Volker Kutscher hat den letzten seiner Rath-Romane veröffentlicht. Parallel dazu wird gerade die fünfte und finale Staffel der auf den Romanen basierenden Serie „Babylon Berlin” fertiggestellt. In Berlin können Interessierte auf den Spuren der Geschichte wandeln.

Alexander Vogel muss nicht lange warten, bis er seinen, wie er sagt, „Lieblingssatz der Tour“ aussprechen darf: „Folgen Sie mir zum Altar!“ Es ist Samstagnachmittag, und Alexander Vogel hat an die Teilnehmer der Babylon-Berlin-Tour gerade Tablets verteilt. In den kommenden drei Stunden wird er ihnen auf den kleinen Bildschirmen Filmausschnitte aus „der erfolgreichsten deutschen Serie“ und einige historische Fotos zeigen.
Die zehn Frauen und Männer, einige von ihnen aus Berlin, andere als Touristen in der Stadt, haben sich für den „Klassiker“ entschieden. So nennt die Erlebnisagentur Zeitreisen, zu der Alexander Vogel gehört, den samstäglichen Stadtrundgang zu Drehorten der Serie. „Für Edelfans“, wie Agentur-Chef Arne Krasting sagt, gibt es die Tour auf Anfrage auch ganztägig oder in einem Bus. „Neben den wichtigsten Drehorten gibt es hier ‚Babylon Berlin‘ auch kulinarisch zu erleben: Wir essen im Stammlokal von Gereon und Charlotte“, erklärt er.
Essen im Stammlokal der Protagonisten
„Es gibt Menschen, die beim Namen Gereon fragend schauen – auch wenn sie zu dieser Tour kommen“, sagt Alexander Vogel. Das sind dann meist Männer, die von ihren Frauen mit zur Tour „geschleppt“ werden. Also erst mal ein paar Fragen: Wem sagt der Name Gereon Rath nichts? Wer hat wie viele Staffeln der Serie gesehen? Wer hat die der Serie zugrundeliegenden Romane von Volker Kutscher gelesen? Vogel will wissen, wo er seinem Publikum an diesem Tag vielleicht etwas mehr erklären muss – und was er besser nicht erzählt, damit diejenigen, die noch mittendrin sind in der Geschichte, nicht gespoilert werden.
Nur „Derrick“ sei in mehr Länder verkauft worden als „Babylon Berlin“. Nach der Erstausstrahlung beim Bezahlsender Sky 1 im Herbst 2017 lief Babylon Berlin Ende September 2018 bei der ARD an. Die Geschichte, die in den inzwischen vier Staffeln erzählt wird, beginnt 1929. Kommissar Gereon Rath wechselt vom Kölner in den Berliner Polizeidienst. Der im Krieg traumatisierte Mann gerät mitten hinein in politische Umbrüche, Bandenkriege, Intrigen und das wilde Leben der zu Ende gehenden Goldenen Zwanziger.
Die Drehbuchautoren und Regisseure Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten starten diese spannende und gefährliche Reise durch eine faszinierende Phase der deutschen Geschichte in Köln: Gereon Rath steht in einer Kirche. Da sind auch sein Vater, sein Bruder, die Frau, die er liebt, die aber gerade in diesem Moment seinen Bruder heiratet. „Du bist in Köln“, sagt eine Stimme aus dem Off.
In der Szene ist Gereon Rath, gespielt von Volker Bruch, in Köln, der Stadt, aus der er weg muss – nach Berlin, wohin sein Vater ihn offenbar vermittelt hat. In Wirklichkeit stand Volker Bruch aber dort, wo Alexander Vogel auch am Anfang seiner Tour steht: vor dem Altar der Berliner Immanuelkirche. Sie steht im Prenzlauer Berg, wurde Ende 1893 eingeweiht, ist keine – wie zu Beginn der ersten „Babylon Berlin“-Staffel suggeriert – katholische, sondern eine evangelische Kirche.
Die Kirche ist typisch für das in der Kaiserzeit aufstrebende Berlin, erklärt Alexander Vogel. „Mit seiner neuen Funktion als Hauptstadt des Deutschen Reiches ging Berlin durch die Decke“, sagt Vogel. Vieles, was heute in Berlin das Stadtbild prägt, sei damals entstanden. Und: „Als die 20er-Jahre anfingen, war Berlin fertig gebaut.“ Wobei die legendären 20er-Jahre gar nicht so golden waren, wie immer behauptet wird. „Die Wohnverhältnisse der Kaiserzeit waren so, dass mehrere Generationen auf engstem Raum gelebt haben – oft in Hinterhöfen“, erklärt Vogel. Es ist gleich klar: Bei dieser Tour geht es nicht nur um eine Serie – es geht um Berlin.
Mit der Tram zu den Drehorten

Als die 20er-Jahre beginnen, hat der Kaiser längst abgedankt. Aber an der Situation der Menschen in der 1920 zu Groß-Berlin vereinigten Stadt habe das wenig geändert, sagt der Tour-Guide. Und kommt zur zweiten Hauptfigur der Serie: Charlotte Ritter. Die junge Frau, die Stenotypistin bei der Polizei ist und gerne eine richtige Kriminalbeamtin wäre, lebt in dieser alles andere als glamourösen Welt. Gut drei Stunden lang führt Alexander Vogel dann durch das Berlin, in dem Charlotte Ritter schon immer lebte und in das Gereon Rath sich nun hineinstürzt. Weitere Strecken zwischen Drehorten werden mit der Tram und der U-Bahn zurückgelegt.
Alexander Vogel und seine Gruppe bewegen sich dabei auf zwei Ebenen: im realen Berlin und seiner realen Geschichte auf der einen und in der Geschichte, wie sie Volker Kutscher in seinen Romanen und die „Babylon Berlin“-Macher dann in ihrer Serie erzählen. Da ist zum Beispiel das ehemalige Kaufhaus Jonas. Vogel liest eine Stelle aus Kutschers Roman „Märzgefallene“ vor, in der der Autor das Kaufhaus beschreibt, und spannt dann den geschichtlichen Bogen weiter: Die Nazis enteigneten den jüdischen Inhaber. Aus dem Kaufhaus wurde die Zentrale der Hitlerjugend, nach dem Krieg riss sich die neue Staatspartei SED das Gebäude unter den Nagel. Als die DDR Geschichte war, wurde es an die Erben zurückgegeben. Heute ist darin ein Hotel.
Ein paar Meter weiter ist der Rosa-Luxemburg-Platz. Der hieß früher Bülowplatz – bis ihn die Nazis in Horst-Wessel-Platz umbenannten, um einen ihrer Märtyrer zu ehren. Die Geschichte von Horst Wessel wird auch in „Babylon Berlin“ erzählt – nur heißt die Figur dort Horst Kessler. Der engagierte Nazi wird vom Kommunisten Albrecht Höhler, aus dem in der Serie Ali Köhler wird, erschossen – nicht aus politischen Gründen, wie Alexander Vogel erklärt, sondern weil sich der Nazifunktionär in eine Prostituierte des Zuhälters, der zufällig auch Kommunist ist, verliebt.
Es war viel los an diesem Platz: Morde, der Blut-Mai, bei dem die Polizei 1929 nicht genehmigte Demonstrationen der Kommunisten brutal beendete – und der Versuch des Architekten Hans Poelzig, mit modernen Gebäuden „menschengerecht” zu bauen. Zu den Gebäuden, die damals entstanden sind, gehört auch das Babylon-Kino. Es ist heute noch Lichtspielhaus. Die pyramidenförmig angebrachte Schrift habe Hans Poelzig selbst entworfen. Dass sie sich im Logo der „Babylon Berlin”-Serie wiederfindet, sei kein Zufall, sagt Alexander Vogel. Es ist einer der Momente bei dieser Tour, in denen das historische, das jetzige und das Serien-Berlin eins zu werden scheinen.