Im Bucerius Kunst Forum Hamburg widmet sich eine Ausstellung dem „Mythos Spanien“ im Werk des Malers Ignacio Zuloaga (1870–1945). Mit Darstellungen von Fiestas und volkstümlichen Charakteren sorgte er gerade in Frankreich, Belgien und Deutschland für Furore.
Stolze Toreros, temperamentvolle Flamenco-Tänzerinnen, Frauen, die kokett mit ihrem Fächer wedeln: Wenn vielen Menschen etwas „spanisch vorkommt“, dann das. Zwar bestimmen heute ganz andere Themen das Leben auf der Iberischen Halbinsel. Aber das von Folklore-Klischees geprägte Spanien-Bild hält sich hartnäckig in den Köpfen. Daran hat auch der baskische Künstler Ignacio Zuloaga regen Anteil. Wie beharrlich er am Mythos Spanien strickte, beleuchtet die Retrospektive mit rund 80 großformatigen Werken, die nach einer Station in München im Hamburger Bucerius Kunst Forum zu sehen ist.
Motive lösten Spanien-Begeisterung aus
Rainer Maria Rilke ließ sich von ihm zu seinen Gedichten „Spanische Tänzerin“ und „Corrida“ inspirieren. Künstler wie Paul Klee, August Macke oder Paula Becker-Modersohn schwärmten von ihm, Ausstellungen in Berlin, Bremen, Düsseldorf, Dresden oder München lösten zwischen 1900 bis 1914 eine regelrechte Spanien-Begeisterung aus. Offenbar bediente Ignacio Zuloaga eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, Leidenschaft und echten Gefühlen, die dem Unbehagen im Zeitalter der fortschreitenden Industrialisierung entgegenwirkten. Heute ist der Spanier nur noch wenigen Eingeweihten ein Begriff. Doch seine Werke zeigen immer noch Wirkung.
1870 im baskischen Eibar als Sohn eines angesehenen Goldschmieds geboren, wird Ignacio Zuloaga bereits in frühen Jahren in Paris zur Schule geschickt. Nach der Malerei-Ausbildung in Madrid und Studienaufenthalten in Rom geht er 1889 erneut an die Seine, lernt Künstler wie Edgar Degas, Paul Gauguin oder Toulouse-Lautrec, aber auch die katalanische Avantgarde um Santiago Rusiñol und Ramon Casas kennen, die später Picasso den Weg in die Moderne ebnen sollten. Kurzzeitig experimentiert er mit verschiedenen Stilen, hat aber nur mäßigen Erfolg. Und anders als viele seiner Landsleute, die sich von der französischen Avantgarde inspirieren lassen, wendet er sich 1894 von der als dekadent empfundenen Metropole ab und kehrt nach Spanien zurück, um sich zu „defranzösisieren“: „In Paris glaubte ich, die Kunst und ihre Schule zu finden. Ich war ein Avantgardist. Eine Reise in mein Heimatland zeigte mir, dass ich mich irrte, ich sah mich in einer Sackgasse. Von da an ließ ich meine Irrtümer hinter mir und besann mich auf die Tradition meines Landes“, wird er rückblickend sagen.
Sevilla wird für den jungen Basken zur Offenbarung. Er taucht ganz in das andalusische Lebensgefühl ein, in die Welt des Flamenco, der Gitanos und Toreros und lässt sich sogar zum Stierkämpfer ausbilden. 1898 folgt er wiederum seinem Onkel Daniel Zuloaga nach Segovia und entdeckt dort das karge Kastilien des Don Quijote. Nach dem heiteren, „weißen Spanien“ saugt er nun „la España negra“, das sogenannte schwarze Spanien mit seinem Aberglauben, seinem mystischen Katholizismus und den archaischen Traditionen in sich auf.
Statt Toreros malt er kernige Bauern bei der Weinernte, neben seinen koketten Cousinen bevölkern Bucklige, Kleinwüchsige, Bettler oder Prostituierte die Gemälde. In Spanien rümpft man darüber die Nase und bevorzugt die heiteren Werke von Zuloagas Rivalen Joaquín Sorolla. Dabei geht es Zuloaga keineswegs darum, sein Land in ein schlechtes Licht zu stellen, sondern, ganz im Gegenteil, um das, was seiner Meinung nach die Essenz Spaniens ausmacht: „Wir sind das letzte Land der Kunst auf der Welt, mit unseren Dörfern, unseren Trachten, unserem Stierkampf, unseren jahrhundertealten Riten, unseren Prozessionen, unseren Bräuchen. Bei uns lebt und vibriert die Vergangenheit der Welt, während anderswo nichts von ihr übrig geblieben ist“, ist er überzeugt.
Zugleich will er der tiefen Depression entgegenwirken, die in dem Land um 1898 herrscht. Der verlorene Krieg gegen die USA und der Verlust der letzten Überseekolonien hat es in eine tiefe Identitätskrise gestürzt. Aus der versucht es Zuloaga mit Darstellungen des Landlebens, von volkstümlichen Fiestas und bodenständigen Charakteren herauszuholen. Dabei greift er auf das Siglo de Oro, Spaniens Goldenes Zeitalter, und Meister wie Velázquez, Goya und El Greco zurück, deren Einfluss auf sein Werk unverkennbar ist.
„Bei uns lebt die Vergangenheit der Welt“
Wenn Zuloaga als Prophet im eigenen Land nichts gilt, ist sein Erfolg jenseits der Pyrenäen nur umso größer. In Frankreich oder Belgien stand die spanische Exotik schließlich seit Prosper Mérimées „Carmen“-Erzählung und Bizets gleichnamiger Oper hoch im Kurs. Zudem eröffnet ihm die Heirat mit der Französin Valentine Dethomas 1899 den Zugang zu weiteren Kreisen der Pariser Gesellschaft. Als gefragter Porträtmaler verewigt er unter anderen die einflussreiche Dichterin Gräfin Mathieu de Noailles in lasziver Pose. Erfolge feiert Zuloaga auch in Deutschland, wo er bei einer Ausstellung in Dresden mit der „Großen Goldenen Medaille“ ausgezeichnet wird und in vielen anderen Ländern, bevor er 1926 in Spanien mit einer großen Ausstellung gewürdigt wird.
Inzwischen hat die Avantgarde ganz andere Wege beschritten. Doch Zuloaga bleibt seiner Maltechnik und seinen Motiven treu. Zu Vermögen gekommen, betätigt er sich zum Teil selbst als Kunstsammler, erwirbt Werke El Grecos, erleidet aber durch den Börsencrash von 1929 erhebliche finanzielle Verluste. Nachdem er im Spanischen Bürgerkrieg durch republikanische Truppen, die die Banktresore plündern, weiteres Geld einbüßt, schlägt sich der bislang eher liberal Gesinnte auf die Seite Francisco Francos. Ironie der Geschichte: Zuvor von vielen als unpatriotisch abgestempelt, wird der Maler nun zur Ikone jenes bodenständigen und volkstümlichen Spaniens, das der Diktator propagiert. Mit höchsten Ehren ausgezeichnet, lässt er sich auch für Francos Zwecke einspannen. Es gipfelt darin, dass der Generalísimo 1939 Adolf Hitler drei Gemälde Zuloagas zum Dank für die Unterstützung durch die Legion Condor schenkt.
Die verschiedenen Etappen der schillernden Künstlerkarriere werden in der Hamburger Ausstellung reich bebildert. Die Schau spannt den Bogen von frühen Pariser Straßenszenen über Darstellungen des Landlebens bis hin zu Heiligenbildern. Während einige frühe Porträts durch meisterhafte Kompositionen und fein herausgearbeitete Gesichtszüge überzeugen, zeigen andere Gemälde eher Archetypen als lebendige Menschen. Vor karge Berge oder archaische Dörfer platziert wirkt zum Beispiel das Bildnis des Dichters Azorín steif, fast plakativ. Doch gerade dadurch, dass der Maler so beharrlich das rückwärtsgewandte, archaische Spanien beschwört, wurde er zu einem herausragenden Beförderer des Mythos Spanien. Damit hat er nicht nur viele deutsche Künstler um 1900 infiziert. Bis heute hat er nicht ausgedient.