Zu Kolumbus Zeiten galt Puerto Rico als das Tor zur Neuen Welt. 500 Jahre später hält sich der wirtschaftliche Reichtum der Karibikinsel arg in Grenzen. Dennoch ist sie voller Schätze. Neben bunten Straßen, Palmenstränden, Regenwald und Bergen sind das vor allem ihre Menschen und deren ansteckende Lebensfreude.
Über El Morro weht ein angenehmes Lüftchen. Auf der weitläufigen Wiese spielen Kinder Fußball oder lassen Drachen steigen. Aus den grauen Mauern des 500-jährigen spanischen Kastells ragen Leucht- und Wachturm und der rot-gelb-weiße Kuppelbau einer Kapelle. Unter ihr der alte Friedhof bietet sogar Toten eine wunderbare Aussicht. Der tintenblaue Hintergrund ist der Atlantik. Wie ein Schiffsbug ragt der Festungshügel in den Ozean. Er ist der nordwestlichste Zipfel von Old San Juan, Herz der Hauptstadt von Puerto Rico.
Heute ein Außengebiet der USA, war die Insel nach Kolumbus Ankunft anno 1493 für beinahe vier Jahrhunderte eine spanische Kolonie. Architektur aus dieser Zeit – vom Bürgerhaus bis zum Palast und ganze buntgetünchte Straßenzüge (Calle del Cristo, Fortaleza, Tanca) – bestimmen auch im 21. Jahrhundert das Gesicht der Altstadt San Juans. Doch seinen Charakter wie auch den des ganzen Landes prägt eine multikulturelle Mischung. Zu dessen Quellen zählen das Erbe der Urbevölkerung Taíno und der einst aus Afrika hierher verschleppten Menschen ebenso wie das der Spanier. Einwanderer aus ganz Europa, China und dem Libanon trugen bei zu diesem Mix, der längst auch deutliche US-amerikanische Züge trägt.
Viele Investoren kehren zurück
„In San Juan findet ihr von allem davon etwas“, sagt Nicole Olmeda. Die junge Einheimische von der Tourismusorganisation Discover Puerto Rico führt heute Gäste durch die Hauptstadt. Start zu dem Spaziergang ist unweit von El Morro, vor der Kirche San José. „Das Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert zählt zu den ältesten der spanischen Gotik in der westlichen Hemisphäre“, weiß Nicole und deutet auf die Statue davor. Gewidmet hat man sie dem ersten Gouverneur Puerto Ricos, Juan Ponce de León. Begraben liegt der spanische Eroberer und „Entdecker Floridas“ ein paar Straßenzüge weiter in der Kathedrale. Diese ist nach der von Santo Domingo (erbaut 1504 – 1540) in der Dominikanischen Republik das zweitälteste Gotteshaus Amerikas.
Auf der Plaza del Quinto Centenario, in Sichtweite der Festung, zeigt die dunkelrote Säule El Tótem Telúrico wie ein Finger in den Himmel. Zwölf Meter hoch ist dieses Kunstwerk aus Keramikscherben und Granit. Nicole erklärt: „Es steht für die schmerzens- und entbehrungsreiche Zeit der Fremdherrschaft.“ Für manche Puerto Ricaner ist sie noch nicht vorbei. Sie fühlen sich bevormundet und amerikanisiert.
Vor allem Jüngere dagegen wollen einen Anschluss an die USA. 2020 stimmten 52 Prozent der Bevölkerung für eine Aufnahme Puerto Ricos als gleichberechtigter Bundestaat. Bereits seit 1917 sind alle Puerto Ricaner automatisch US-Bürger und können sich entsprechend frei bewegen. Immer wieder gab es regelrechte Auswanderungswellen.
Die größte, in den 1940er- und 1950er-Jahren, griff Leonard Bernstein in seiner „West Side Story“ auf. Die jüngste ging gerade erst zu Ende. Nach jahrzehntelanger Rezession hatten 2017 zwei verheerende Wirbelstürme die Wirtschaft des kleinen Landes gänzlich zum Erliegen gebracht. Bankrott war es bereits zwei Jahre früher.
Inzwischen geht es wieder ganz leicht aufwärts. Viele Ausgewanderte und Investoren kehrten zurück. Mit einer Schuldenumverteilung wurde im letzten Frühjahr die Staatsinsolvenz beendet. 40 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze – wenngleich das Land innerhalb Lateinamerikas pro Kopf das höchste Bruttoinlandsprodukt erzielt sowie dank Subventionen aus den USA über eines der besten Gesundheitssysteme und Infrastrukturen dieser Region verfügt. Bei der durchschnittlichen Lebenserwartung liegt es mit 81 Jahren sogar vor den USA.
Hinter der Meerenge Caño de San Antonio und der Laguna del Condado liegt Santurce, das dicht bevölkerte Herz von San Juan. Der Strand des Stadtteils, wo morgens junge Leute Beach-Tennis spielen, gehört zu dessen gehobenem Bezirk Condado. Einkaufstempel, Wohnhochhäuser und internationale Luxushotels wie „Hilton“ oder „Vanderbilt“ reihen sich hier aneinander. Zu den interessantesten Vierteln zählt Miramar, wo sich außer schönen alten Residenzen mit Terrassen und Gärten auch das staatliche Kunstmuseum „MAPR“ befindet.
„Um die Architektur, uralte Bäume und das Flair der Gegend zu erhalten, stoppte man den Bau der hier geplanten Autobahn und erweitert stattdessen das Stadtbahnnetz“, freut sich Georgie Vega. Die Kulturaktivistin führt Besucher durch den neuen Hipster-Hotspot um Calle Cerra, in der Vergangenheit das Hauptrevier der Salsa-Plattenindustrie.
„Nach dem wirtschaftlichen Einbruch vor einigen Jahren gingen hier die Mieten runter. Kunstschaffende und Überlebenskünstler sowie kreative Gastronomen („El Axolote“, „Graziani“, „Musa“, „Prole“) siedelten sich an und brachten wieder Leben in die leeren, ungenutzten Räume“, erzählt Puerto Ricanerin mit einem Strahlen.
Ausflug per Boot zur Insel
Auf der Route ihrer Art-Walk-Touren sieht man auf Mauern und an Häuserwänden Dutzende von riesigen Gemälden und kleine Street-Art-Kostbarkeiten wie das Wandbild „Chrome Rabbit“ von Joshua Santos Rivera alias Bikismo. Der lokale Künstler malt 3D-Figuren im Metallic-Look. Für Jose Solé, den Eigentümer der Musikkneipe „El Patio de Solé“ ist das kultige Kaninchen wie alle Werke hier „gesellschaftskritisch, selbstbewusst und immer voller Lebensfreude und Humor“. Zum Team des gemütlichen Lokals gehört Zeus – ein liebenswerter, gutmütiger großer schwarzer Hund, der ab und zu auch mit „bedient“. Im Salon des alten Hauses finden gut besuchte Salsa-Kurse statt.
Für Yamil Colon ist Salsa eher etwas für die Älteren. Er hört wie die meisten jungen Puerto Ricaner lieber Reggaeton – „ein Mischmasch aus Reggae, Hip-Hop, Elektro und Merengue“, verrät der Skipper. An Bord hängt es natürlich von den Gästen ab, ob beziehungsweise welche Musik läuft. An diesem Morgen ist es auf dem Motorboot noch still. Im Hafen von Fajardo kreischen nur die Möwen. Der Kapitän und seine Crew begrüßen eine Handvoll Gäste. Heute führt der Tagesausflug nach Culebra, eine spanische Jungferninsel, die ebenso zu Puerto Rico zählt wie ihre Nachbarin Vieques mit dem begehrten Sun Bay Beach.
„Tolle Strände haben wir im Osten auch in Luquillo, an der Westküste bei Aquadilla und Rincón oder am Cabo Rojo im Südwesten. Den allerschönsten aber seht ihr gleich“, verspricht Yamil während der Fahrt. Und er hat Recht: Playa Flamenco ist ein Traum. Der Ankerplatz liegt mitten im Türkis der flachen Bucht. Die letzten 50 Meter bis zum Strand geht es zu Fuß und bis zum Bauch durchs Meer. Was trocken bleiben soll, jongliert die Crew in wasserdichten Beuteln über ihren Köpfen. So hat jeder Neuankömmling Kopf und Hände frei für diese wunderbaren Augenblicke. Es folgen sehr entspannte Stunden im Sand-und-Palmen-Paradies.
Gelegenheit, im Reichtum der karibischen Natur zu schwelgen, bietet sich auch an den Folgetagen zur Genüge. Hoch hinauf führen die Wege in der Cordillera Central. Höchster Gipfel dieser Bergkette ist mit 1.338 Metern der Cerro La Punta. Er liegt im Inselsüden, im Stadtgebiet von Ponce, der viertgrößten Stadt Puerto Ricos.
Außer beim Wandern, Reiten, Mountainbiken oder Quad-Fahren kann man die Szenerie der Bergwelt und des Regenwalds auch mittels Seilrutschfahrt genießen. Die zweieinhalb Kilometer lange, bis zu 380 Meter hohe und 150 km/h schnelle Monster-Zipline im „Toro Verde Adventure Park“ ist die längste ganz Amerikas. Das Beste daran ist jedoch die Dschungel-Fluss-und-Felsen-Landschaft, die man dabei – sicher vergurtet, bäuchlings liegend und an einem Drahtseil hängend – „überfliegt“.
Tummelplatz für Surfer
Ein echter Tummelplatz für Surfer und Romantiker ist der Inselwesten. Hier gibt es die coolsten Wellen und schönsten Sonnenuntergänge. Erkunden kann man die Stadt Yauco, von der ein großer Teil als buntes Mosaik gestaltet ist, oder den subtropischen Trockenwald Guánica mit kugeligen Melokakteen und einem 1.000-jährigen Guajakholzbaum. Seit März vergangenen Jahres ist auch wieder das Besucherzentrum des Arecibo-Observatoriums geöffnet. Man hatte es geschlossen, nachdem durch das Erdbeben vor zwei Jahren das 305 Meter breite Hauptteleskop eingestürzt war.
Wieder ganz im Osten, in der Nähe von Fajardo, wartet am Ende eines Inseltages ein wirklich einzigartiges Erlebnis – bei einer abendlichen Kajaktour auf der Laguna Grande. Sie ist eine der drei biolumineszierenden, kurz: Bio-Buchten von Puerto Rico. Das hellblau leuchtende Wasser, das man hier im Dunkeln sehen kann, entsteht durch Dinoflagellaten, einzellige Geißeltierchen, die bei äußerer Bewegung wie etwa Paddelschlägen Licht erzeugen. Deutlich sichtbar ist das Phänomen aber nur in absoluter Finsternis. Im Falle dieser Tour hilft eine Regenplane, mit der man sich samt Boot bedeckt. Wer nun kräftig mit der Hand im Wasser rührt, erlebt das große Kino ganz im Kleinen. Verblüffend ist es allemal.