Union Berlin feiert gegen Frankfurt einen enorm wichtigen Sieg im Rennen um die Champions-League-Plätze und kann die Länderspielpause genießen. Praktisch gesehen muss der Club nur noch einen Verfolger abschütteln.
Die Verantwortlichen von Union Berlin dürften es als gutes Omen werten. Wieder einmal wird den Eisernen in der bevorstehenden Transferperiode ein größerer Umbruch prophezeit – und damit indirekt auch eine schwere neue Saison. „Union droht der Ausverkauf“, titelte die „Sport-Bild“ zu einer Geschichte über die Wechselspekulationen von einigen Leistungsträgern. Stürmer Sheraldo Becker hat das Interesse englischer Clubs auf sich gezogen, was auch auf Mittelfeld-Stabilisator Rani Khedira zutrifft. Dessen Abgang wäre jedoch ablösefrei und dadurch besonders bitter. Abwehrchef Robin Knoche wird laut der Zeitschrift von englischen und italienischen Clubs gescoutet, und seinen erst im vergangenen Sommer verpflichteten Nebenmann Danilho Doekhi hat angeblich der AS Rom auf dem Einkaufszettel.
Viele Transfer-Gerüchte im Union-Umfeld
Alles Spekulationen, wenig konkret – und doch wissen die Verantwortlichen, dass sie sehr wahrscheinlich nicht alle Topspieler werden halten können. „Wir werden im Sommer wohl erneut einen Umbruch haben. Denn ich rechne damit, dass uns wieder Spieler verlassen werden“, sagte Geschäftsführer Oliver Ruhnert unlängst. Womöglich gilt das auch für den Architekten des wundersamen Aufstiegs von Union von einem Zweitligisten zu einem Europapokal-Dauergast selbst. Hartnäckig halten sich Gerüchte, Ruhnert könnte eine Auszeit nehmen oder eine neue Herausforderung suchen. Angeblich ist der Sauerländer einer von drei Topkandidaten für den zweiten Direktor-Posten beim Deutschen Fußball-Bund neben Sportdirektor Rudi Völler.
Fakt ist aber auch: Die Teilnahme an der Champions League in der kommenden Saison würde die Heißbegehrten mächtig ins Grübeln bringen, ob ein Wechsel in diesem Jahr wirklich die beste Option ist. Und die Chancen darauf haben sich nach dem 2:0-Heimsieg gegen Verfolger Eintracht Frankfurt nochmals verbessert. Der Vorsprung auf die Hessen, die Tabellenfünfter sind, ist auf acht Punkte angewachsen. Bei noch neun ausstehenden Spielen bedeutet das praktisch: Aus dem Trio Union (48 Punkte), SC Freiburg (46) und RB Leipzig (45) werden sich sehr wahrscheinlich zwei Vereine für die Königsklasse qualifizieren – und die Eisernen gehen von der Poleposition aus in dieses Rennen. Die Länderspielpause bis zum nächsten Ligaspiel am 1. April gegen den VfB Stuttgart können die Berliner also genießen. Es gilt auch, Kraft zu tanken für den Ligaendspurt. Die Dreifachbelastung ist nach dem Achtelfinal-Aus im internationalen Geschäft kein Thema mehr – doch das trifft auch auf die Konkurrenten aus Freiburg und Leipzig zu.
„Wir wollen das nächste Jahr in Europa spielen. Wir schauen am Ende, wofür es reicht“, sagte Torhüter Frederik Rönnow. Die Saison sei schon jetzt „super“ – doch um sie zu veredeln, „müssen wir immer unser Bestes geben“, forderte der Däne. Rönnow selbst geht seit Wochen mit starken Leistungen voran, auch gegen Frankfurt war er der überragende Mann und sorgte mit etlichen Paraden dafür, dass die Köpenicker auch im 18. Heimspiel in Serie in der Alten Försterei ungeschlagen blieben. Rönnow war im Mittelpunkt eines Frankfurter Chancenwuchers, sodass sich Gästetrainer Oliver Glasner hinterher bei der Spielbewertung auf die Zunge beißen musste: „Alles, was ich heute dazu sagen würde, könnte gegen mich verwendet werden.“ Der viel beschäftigte Rönnow wusste, dass auch etwas Glück mit im Spiel gewesen war: „Wir haben ein bisschen zu viel zugelassen.“
Dass es am Ende trotzdem zum wichtigen Sieg gereicht hat, lag auch an einem seltenen Glücksmoment für Rani Khedira. Der Mittelfeld-Chef schoss nach einer Ecke von Niko Gießelmann sein erstes Tor im Union-Trikot – und „rächte“ sich damit für ein paar Sprüche seiner Teamkollegen einige Stunden zuvor. „Eigentlich wollte ich erst Richtung Bank rennen, weil Sven Michel mich am meisten aufgezogen hatte beim Mittagessen“, sagte Khedira über seinen leicht chaotischen Jubellauf: „Dann wurde ich in die andere Richtung gezogen, und irgendwann lag ich dann unter allen.“ Das Gefühl, den Ball in einem Bundesligaspiel ins Tor zu schießen, hatte der 29-Jährige fast schon vergessen. „Aber es fühlt sich gut an.“
Khedira, der für den erkrankten Christopher Trimmel als Kapitän aufgelaufen war, musste nach seiner Premiere in die Mannschaftskasse zahlen. „Es kostet etwas, wenn du dein erstes Tor machst“, sagte Trainer Urs Fischer schmunzelnd. Natürlich freute sich der Schweizer über das wegweisende 1:0 gegen bis dahin überlegene Frankfurter, aber eigentlich schätzt er Khedira für dessen andere Qualitäten. „Er ist fürs Gleichgewicht zuständig und ein Führungsspieler, der versucht, die Mitspieler zu coachen.“ Dass der Bruder von Weltmeister Sami Khedira in den ersten Länderspielen nach dem WM-Debakel für Bundestrainer Hansi Flick keine Option im defensiven Mittelfeld der Nationalmannschaft ist, können viele bei Union nicht verstehen. Von Fischer gab es aber keinerlei Kritik. „Am Schluss ist das eine Entscheidung des Nationaltrainers“, sagte er, „das muss man auch akzeptieren. Mir geht das auch jedes Wochenende so, ich kann nicht alle zufriedenstellen.“
„Wir wollen eine Reaktion zeigen“
Zufrieden war Fischer aber mit dem Ergebnis gegen die Eintracht und auch mit der Einstellung. „Wir haben die Mentalität gezeigt, die wir benötigen, um das ein oder andere wettzumachen, wo der Gegner vielleicht die Nase vorn hat“, lobte der Trainer. Dass sein Team spielerisch längst nicht mehr so zielstrebig und selbstbewusst nach vorne agiert wie noch größtenteils in der Hinrunde, ist aber natürlich auch ihm nicht entgangen. Doch um irgendwann wieder dort anknüpfen zu können, müssten zunächst die Basics stimmen. Zweikampfstärke, Lauffreude, Kompaktheit – all das war gegen Frankfurt zu sehen. Kein Wunder, schließlich hatte Fischer vor dem Anpfiff gefordert: „Wir wollen eine Reaktion zeigen auf das Spiel am Donnerstag.“
Gemeint war die klare 0:3-Niederlage drei Tage zuvor in der Europa League bei Royale Union Saint-Gilloise. So berauschend die Europacup-Saison mit dem absoluten Highlight gegen Ajax Amsterdam in der Runde zuvor auch war: Das Aus im Achtelfinale war ein gewaltiger Stimmungsdämpfer. „Die Enttäuschung ist groß, auch wenn es um die Art und Weise geht“, sagte Fischer hinterher. Denn die hatte dem Schweizer überhaupt nicht gepasst. Eklatante Fehler wie vor dem 0:1 seien „nicht Union-like“, haderte Fischer, „wir versuchen, da noch eine spielerische Lösung zu finden“. Statt konsequent zu klären. Solche Ballverluste, „mit denen du den Gegner einlädst“, wie Fischer erklärte, waren auch in den Spielen davor öfters zu beobachten gewesen. Kapitän Trimmel hatte beim Aus in Belgien sogar noch etwas Schwerwiegenderes ausgemacht: „Wir sind heute nicht als Mannschaft aufgetreten.“
Angesichts der großen Enttäuschung gegen einen auf dem Papier durchaus schlagbaren Gegner fiel es den Unionern zunächst schwer, die internationalen Auftritte als Ganzes positiv zu bewerten. „Dennoch dürfen wir stolz sein“, sagte Fischer in dem Versuch, seine Spieler aufzubauen: „Ich denke, wir haben die Farben von Union Berlin gut vertreten und auch den einen oder anderen Punkt geholt für Deutschland in der Fünfjahreswertung.“