nennen – wird sich die faktische Flüchtlingslage möglicherweise ganz anders darstellen, als es die Entscheidungsträger heute annehmen. Man kann nicht einmal ordentlich Wahlkampf mit diesem Entwurf machen – eben, weil er den einen nicht weit genug geht und den anderen zu weit.