Krieg führen kostet Geld. Die neun Sanktionspakete, die die westliche Koalition bis Ende Dezember 2022 gegen Russland verhängt hat, sollen diese Kosten so hochtreiben, dass der Kreml nicht mehr in der Lage ist, den Krieg zu finanzieren. Aber wirken sie überhaupt?
Milliarden für einen sinnlosen Krieg: Laut „Forbes Ukraine“ hat Russland bereits mehr als 82 Milliarden US-Dollar für seinen Feldzug gegen die Ukraine verbrannt. Wie lange reicht das Geld noch? Bereits zu Beginn des Krieges war klar, dass sich Russland mittels Devisenreserven vorbereitet hatte. Dass die im Ausland gelagerten Gelder dann eingefroren wurden, überraschte demnach auch den Kreml. Die im vergangenen Jahr zeitweise gestiegenen Gas- und Ölpreise spülten trotzdem weitere Milliarden in die Kassen der teils staatlich kontrollierten Konzerne und damit in die Staatskasse. Zudem brachten rigorose Maßnahmen der russischen Notenbank den strauchelnden Rubel wieder auf die Füße, Maßnahmen, die vor allem auf die harte Hand von Notenbankchefin Elwira Nabiullina zurückzuführen sind. Dennoch war die russische Strategie, sowohl in der Ukraine als auch wirtschaftlich, auf kurzfristige Auswirkungen von Sanktionen ausgelegt. Putin musste also nachsteuern – so wurde der Aktienhandel zeitweise ausgesetzt, Geschäfte wie das Zahlen der Gasrechnungen sollten in Rubel und nicht in ausländischen Währungen getätigt werden. Mit einer Gesetzesänderung kann der Kreml Unternehmen nun direkt die Anweisung erteilen, Rüstungsgüter zu produzieren – ein erster Schritt zur Kriegswirtschaft.
Russland mit Milliarden-Defizit
Der russische Finanzminister Anton Siluanow hat nun Zahlen genannt: Nach öffentlichen Angaben des Ministers kämpft der russische Staatshaushalt 2022 mit einem Defizit von 3,3 Billionen Rubel (umgerechnet 44 Milliarden Euro), das sind 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Allerdings ist der Schuldenberg Russlands mehr ein Schuldenhügel: Der Kreml hat in den vergangenen Jahren massiv Auslandsschulden abgetragen. Auch das Bruttoinlandsprodukt sank nach Angaben des Internationalen Währungsfonds um 3,4 Prozent, weniger als erwartet. Es könnte 2023 weiter sinken. Volkswirtschaftlich ist Russland zwar im Vergleich zu Deutschland etwas schwächer; Vergleichszahlen zeigen, dass Russland im Gegensatz zu Deutschland ein kleineres Bruttoinlandsprodukt aufweist – 2021 waren dies 1,7 Billionen US-Dollar, während Deutschland 4,2 Billionen US-Dollar erwirtschaftete.
Das finanzielle Polster verdankt der Kreml weiterhin seinen fossilen Exportschlagern. Russlands Einnahmen aus dem Verkauf von Gas und Öl sind nach Moskauer Regierungsangaben trotz Sanktionen im vergangenen Jahr um knapp ein Drittel gestiegen. Die entsprechenden Haushaltseinnahmen seien 2022 um 28 Prozent beziehungsweise um 2,5 Billionen Rubel (Ende 2022 etwa 31,6 Milliarden Euro) im Vergleich zum Vorjahr gewachsen, sagte Russlands Vize-Regierungschef Alexander Nowak der russischen Agentur Interfax zufolge.
Zwar wird bereits seit Monaten kein Gas mehr durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Europa gepumpt und die Leitung Nord Stream 2 wurde nie in Betrieb genommen. Vor diesem Hintergrund sei der Export von herkömmlichem Erdgas gesunken, sagte Nowak. Dafür sei aber der Export von Flüssigerdgas um acht Prozent auf 46 Milliarden Kubikmeter gestiegen. Die Ausfuhr von Erdöl habe um sieben Prozent zugenommen.
Auch nach Deutschland fließt russisches Flüssiggas (LNG), wohl über belgische Häfen. Das berichtete das Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Die Menge betrage etwa fünf Milliarden Kubikmeter, das sind etwa sechs Prozent des jährlichen deutschen Gasverbrauchs. Auch nach Frankreich und in die Niederlande fließt LNG aus Russland.

Ein Hauptinstrument allerdings, der von der EU Anfang Dezember eingeführte Ölpreisdeckel, dürfte seine Auswirkungen erst in diesem Jahr richtig zeigen. Die Regelung soll Russland dazu zwingen, Erdöl für höchstens 60 Dollar pro Barrel an Abnehmer in anderen Staaten zu verkaufen. Das russische Finanzministerium hatte mitgeteilt, dass es schon im Januar mit verlorenen Öl- und Gaseinnahmen in Höhe von 54,5 Milliarden Rubel (rund 737 Millionen Euro) rechne. Putin wiederum hat per Dekret den Verkauf von Öl an Länder verboten, die einen Preisdeckel für den Rohstoff beschlossen haben. Das Verbot tritt am 1. Februar in Kraft.
Die guten Zahlen, die der russische Finanzminister veröffentlichte, können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage in vielen Industriebereichen prekär ist und selbst das Militär zu kreativen Auswegen zwingt, um den Krieg fortsetzen zu können. Ukrainische Medien berichteten bereits im vergangenen Jahr , man habe in abgeschossenen russischen Drohnen Bauteile aus der zivilen Industrie gefunden. Mikrochips und militärisch wichtige Ersatzteile werden knapp, berichtete auch unlängst das „Handelsblatt“. Die russische Flugzeugindustrie muss auf Teile aus den Maschinen zurückgreifen, die ohnehin wegen der Sanktionen nicht mehr benötigt werden.
Selbst offizielle russische Stellen malen ein eher düsteres Bild. Nach Erhebungen der staatlichen Statistikbehörde Rosstat sank das reale, also preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt Russlands seit März 2022 im Vergleich zum Vorjahr um bis zu vier Prozent. Industrielle Produktion, Öl-, Gas-, Metall- und Kohlegewinnung, die einen großen Teil der russischen Produktion für den Weltmarkt ausmachen, sanken ebenfalls. Ebenso der inländische Handel und die Autoproduktion, insbesondere weil sich Autokonzerne wie Renault oder Volkswagen so gut wie vollständig zurückgezogen haben. Russland hat es offenbar verpasst, sich in den vergangenen Jahren auch in Sachen Technologie von den Handelspartnern unabhängig zu machen, die jetzt Sanktionen verhängen.
Nach Einschätzung der Weltbank sinken die Ausfuhren, während die Einfuhren ansteigen. Die Folge: eine negative Handelsbilanz. Diese erhöht tendenziell die Schulden im Ausland, die Zinsen für Kredite steigen. Auch die russischen Banken haben nach Angaben der russischen Zentralbank massive Verluste zu verzeichnen, konnten insgesamt aber noch einen Gewinn einfahren. Unter dem Druck der Sanktionen ist der Gewinn jener Banken im Kriegsjahr 2022 um über 90 Prozent eingebrochen. Insgesamt hat der Bankensektor Russlands 203 Milliarden Rubel, umgerechnet 2,7 Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet – rund ein Zwölftel des Rekordergebnisses von 2,4 Billionen Rubel aus dem Vorjahr 2021. Es handelt sich demnach um den niedrigsten Gewinn von Russlands Banken seit 2015. Moskau, das immer wieder seine Widerstandsfähigkeit gegen westliche Strafmaßnahmen betont, stellte allerdings selbst dieses Ergebnis noch als Erfolg dar: So sei es gelungen, einen Verlust von 1,5 Billionen Rubel im ersten Halbjahr abzufedern und bis zum Jahresende in einen Gewinn umzuwandeln, teilte die Zentralbank mit. Und im Jahr 2023 werde wieder ein Gewinn von mehr als einer Billion Rubel erwartet.
Oligarchen suchen nach Umwegen
Einige Sanktionen zermürben die russischen Finanzen also stetig und auf mittlere bis lange Sicht, andere wie Sanktionen gegen einzelne Politiker, Generäle, Oligarchen dürften jedoch weniger effektiv sein, da ihre Vermögenswerte oft versteckt angelegt sind. Das Öl-Embargo aber könnte sich für Russland am Ende des Jahres als Albtraum herausstellen und letztlich dafür sorgen, dass Russlands Finanzen mehr und mehr auf Kante genäht sind.
Ein Ende des Krieges rückt damit nicht rasch näher, zumal die russische Führung Staaten wie den Iran um Unterstützung gebeten hat. Der Kreml wird beunruhigend kreativ, wenn es um die Beschaffung dringend notwendiger Bauteile, Munition und Waffen geht. Gleiches gilt auch für russische Oligarchen, die nach Umwegen suchen, um an Teile der insgesamt 17 Milliarden Euro umfassenden Vermögenswerte zu kommen, die alleine die EU laut Justizkommissar Didier Reynders eingefroren hat. Prominentestes und aktuellstes Beispiel: die Verhaftung eines Ex-FBI-Beamten in den USA. Er sowie ein weiterer Amerikaner sind wegen der illegalen Hilfe für einen russischen Oligarchen festgenommen worden. Die beiden Männer sollen mit dem Milliardär Oleg Deripaska Geldwäsche vereinbart haben, um die im Zuge des Ukraine-Konflikts erlassenen Sanktionen gegen diesen zu umgehen. Aufsehenerregend bei dem Fall ist zudem, dass der ehemalige FBI-Mitarbeiter in seiner Zeit bei der Bundespolizei für Ermittlungen gegen Oligarchen, darunter auch Deripaska, zuständig gewesen war. Zusammen mit dem zweiten Amerikaner, der ursprünglich russischer Herkunft ist und als Gerichts-Übersetzer arbeitete, habe er zuletzt versucht, die Sanktionen gegen den Milliardär aufheben zu lassen. Deripaska selbst war in den USA im September wegen Sanktionsverstößen angeklagt worden. Bei einer Verurteilung könnten Deripaska laut US-Justizministerium bis zu 20 Jahre Haft drohen.