Im rheinland-pfälzischen Dienstweiler/Eborn hat der größte Bogenparcours Deutschlands eröffnet. Auf drei verschiedenen Strecken können Amateure und Profis ihr Können unter Beweis stellen – und das auf einem Niveau, das auch Kenner überzeugt.

Die beiden Moschusochsen stehen ganz still. Hinter ihnen erheben sich die mächtigen Klippen des alten Steinbruchs in atemberaubende Höhe. Auch die zwei Wölfe, ganz in weiß, bewegen sich kein Stück. Nur das leise Summen des aus mehreren Metern abgeschossenen Pfeils ist zu hören. Dann das dumpfe Einschlagen in die Brust des Ochsen. Doch auch jetzt ist alles bewegungslos. Denn weder befinden wir uns in Sibirien oder Grönland, wo die Moschusochsen heimisch sind, noch ist eines der Tiere echt. „Die Pfeile vor so einer Kulisse fliegen zu sehen, ist schon etwas Besonderes“, schwärmt der Mann mit dem Bogen, der sich gerade auf den Weg gemacht hat, seinen Pfeil zurückzuholen. „Auch wenn ich den Spot knapp verfehlt habe.“
Über 200 3D-Modelle und 48 Scheiben
Der Spot, so nennt man die am höchsten bepunktete Stelle an einem 3D-Ziel beim Bogenschießen. Über 200 solcher 3D-Tiermodelle stehen hier verteilt auf 66 Stationen, dazu auch noch 48 Kringelscheiben. „Hier“, das ist im neu eröffneten Bogensportzentrum Eborn in Dienstweiler. Doch dass man hier in Rheinland-Pfalz ist, kann man auf dem über 40 Hektar großen Gelände schnell einmal vergessen. „Wenn man sich so viel Mühe gibt, so ein Gelände zu finden, dann muss auch alles perfekt eingebettet sein“, sagt David Kossmann, Leiter der Bogensportschule Saar. „Ich könnte jetzt nicht einen Fisch aufs Trockene stellen und einen Adler unter Wasser. Das haben wir alles schon auf anderen Anlagen gesehen, wo wir gedacht haben: Was macht der Biber im Hochgebirge? Das könnte ich nicht machen.“ Auch auf Pfeilfänge, die zu weit geschossene Pfeile gerade bei Anfängern auffangen sollen, hat Kossmann bewusst verzichtet: „Wenn ich die Leute in so ein tolles Gelände reinführe und dann jede Felswand mit Gummi verkleide, dann müsste ich sie gar nicht erst hierherbringen“, so Kossmann.

Doch die fehlenden Pfeilfänge machen am Ende nicht nur die Optik aus, sondern auch einen Teil der Schwierigkeit. Insgesamt drei Runden 3D und zwei Runden Feldbogen können hier absolviert werden. Diese sind in drei Schwierigkeitsgrade eingeteilt. Ähnlich wie beim Skifahren gibt es nun also eine blaue (leichte), eine rote (mittel bis schwere) und eine schwarze (schwere) Runde. Während bei der leichtesten Runde, der Staffelbach-Runde, der Fokus eher auf dem Spaß liegen soll, bieten die St.-Bernhard-Gipfel-Runde und die Achat-Runde echte Herausforderungen, selbst für Spitzensportler. „Die Parcours sind eigentlich hochalpines Gelände“, erklärt Kossmann, der auch selbst auf Wettkämpfen antritt. „Wir haben als Bergauf- und Bergabschüsse Steigungen zwischen 30 und 100 Prozent. Das ist also extrem steil.“ Und genau das hatte Kossmann auch überzeugt: „Ich war damals Nationalkaderanwärter“, erinnert er sich. „Ich musste einen Wettkampf im Karwendel-Gebirge schießen. Das ist das Gebirge neben der Zugspitze.“ Dabei sei ihm aufgefallen, dass man in Deutschland kaum die Möglichkeit habe, unter solchen Bedingungen zu trainieren. „Ich bin nicht der Einzige, der das üben muss. Also haben wir hier in der Region eine Fläche gesucht, die ähnlich steile Situationen bieten kann“, erzählt der 35-Jährige. „Es war also auch ein bisschen Eigennutz.“

Nicht nur für ihn, sondern auch für seine Vereinskollegen, die in dem riesigen Steinbruch nun auf der größten Anlage Deutschlands trainieren können. Doch in den Wochen vor der Eröffnung war wenig mit Training für Kossmann und Co.
Denn das über sechs Jahre andauernde Planungs- und Bauprojekt stemmte die Bogensportschule Saar allein mit Ehrenamtlern. „Wir hatten 2020 mit dem eigentlichen Bau begonnen. Wir haben uns am Anfang, damit es ein bisschen entspannter ist, nur am Wochenende getroffen, weil wir auch noch Regelbetrieb mit den anderen Anlagen hatten und die Firma ja auch irgendwo betrieben werden möchte. In der finalen Phase haben wir dann aber auch monatelang täglich gearbeitet“, so Kossmann. Die vergangenen zwölf Wochen seien jeden Tag um die zehn, 15 Helfer hier gewesen. Egal, ob Zielscheiben, Baumstämme, aus denen später Treppen entstehen sollten, Holzschilder aus der eigenen Herstellung oder Bänke zum Verweilen – alles trugen sie eigenhändig an die entsprechende Stelle. Auf den steilen und teils engen Wegen eine echte Herkulesaufgabe.
Und Kossmann ist noch lange nicht fertig: Parkplätze, weitere Sitzmöglichkeiten, Snack-Automaten, ein Kiosk – die Planungen sind noch nicht am Ende. „In diesem Jahr werden wir wahrscheinlich jetzt erst mal die Pausenstation als geschnitzte Häuschen und das Eingangsportal machen“, verrät er. Ein großer hölzerner Hirsch soll den Eingang schmücken, den eine ortsansässige Künstlerin entworfen hat. „Der wird dann nachher bei uns in der Firma mit der Motorsäge geschnitzt“, erzählt er. Gegenüber soll auch noch ein großer Wolf stehen – aus gutem Grund: „Wir sind hier mittlerweile offiziell als Wolfsgebiet ausgeschildert. Finde ich persönlich eigentlich sehr toll“, so Kossmann.
Planung noch lange nicht zu Ende

Bei der Eröffnung Ende April gab es keine (zumindest echten) Wölfe zu sehen, dafür aber gleich drei Goldschützen. Neben Eigengewächs Emma Brill (amtierende IFAA-Jugend-Europameisterin 3D) fanden mit Weltmeister David Jackson (3D und Feldbogen) und seiner Lebensgefährtin Alicia Baumert (Europameisterin Feld) auch zwei Mitglieder des französischen Nationalkaders den Weg nach Dienstweiler.
Das Pärchen Baumert/Jackson ist zudem auch als Doppel im Sport sehr erfolgreich. Doch geht das immer so glatt, wenn Privates und „Berufliches“ sich vermischen? „Ich sehe es nicht wirklich als Herausforderung an, als Paar Sport zu treiben“, so Jackson. „Ich empfinde es vor allem als positiv und hilfreich, unsere gemeinsame Leidenschaft zu teilen. Wir trainieren zusammen, wir schießen so viel wie möglich zusammen im Wettkampf und es gibt keinen ungesunden Konkurrenzkampf zwischen uns. Wir erwarten keine Ergebnisse voneinander und üben keinen Druck aufeinander aus.“

Bei Olympia wird man das französische Spitzen-Duo allerdings nicht finden. „Wir schießen beide nicht in der olympischen Disziplin. Barebow nimmt an Europameisterschaften, Weltmeisterschaften und World Games teil“, erklärt Baumert. Beim Barebow (deutsch „Blankbogen“) liegt der Fokus auf dem technischen Zielen ohne Hilfsmittel oder Stabilisatoren. Ungenutzt soll die Zeit aber nicht bleiben: „Während der Olympischen Spiele werden wir hart daran arbeiten, uns auf die nationalen Auswahlen und Weltmeisterschaften im Feld und 3D vorzubereiten“, erzählen sie. Die Auswahlen hierfür werden im Juli und August ausgetragen, die Weltmeisterschaften dann später im September und Oktober. An den „Ruhestand“ denken die beiden allerdings noch nicht: „Wir möchten beide so lange wie möglich weitermachen. Für Barebow gibt es keine Altersbeschränkung und einige der besten Bogenschützen sind in den Fünfzigern, daher sollten die Leute damit rechnen, uns noch lange zu sehen“, schmunzelt Jackson, der hauptamtlich als Bogenschieß-Trainer arbeitet. „Jede Erfahrung, die ich durch die Beherrschung meiner Selbst und des Bogenschießens sammle, speist sich in das, was ich an andere weitergeben kann“, erzählt er.
Bogensport boomt auch in Deutschland

Und der Kreis derer, die dieses Wissen empfangen wollen, wird immer größer. Denn der Bogensport boomt. „Es gibt immer mehr Vereine, auch immer mehr Händler“, beobachtet auch David Kossmann, der es sich auch selbst zur Aufgabe gemacht hat, diesen Trend zu befeuern: „Wir bieten gemeinsam mit der Victor’s Hotelgruppe ein Gesamtpaket im saarländischen Tourismusbereich an“, erzählt er. „Auch hier sehen wir, dass der Sport immer mehr im Kommen ist. Es ist schnell erlernbar, es gibt ein Ausleihsystem und es gibt keine physischen Einschränkungen, wie jetzt vielleicht für Downhill-Mountainbike.“ Daher sei auch gerade in Skigebieten in Alpenregionen ein zunehmendes Angebot für die skifreie Saison zu erkennen. Doch auch im Saarland ist die Kooperation mit dem Victor’s Seehotel Weingärtner befruchtend für beide Parteien. „Seit 2018 sind wir das erste Bogensporthotel im Saarland und setzen auf die Trendsportart Bogenschießen“, erzählt Hoteldirektorin Cindy Manfra. Die Idee dazu sei gemeinsam mit Kossmann entstanden. „Seitdem sind wir ein gutes Team, fahren gemeinsam zu vielen Messen und werben für den Bogensport und unser Hotel.“ Anfangs wurde die Idee, das erste Bogensporthotel des Saarlandes zu werden, oft belächelt, doch die Zahl der Bogensportgäste wachse jährlich – und das sowohl im Profi-Sportbereich als auch touristisch. Das Hotel hat auch selbst vor Ort eine Anlage von rund 1.600 Quadratmetern, bietet aber auch die Möglichkeit, die drei von Kossmann geführten Parcours in Marpingen und Tholey sowie nun auch Dienstweiler zu nutzen. „Ob zum Stressabbau, zur Motivation, als mentales Training oder zum Teambuilding – Bogensport kann viel Positives bewirken. Und das Beste ist, dass man diesen Sport mit der ganzen Familie, mit Freunden oder Kollegen ausüben kann – und das eigentlich zu jeder Jahreszeit“, wirbt Cindy Manfra. „Bei Interesse kann man sich dann einfach an der Rezeption eine Tageskarte holen oder diese online bei uns buchen“, ergänzt Kossmann. „Das Hotel hat auch eigenes Leihmaterial.“ Auf sich allein gestellt sind die Hotelgäste keineswegs: „Wir geben auch Schulungen, die man über Victor’s buchen kann. Die finden entweder hinter dem Hotel auf der eigenen Anlage oder auf einem unserer Parcours in Tholey oder eben hier statt“, so Kossmann.

Nicht nur bei Neugierigen und Anfängern, sondern auch bei den Aktiven findet das 3D-Schießen, also das Schießen auf Ziele wie die Moschusochsen auf dem Steinbruch, besonders viel Anklang. Kossmann sieht dafür zwei Gründe: „Erstens: Es ist sehr schön in die Natur eingebettet und die Abwechslung ist sehr groß, weil immer eine andere Figur da steht und auch immer eine unbekannte Distanz ist. Also es ist quasi so ein Überraschungsei. Wenn man um die Ecke kommt, kann es berghoch, bergrunter gehen, die Figur in der Steigung sein und man muss sich immer überlegen, was passiert“, sagt er. „Und der andere Grund ist: Es sind sehr große Ziele. Man kann etwas ungenauer sein, als jetzt bei Feld oder auf der Wiese. Auf den Kringelscheiben bekommt man gnadenlos von den Kringeln gesagt, ob man gut oder nicht so gut ist. Und hier geht auch mal ein Glückstreffer. Das ist für die Einsteiger eigentlich auch viel befriedigender.“ So sei es mit zwei mittelguten Treffern durchaus möglich am Ende über 50 Prozent der Gesamtpunktzahl zu kommen, beim Schießen auf eine Scheibe gehe das nicht.
Austragungsort der deutschen Meisterschaft
Vom 4. bis 6. Oktober wartet nun erst einmal ein echtes Highlight auf das Team der Bogensportschule: Die deutsche Meisterschaft im Bogenschießen soll auf der neuen Anlage stattfinden. Übung haben sie hierbei schon: „Wir haben ja schon vor zehn Jahren in der Kreisstadt St. Wendel eine Meisterschaft ausgerichtet“, erzählt Kossmann. Denn die bereits stehenden Hindernisse machen es für den Deutschen Feldbogen Sportverband, der sonst für die Meisterschaften eigene Parcours bauen müsste, durchaus attraktiv. „Und sie wissen dort auch, dass wir das hier ordentlich machen“, ergänzt der Geschäftsführer der Bogenschule. Die Meisterschaft könnte noch eine weitere Chance für die Bogensportschule sein: „Unser Verein kann damit hoffentlich auch ein bisschen Geld generieren“, sagt Kossmann und spricht dabei konkret von der Errichtung eines eigenen Vereinsheims. „Wir sind der größte saarländische Verein, der immer noch keine Trainingsstätte und noch kein Vereinsheim hat. Deshalb dachten wir, okay, nutzen wir die Chance.“ Denn trotz viel eigener Arbeit und ehrenamtlich Tätiger ist eine solche Anlage teuer. „Wir sitzen hier gerade an einer Station, da stehen allein Scheiben für 5.000 Euro auf der Wiese“, sagt Kossmann und blickt zu seinen Moschusochsen. Den Stolz kann man in seinen Augen bereits von weitem erkennen. Kein Wunder, denn Pfeile vor so einer Kulisse fliegen zu sehen, das ist schon etwas Besonderes.