Der Dodo gehört zu den berühmtesten Tierarten, die vom Menschen ausgerottet wurden. Geht es nach Gentechnikern in Texas, könnte die flugunfähige Riesentaube vielleicht bald schon wieder auferstehen. Auf ihrer Heimatinsel Mauritius hegen Naturschützer bereits die Hoffnung auf die Rückkehr ihres Wappenvogels.
Paradiesisch hatte er es hier, der Dodo. Durch Palmwedel und mächtige Baumfarne blickte der plumpe, flugunfähige Vogel einst auf Wasserfälle, die von dschungelüberwucherten Bergflanken stürzen. Über üppiges Urwalddickicht reicht die Aussicht im Black-River-Gorges-Nationalpark auf Mauritius mancherorts bis zum blendenden Türkis des Indischen Ozeans. Flughunde flattern über dem Dschungel. Mit dem ersten Sonnenlicht, das durch die Baumkronen bricht, sind kleine Geckos mit leuchtend farbigem Fleckenmuster in Scharlach, Azurblau und Grellgrün aus ihrem Blätterversteck gekrochen. Im Geäst über ihnen tirilieren Mauritiusweber mit mohnroten Köpfchen.
Ehemalige Heimat des Dodos ist Mauritius
„Die meisten Touristen kennen einzig den Dodo, haben aber noch nie von den anderen besonderen Tierarten gehört, die allein auf Mauritius leben“, sagt Stacy Friquin. Wer der Rangerin am frühen Morgen, durch das bekannteste Schutzgebiet auf Mauritius folgt, wähnt sich in einer vom Menschen unangetasteten Wildnis. Noch sind keine Touristen in der ehemaligen Heimat des Dodos unterwegs. Einzig fremde Vogelstimmen durchbrechen die Stille. Durchs Geäst am Wegrand hüpfen winzige aschgraue Singvögel und ein Paar Tauben mit braunen Flügeln und blassrosa schimmerndem Gefieder. „Während die Graubrillenvögel auch in Gärten und Parks vorkommen, sind die Rosentauben auf naturnahe Wälder wie diesen angewiesen“, erklärt Friquin. „Weil wir nur noch etwa zwei Prozent an urwaldähnlicher Vegetation auf Mauritius haben und ihr invasive Arten nachstellen, wäre diese Taubenart fast ausgestorben“, sagt sie. Anfang der 90er-Jahre soll es nur noch zehn Rosentauben gegeben haben. Sie gehörten damit zu den seltensten Vögeln weltweit und waren zeitweise wohl rarer als die berühmte „Blaue Mauritius“. Von der kostbaren Briefmarke, aufgrund derer viele Menschen überhaupt erst von der Insel etwa 900 Kilometer östlich von Madagaskar gehört haben, sind heute noch zwölf Exemplare erhalten. Nur wenig später kündigen sich Friquin zwei weitere äußerst seltene Endemiten mit ihrem unverkennbaren Tschilpen an. Ein Pärchen Mauritiussittiche flattert über den Wanderpfad und lässt sich auf einem nahen Baumwipfel nieder. Unbeeindruckt von ihren Beobachtern putzen sich die beiden Vögel in den ersten Sonnenstrahlen das Gefieder. „Auch sie standen kurz vor dem Aussterben“, erklärt Friquin, „dass sie überlebt haben, verdanken sie einzig engagierten Naturschützern.“ Neben der Rosentaube und dem Mauritiussittich war der Mauritiusfalke, ebenfalls ein Bewohner des Black-River-Gorges-Nationalparks, mit nur noch vier überlebenden wildlebenden Tieren und einem einzigen Brutpaar 1974 wohl der seltenste Raubvogel der Welt. „Auf Mauritius sind wir mit Recht stolz darauf, dass wir gleich mehrere Arten vor dem Aussterben bewahren konnten“, sagt Friquin. „Ihnen soll nicht das gleiche Schicksal widerfahren wie dem Dodo“. Heute gelten alle drei Vogelarten als Beispiele für besondere Erfolgsgeschichten des Artenschutzes. Konsequente Schutzmaßnahmen wie die strikte Überwachung ihrer Gelege und ihres Lebensraums sowie die Bekämpfung invasiver Tier- und Pflanzenarten haben dafür gesorgt, dass sie sich inzwischen wieder deutlich vermehrt haben. Mit rund 300 Mauritiusfalken, etwa 600 Rosentauben und mehr als 800 Mauritiussittichen gelten die Tiere derzeit nicht mehr als vom Aussterben bedroht.
Die letzten Dodos gab es um 1690
Der berühmteste aller Vögel von Mauritius freilich starb aus, lange bevor das Wort Artenschutz überhaupt erschaffen wurde. Die letzten Dodos überlebten wohl bis um das Jahr 1690, nur wenige Jahrzehnte nach der Erstbesiedlung von Mauritius durch niederländische Seefahrer. Auch wenn das Fleisch der etwa ein Meter großen und bis zu 17 Kilo schweren Tiere als wenig schmackhaft galt, wurde den zutraulichen Vögeln wohl zum Verhängnis, dass sie anscheinend keinerlei Fluchtverhalten zeigten und somit als leicht erlegbarer Proviant für die ausgehungerten Seeleute herhalten mussten. Eingeschleppte Ratten und verwilderten Haustiere wie beispielsweise Schweine und Katzen, die die ersten Besucher der Insel nach ihrer Abreise hinterließen, machten sich über die wenig geschützten Gelege des Dodos her. Expeditionen im 17. und im 18. Jahrhundert konnten keine überlebenden Vögel mehr auffinden.
„Es ist wohl die erste Tierart überhaupt, deren Verschwinden dem Menschen bewusst wurde“, sagt Vikash Tatayah, „und auch, dass er selbst die Verantwortung für ihr Aussterben trägt. Man könnte sagen, damals wurde die Idee für den Artenschutz geboren.“ Der Vorsitzende der wichtigsten Naturschutzorganisation des Landes, der Mauritian Wildlife Foundation, hat über viele Jahrzehnte die Schutzbemühungen für die endemische Fauna der Insel begleitet. „Wir haben den Kampf für einige Arten vorerst gewonnen“, sagt Tatayah. „Wir können uns aber bei ihrem Erhalt und dem Schutz ihres Lebensraums noch lange nicht entspannt zurücklehnen.“ Ausgerechnet vom ausgestorbenen Dodo sollen die mauritischen Artenschützer nun äußerst ungewöhnliche Schützenhilfe erhalten. Denn im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass das US-amerikanische Biotechnologie-Unternehmen Colossal Biosciences den Wappenvogel der Insel wiederauferstehen lassen will. Das in Texas ansässige Start-up wurde 2021 gegründet von dem Technologie-Unternehmer Ben Lamm und dem Molekularbiologen George Church, Genetik-Professor an der Universität Harvard. Ziel sei es, ausgestorbenen Tierarten zur Auferstehung zu verhelfen – im Englischen De-Extinction genannt. Weltweites Aufsehen erregte das Unternehmen mit der Ankündigung, an der Rückkehr das Wollhaarmammuts zu arbeiten.
„Es ist nicht möglich, ein Tier zurückzubringen, das hundertprozentig mit einer Art identisch ist, die einst gelebt hat“, sagt Beth Shapiro, die das Dodo-Projekt für Colossal leitet. „Wenn wir also davon sprechen, den Dodo zurückzubringen, geht es darum, einige der Phänotypen und Rollen wiederzubeleben, die der Dodo in der Umwelt gespielt hat.“ Shapiro ist Professorin für Ökologie und Evolutionsbiologie, forscht seit Jahrzehnten an alter Dodo-DNA und war lange an der University of California in Santa Cruz tätig. Ihrem Team gelang es mit Unterstützung des Dänischen Naturkundemuseums in Kopenhagen, das Genom des Dodos zu sequenzieren. Seither arbeiten die Wissenschaftler an innovativen Genom-Editierungstechniken. Mit gezielten Mutationen wird dabei das Erbgut von Vögeln verändert.
Kragentaube soll dodo-ähnlicher werden
„Wir ermitteln gerade, welche DNA-Sequenzen wir möglicherweise ändern müssen, um die Kragentaube, die nächste noch lebende Verwandte des Dodos, in eine Taube zu verwandeln, die dodoähnlicher wird“, erklärt Shapiro. Die Kragentaube, die auf der Inselgruppe der Nikobaren lebt, könnte in Zukunft auch die Leihmutter für die ersten Dodo-Hybriden sein, glaubt Shapiro. Ob die erschaffene Kreatur jedoch – sollte es sie wirklich einmal geben – tatsächlich als Dodo auf Mauritius landen wird, bleibt freilich ein Experiment mit offenem Ausgang. „Verhaltensweisen aus dem Erbgut zu lesen, ist offensichtlich sehr schwierig, und ich glaube nicht, dass wir genau sagen können werden, wie sich der Dodo einst verhalten hat“, gesteht Shapiro ein. „Aber wir hoffen, die Rolle, die er einmal in seiner Umwelt gespielt hat, rekonstruieren zu können und so das Ökosystem robuster zu machen.“
Colossal Biosciences ließ im letzten Jahr verkünden, dass bereits 2028 eine Asiatische Elefantenkuh das erste Mammut-Hybrid-Kalb austragen könnte.
Beth Shapiro will jedoch keine Zeitangabe machen, wann das erste dodoähnliche Küken aus einem Ei schlüpfen könnte. „Niemand kann den genauen Zeitpunkt für wesentliche wissenschaftliche Entdeckungen vorhersagen“, sagt Shapiro. „Bei Vögeln gibt es einige Dinge, die einfacher sein werden als bei Säugetieren. Vögel entwickeln sich in Eiern und nicht in Gebärmüttern. Die Entwicklung dauert auch deutlich kürzer als etwa bei Elefanten, deren Tragezeit 22 Monate dauert. Aber es gibt auch große technische Hürden, die bei Vögeln überwunden werden müssen. Wir können beispielsweise keine Vögel klonen.“ Aufgrund der Komplexität des Fortpflanzungssystems von Vögeln sei eine vergleichbare Technik nicht möglich.
Für seine Projekte zur Wiederauferstehung ausgestorbener Arten hat Colossal bis heute 245 Millionen US-Dollar aufgebracht. Unter den Investoren sind unter anderem der US Innovation Technology Fund Usit, Breyer Capital und die West-River-Group. Kritiker werfen Colossal vor, inmitten einer Krise des weltweiten Artensterbens Millionen in eine Technologie zu investieren, deren Erfolgsaussichten für die Wiederauferstehung ausgestorbener Tiere fraglich sei. Während auf der Erde in zunehmendem Tempo Tier- und Pflanzenarten verschwinden, sei dies fehlinvestiertes Geld.
Shapiro indessen sieht ihre Forschungsarbeit gerade aufgrund der Krise des Artensterbens als essenziell. Das Geld würde in keiner Weise auf Kosten klassischer Herangehensweisen im Naturschutz eingesetzt. „Es wird vielmehr in die Entwicklung von Werkzeugen und Technologien gesteckt, die letztendlich dem Schutz der Artenvielfalt zugutekommen“, sagt die Forscherin. „Es ist völlig klar, dass sich Lebensräume auf der ganzen Welt schneller verändern, als die Evolution durch natürliche Selektion mithalten kann. Wir arbeiten an Technologien, die diesen Arten helfen können, den Anpassungsprozess zu beschleunigen.“ Beispielsweise könnten DNA-Editierungen bei Vögeln in Zukunft dazu beitragen, dass Arten wie die stark bedrohten Kleidervögel auf Hawaii eine Resistenz gegen Vogelmalaria entwickeln.
Lebensraum des Dodos wird bereits geschützt
Auch die Artenschützer um Vikash Tatayah hoffen auf die Arbeit von Colossal. „Als die ersten Menschen mit Flugzeugen experimentierten, hielt man sie zunächst auch für verrückt“, sagt Tatayah. „Wenn neue Werkzeuge entwickelt werden, um das Artensterben aufzuhalten, sollten wir diese nicht ablehnen.“ An erster Stelle sieht er aber einen entscheidenden Nebeneffekt, der auch anderen Arten zugutekommt. „Wenn der Dodo irgendwann zurückkehren soll, heißt das schon jetzt, dass wir den Wald zurückbringen müssen, der einmal sein Lebensraum war.“ Die Mauritian Wildlife Foundation setzt sich nicht nur für den Erhalt der noch bestehenden Wälder ein. Sie fördert auch Wiederaufforstungsprojekte und ermutigt Hotels und Privatleute, in ihren Parkanlagen und Gärten auf einheimische Pflanzen zu setzen, die wiederum endemische Tierarten anlocken. Im Vallée de Ferney im Osten der Insel gelang es Naturschützern vor einigen Jahren, den Bau einer Autobahn zu verhindern, dem ein letzter Rest Urwald zum Opfer gefallen wäre. Heute wird rund um den Rückzugsort endemischer Arten aufgeforstet.
Tagesausflügler aus den Strandresorts, die ihren Urlaub nicht allein am Meer verbringen wollen, begeistern sich für die Entdeckung der einheimischen Fauna und Flora. „Man stelle sich einmal vor, was für einen großen, auch wirtschaftlichen Einfluss erst die Wiederkehr des Dodos auf den Tourismus hätte“, sagt Tatayah. Unabhängig davon, wann und ob es jemals dazu kommen wird, profitierten bereits jetzt andere bedrohte Arten von einer möglichen Rückkehr des Dodos.
Ob sich im Black-River-Gorges-Nationalpark oder in anderen Schutzgebieten zu Rosentauben und Mauritiusfalken in Zukunft eine dem Dodo ähnliche Kreatur gesellen wird, bleibt vorerst freilich fraglich. Die seltenen Vögel der Tropeninsel dürften sich jedenfalls schon heute über den jüngsten Beistand von ihrem ausgestorbenen Vetter freuen.