Pflege braucht Vielfalt in der Ausbildung: Helfer, Fachkräfte, Akademiker. Nur im gezielten Zusammenspiel lässt sich der Personalmangel wirksam bewältigen. Davon ist Carsten Drude, Leiter der Franziskus Gesundheitsakademie Münster, überzeugt.
Herr Drude, wie schwer ist es denn für Sie als Schulleiter, neue Pflegeschülerinnen und -schüler für Ihre Akademie in Münster zu gewinnen?
Das ist zugegeben nicht ganz einfach. Uns geht es da nicht besser als dem Handwerk, der Industrie oder den Verwaltungen – alle ringen wir um den Nachwuchs. Dieser wird bekanntlich auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht mehr, sondern eher weniger. Da ist die Pflege nicht anders aufgestellt als andere Ausbildungsberufe. Wobei sich die Situation bei der Gewinnung von Auszubildenden in der Pflege in den letzten Jahren für uns verbessert hat. Der Pflegeberuf hat einen echten Imagewechsel hingelegt …
… woran machen Sie das fest? Was war der Auslöser?
Das war sicherlich auch die Zeit der Pandemie, in der sehr viele Menschen unmittelbar mitbekommen haben, dass der Pflegeberuf tatsächlich systemrelevant ist und mitten in unserer Gesellschaft stattfindet. Was vorher so ein bisschen eine unscheinbare Selbstverständlichkeit war, ist da im Bewusstsein der Menschen angekommen. Beinahe jeder Mensch in Deutschland hat in seinem Umfeld jemanden, der auf Pflege angewiesen ist. Das haben wir dann nicht nur bei uns an der Akademie in Münster, sondern viele meiner Kolleginnen und Kollegen in ganz Deutschland in den Ausbildungszentren am gestiegenen Interesse von Bewerbern gemerkt. Diese meist jungen Menschen haben gesehen: Pflege ist ein toller, facettenreicher Beruf, der viele Karrieremöglichkeiten bietet – und viele haben sich daraufhin für eine Ausbildung entschieden. Aber da haben auch wir im Deutschen Pflegerat jahrelang daran gearbeitet, dass das endlich einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird.
Sie sind ja auch Mitglied im Pflegerat. Dort wird seit Jahren über die Ausbildungsstandards der Pflegekräfte diskutiert. Eine eindeutige Antwort darauf gibt es aber vermutlich nicht?
Das ist richtig – kann es bei der Vielschichtigkeit des Berufsbildes von Pflegekräften auch nicht geben. Das ist eine Gratwanderung. Unsere Herausforderung: Wir müssen es hinbekommen, die Standards hochzuhalten – das ist absolut mein Anspruch, aber auch der des Verbandes für die Lehrenden in der Pflege. Umgekehrt dürfen wir auch keine Türen zuschlagen für potenziell geeignete Bewerberinnen und Bewerber. Ich glaube, der Mix ist eigentlich das, was wir zukünftig für die Versorgung in Deutschland brauchen. Wir brauchen sowohl Assistenz- und Hilfskräfte, aber natürlich auch akademisierte Mitarbeitende und selbstverständlich eine breite Masse – so wie jetzt auch – an ganz klassisch dreijährig ausgebildeten Pflegekräften. Ich glaube, man darf da nicht nur Bretter vor dem Kopf haben und sagen: Nur das eine oder nur das andere ist der richtige Weg. Der Mix macht’s.
Nun haben wir mittlerweile eine nicht unerhebliche Zahl von Schulabgängern ohne Abschluss. Wenn sich diese bei Ihnen bewerben – besteht eine realistische Aussicht auf Ausbildung?

Generell ja. Wir müssen uns genau dieser Aufgabe stellen – das wird ja auch schon lang genug auf Bundesebene diskutiert. Wir in der Pflege haben längst reagiert. Zum Beispiel ist es in Nordrhein-Westfalen schon seit vielen Jahren Standard, dass der Zugang zu den Hilfsberufen auch ohne Schulabschluss grundsätzlich möglich ist. Nun geht es natürlich um die schwierige Frage: Wie suchen wir in solchen Fällen die geeigneten Menschen aus? Bei uns in NRW machen wir ein Assessment. Zuerst sprechen wir mit den Leuten, um uns ein Bild von ihnen machen zu können. Klar ist: Wir nehmen nicht jede und jeden – wir schauen gezielt, wer geeignet ist. Haben wir uns für jemanden entschieden, beginnt die Arbeit – und alle Pflegeschulen haben in diesem Rahmen eine Probezeit. Man hat also eine Hintertür, um zu sagen: Nein, es hat nicht funktioniert – aber wir haben es ausprobiert. Wir können es uns nicht mehr leisten, auch nur eine potenzielle Pflegekraft links liegen zu lassen.
Wie sind Ihre Erfahrungen bei diesem Auswahlverfahren mit Bewerbern ohne Schulabschluss?
Es gibt in diesem speziellen Ausbildungsbereich keine übergreifende Erhebung über die Erfolgsquote. Ich habe aber bei uns in Münster persönlich sehr, sehr positive Erfahrungen mit dem kleinen Assessment an unserer Schule gemacht, bei dem wir im Rahmen eines standardisierten Verfahrens Menschen auswählen – sie „prüfen“, in Anführungszeichen.
Da machen wir auch kleine schriftliche Aufgaben, dann einen praktischen Teil – und haben gute Erfolgsquoten. Aber bei der Bildung braucht es schon gewisse Standards und grundlegende Zugangsvoraussetzungen. Im Zweifelsfall machen wir aber auch Einzelfallprüfungen – auch da haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.
Im Handwerk oder Handel gilt: Eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung zählt gleichzeitig als Schulabschluss. Ist das bei der Pflege auch so?
Teilweise ja, aber noch nicht bundesweit flächendeckend. Das gibt es in einigen Bundesländern, zum Beispiel in Niedersachsen. Die Voraussetzung dafür ist, dass man an den Pflegeschulen auch allgemeinbildende Fächer unterrichtet. Das haben wir in NRW zum Beispiel noch nicht. Das ist denkbar, aber dafür braucht man Lehrende mit Doppelqualifikation. Die müssen dann ein zweites Fach unterrichten – zum Beispiel Deutsch oder Mathe. Das Problem: Solche Fachlehrer für Pflege, die zusätzlich in allgemeinbildenden Fächern unterrichten können, gibt es nicht allzu viele – und diese auszubilden kostet Geld und Zeit, in der die Lehrkräfte nicht an der Akademie, sondern in Fortbildungen sind.
Das würde heißen: Sie suchen nicht nur händeringend Schüler, sondern auch Lehrer für den Pflegeberuf mit Allgemeinfach – dürfte noch schwieriger sein, solche zu finden?
So ist es genau richtig beschrieben. Auch auf der Ebene der Lehrenden suchen wir natürlich Nachwuchs. Man darf nicht vergessen: Das Niveau für Lehrende in der Pflege ist – wie in anderen Berufen auch –auf Masterniveau festgesetzt worden. Das halte ich für richtig. Aber schon ohne Allgemeinfach gibt es große Unterschiede, wie man Lehrer-Nachwuchs findet. In Städten mit Hochschulen findet man leichter neue Lehrkräfte. Doch in ländlichen Regionen bringt die Suche nach neuen Kolleginnen und Kollegen deutlich größere Schwierigkeiten mit sich.