Nach zwei Jahren Corona-Pause findet die Grüne Woche wieder live statt. Während auf den Diskussionsforen über die globale Ernährungskrise debattiert wird, liegen die hiesigen Landwirte mit dem Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wegen der Tierhaltung im Clinch.
Von Avocados über Weizen und Sonnenblumenöl bis hin zu Zitronen – weltweit sind viele Nahrungsmittel teurer geworden. Die Nachwirkungen der Corona-Krise samt Lockdowns, die Störung vieler Versorgungsketten und der Krieg in der Ukraine haben eine Krise in der globalen Ernährung ausgelöst.
Zahl der Hungernden steigt weltweit
So ist auch die Ernährungskrise das dominierende Thema, das die gerade begonnene „Internationale Grüne Woche“ in Berlin begleitet. Die Messe rund um die Themen Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau findet nach zwei Jahren Corona-Pause erstmals wieder live statt. Vom 20. bis zum 29. Januar sind Aussteller aus dem In- und Ausland auf dem Berliner Messegelände vertreten. Im Hintergrund der Messe, die unter anderem mit vielfältigen kulinarischen Genüssen aus aller Welt, einem Reitturnier sowie einem „Erlebnis-Bauernhof“ mit Land- und Nutztieren seine Besucher bespaßt, spielen sich ernstere Themen ab. Aktuelle gesellschaftliche Fragen sollen in Fachseminaren und Diskussionsforen verhandelt werden. Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Transformation der Ernährungssysteme sind die Kernthemen des Branchentreffs. Dabei soll es unter anderem um die Entwicklung ländlicher Regionen gehen, um Biokraftstoffe und die Entwicklung erneuerbarer Mobilität oder die Rolle Kasachstans, Usbekistans und der Ukraine für die globale Ernährungssicherheit.
Auf einem der Diskussionsforen will Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) darüber diskutieren, wie der weltweite Hunger in den kommenden sieben Jahren beendet werden könnte. Die globale Hungersnot wird immer größer. Nach dem „2022 Global Nutrition Report“ stieg die Zahl der von Hunger betroffenen Menschen seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie um 150 Millionen. Die Zahl derjenigen Menschen, die sich keine gesunde Ernährung leisten können, stieg allein im Jahr 2020 um 112 Millionen auf 3,1 Milliarden. Und fast ein Drittel der Weltbevölkerung war mäßig oder stark von Ernährungsunsicherheit betroffen. Diese Krise spitzt sich dadurch zu, dass weltweit die Lebensmittelpreise steigen. So kletterte der Lebensmittelpreisindex (FFPI) nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) vom Jahr 2021 bis 2022 auf 14,3 Prozent. Auch was Getreideprodukte betraf, schnellte der FAO-Preisindex für das Gesamtjahr 2022 in die Höhe. Trotz einer leichten Entspannung in der zweiten Jahreshälfte erreichte der FAO-Getreidepreisindex ein neues Rekordhoch und verzeichnete ein Plus von 23,5 Punkten (17,9 Prozent) gegenüber 2021.
Zukunftssorgen machen sich angesichts andauernder Risiken auf den Märkten auch die hiesigen Landwirte. „Die Unsicherheiten sind groß“, sagte Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, vor Kurzem der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Preise für Betriebsmittel wie Energie und Dünger seien massiv gestiegen und nach wie vor auf sehr hohem Niveau. Zum Beispiel kosteten Düngemittel zurzeit das 3,5-Fache dessen, was die Landwirte vor Ausbruch des Ukraine-Krieges bezahlen mussten. Dazu komme eine hohe Schwankung auf den Märkten. „Insofern ist es notwendig, dass eine gewisse Liquidität bei den Betrieben da ist, um überhaupt die höheren Vorkosten bei der Erzeugung zu finanzieren.“
Darüber hinaus liegt der Bauernverband mit dem Bundeslandwirtschaftsminister im Clinch wegen der Tierhaltung. So hatte der Verband die geplante Förderung für den Umbau der Tierhaltung hin zu höheren Standards in den Ställen kritisiert. „Es brodelt in der Branche, seit die Vorschläge auf dem Tisch liegen“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied der dpa. „Das ist kein Programm zur Zukunftssicherung des Standorts Deutschland, sondern das ist ein Programm, das auf einen Abbau hinausläuft.“ Die klare Ansage sei: „Ja zu mehr Tierwohl. Das wollen die Tierhalter machen. Nur mit dem, was auf dem Tisch liegt, können sie es nicht tun.“
Das Bundesagrarministerium hatte Eckpunkte des Förderprogramms vorgestellt. Zunächst sollen Schweinehalter Geld bekommen, wenn ihre Betriebe Standards erfüllen, die deutlich über den zwingenden gesetzlichen Vorgaben liegen. Gefördert werden sollen „tier- und umweltgerechte“ Neu- und Umbauten von Ställen sowie laufende Mehrkosten einer verbesserten Haltung. Als „Anschubfinanzierung“ will die Ampel-Koalition bis 2026 eine Milliarde Euro bereitstellen.
Großer Zoff um staatliches Siegel
Für Zoff sorgt auch das verpflichtende staatliche Siegel für unverarbeitetes Schweinefleisch. Es soll Landwirte dazu animieren, ihren Tieren mehr Platz zu geben als vorgeschrieben. Wer im Supermarkt ein rohes Schweineschnitzel kaufen will, soll künftig an einem Aufkleber erkennen können, ob die Tiere in einem engen Stall gemästet wurden. „Der Endverbraucher kann durch die Einführung einer verbindlichen Kennzeichnung bewusst Haltungsformen wählen, die sich vom gesetzlichen Mindeststandard abheben und den Tieren Möglichkeiten bieten, arteigenes Verhalten in höherem Maße auszuführen“, heißt es in Özdemirs Gesetzentwurf. Damit ist die Art der Tierhaltung per Aufkleber sofort erkennbar.
Als niedrigste Stufe ist die Bezeichnung „Stall“ geplant. Hier müssen Tierhalter ihren Schweinen nur gesetzliche Mindeststandards bieten. Die nächsthöhere Stufe 2 ist die Haltungsform „Stall + Platz“, bei der es 20 Prozent mehr Raum geben muss und etwas Abwechslung. Haltungsform 3 bedeutet, dass die Tiere Kontakt mit dem Außenklima haben, etwa durch eine nach außen offene Stallseite. Außerdem haben Schweine 40 Prozent mehr Platz im Stall. Zusätzlich ist Futter ohne Gentechnik vorgeschrieben. Haltungsform 4 bietet den Tieren einen tatsächlichen Auslauf im Freien. In diese Stufe ist auch Biofleisch einzuordnen.
Die Verbraucherzentrale wie auch Tierschützer bemängeln, dass die Haltungsform-Kennzeichnung nicht ausreichend sei. Schließlich trifft das Label keine Aussage darüber, ob es den Tieren tatsächlich gut gegangen ist vor ihrer Schlachtung. Bei konventionellen Schweinehaltern hingegen ist der Ärger allein über die Kennzeichnungspflicht groß. Die hiesige Fleischindustrie steht wirtschaftlich unter Druck, weil in Deutschland immer weniger Schweinefleisch gegessen und exportiert wird.