Das blamable Aus nach der Hauptrunde hat bei den Eisbären Berlin einen Scherbenhaufen hinterlassen. Der Trainer darf mithelfen, diesen zu beseitigen. Doch für einen neuen Angriff auf den Titel braucht es deutliche Anpassungen am Kader.
Die Abschlussfeiern mit den Fans waren in den letzten zwei Jahren absolute Höhepunkte. Klar, nach den Titelgewinnen 2021 und 2022 war die Stimmung unter den Spielern und Anhängern auch maximal euphorisch. Bei der Autogrammstunde bildeten sich lange Schlangen, die Profis signierten allerhand Fanartikel und posierten für Selfies. All das ist auch diesmal wieder geplant – nur die Stimmung wird eine gänzlich andere sein. Das historisch frühe Saison-Aus nach der Hauptrunde in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) hat den ganzen Club in einen Schockzustand versetzt, obwohl sich das Drama monatelang abgezeichnet hatte. „Markiert euch schon mal den 19. März im Kalender“, kündigte der Verein auf seinen Social-Media-Kanälen die Saisonabschlussfeier an und versah die Nachricht mit einem fetten, roten Ausrufezeichen. Dabei hatte es unmittelbar nach der 3:4-Niederlage nach dem Penaltyschießen im letzten Vorrundenspiel zu Hause vor 14.200 maßlos enttäuschten Zuschauern gegen die Schwenninger Wild Wings, die das Verpassen des Minimalziels „Vor-Playoffs“ perfekt machte, zahlreiche Fragezeichen gegeben.
Veränderungen im Tor möglich
Wie reagieren die Bosse auf das größte sportliche Versagen seit 22 Jahren? Hat Trainer Serge Aubin eine Zukunft? Wie groß wird der Umbruch im Sommer? Ist Mittelmaß die neue Realität? Auch, um erst gar nicht den Eindruck der Ratlosigkeit zu vermitteln, haben die Verantwortlichen die erste Frage im Rekordtempo nach dem schmachvollen Aus beantwortet: Aubin bleibt.
„Serge Aubin ist der richtige Trainer für die Eisbären. Wir sind von seinen Qualitäten felsenfest überzeugt und haben nie an ihm gezweifelt“, wurde Sportdirektor Stéphane Richer bei der Pressemitteilung zur Verlängerung des auslaufenden Vertrages zitiert. „Er hat uns zu zwei Meisterschaften geführt. Auch wenn die Saison 2022/23 für uns zu früh endete, wollen wir zusammen wieder an die gemeinsame erfolgreiche Zeit anknüpfen.“ Dass dieser Vertrauensvorschuss nicht komplett unerschütterlich ist, zeigt sich auch an der Tatsache, dass der neue Kontrakt lediglich für eine weitere Spielzeit läuft. Aubin weiß: Er muss liefern. Die Erfolge der Vorjahre haben dem Kanadier jetzt den Job gerettet, doch die Trendwende muss ab dem kommenden Spätsommer her, wenn der gedemütigte DEL-Rekordchampion die Wiedergutmachung angeht.
Aubin bedankte sich daher auch „für das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird“. Er fühle sich „geehrt, weiter für die Eisbären Berlin zu arbeiten“. Auch wenn die neue Saison erst in rund einem halben Jahr beginnt, wolle er „direkt mit der Vorbereitung“ starten, denn: „Ich stecke voller Tatendrang.“ Die braucht es auch, um seinem eigenen Anspruch an seine vierte Saison bei den Eisbären gerecht zu werden: „Wir wollen die vergangene Spielzeit vergessen machen und wieder ein Topteam sein.“ Doch der 48-Jährige weiß, dass das nicht nur mit seiner Vertragsunterschrift und ein, zwei neuen Spielern zu bewerkstelligen ist: „Vor uns liegt eine Menge Arbeit.“
Durch die Entscheidung pro Aubin haben die Verantwortlichen, namentlich Sportchef Richer und Geschäftsführer Thomas Bothstede, den Spielern das Alibi „Trainer“ weggenommen. Auch sie stehen nun verstärkt in der Verantwortung – zumindest diejenigen, die bleiben dürfen. Wer aus dem Spielerkader auch 2023/24 auf dem Eis für den Haupstadtclub steht, ist weitestgehend offen. Jede Position, jeder Kaderplatz, aber auch die Betreuung, Umfeld und Strukturen sollen angesichts der Riesenblamage hinterfragt werden. „Wir werden jeden Stein umdrehen“, kündigte Bothstede an. Und Richer versprach den Fans bereits, dass die Maßnahmen und Entscheidungen fruchten werden: „So eine Saison wie in diesem Jahr wird es nicht wieder geben.“
Eines der Hauptfragen ist die nach der Torhüterposition. Die Eisbären waren nach dem Weggang von Meistergoalie Mathias Niederberger zu Red Bull München auf Risiko gegangen und hatten auf das extrem junge Duo Tobias Ancicka (21)/Juho Markkanen (20) gesetzt. Im Nachhinein wird das auch intern als Fehler betrachtet. Für Konstanz, Sicherheit und Ausstrahlung im Torwartspiel braucht es viel Erfahrung – und die dürfte der Club für die neue Saison in Gestalt eines neuen Stammtorhüters verpflichten. Deswegen hat Ancicka längst seine Fühler nach anderen Clubs ausgestreckt, dem Vernehmen nach wollen ihn die Kölner Haie verpflichten. Die Youngster Ancicka (im Schnitt 2,66 Gegentore pro Spiel) und Markkanen (3,04) werden von den Verantwortlichen aber verteidigt. „Ich weiß, es schimpfen viele auf die Torhüter“, sagte Bothstede: „Aber wenn auch die Akteure vor dem Keeper nicht zu ihrer Form finden, ihr Potenzial nicht abrufen – wie soll dann ein 21-jähriger Torhüter sein wahres Potenzial zeigen?“
Größerer Umbruch geplant
In der Tat war die Defensivleistung des Titelverteidigers nicht Play-off-würdig. Das trifft auch auf Kapitän Frank Hördler zu, bei der Plus-minus-Bilanz kommt der 38-Jährige auf einen indiskutablen Wert von -14. In vielen Situationen ging ihm die Schnelligkeit und notwendige Aggressivität ab, und zum Ende hin fiel er auch noch mit einer Schulterverletzung aus. Ein Karriereende ist nicht unwahrscheinlich, zumal er sich in dieser enttäuschenden Saison zumindest zwei Träume erfüllen konnte: Sein 1000. DEL-Spiel und gemeinsame Partien mit Sohn Eric (18). „Wir müssen uns mit ihm hinsetzen“, sagte Bothstede über den neunmaligen Meister Frank Hördler: „Er hat einen vernünftigen Abschluss, wann auch immer der sein wird, bei den Eisbären verdient.“
Auch offensiv lief längst nicht alles rund, einzig Marcel Noebels (56 Scorerpunkte), Matthew White (51) und Zachary Boychuk (46) wussten zu überzeugen. Neue torgefährliche Angreifer müssen her – auch mit deutschem Pass. Es werde „wohl einen größeren Umbruch geben, als wir uns das vor ein paar Monaten mal vorgestellt haben“, meinte Bothstede. Denkverbote dürfe es dabei nicht geben, bestimmte Abläufe und Herangehensweisen müssten angepasst werden. Allerdings, betonte der Geschäftsführer, „fangen wir nicht an, die Eisbären neu zu erfinden. Insgesamt steht der Club auf guten Beinen“. Auch, weil Eigentümer Anschutz offenbar nicht den Rotstift ansetzt. „Wir bewegen uns finanziell in einem festgelegten Rahmen, das ist seit Jahren so“, sagte Bothstede, er betonte aber auch: „Wir hatten eine Saison, die sich nicht wiederholen darf.“
Einer, der das frühe Ausscheiden trotz aller gebotenen Neutralität vielleicht sogar begrüßt haben dürfte, ist der neue Bundestrainer Harold Kreis. Die Berliner Nationalspieler haben anders als in der Vergangenheit viel Zeit zur Regeneration, um in der WM-Vorbereitung früh zum Team dazuzustoßen, Abläufe einzustudieren und topfrisch bei der Endrunde (12. bis 28. Mai) in Finnland und Lettland an den Start zu gehen. Doch der im Nationalteam gesetzte Noebels wollte unmittelbar nach dem DEL-Saison-Aus noch keine WM-Zusage geben: „Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich mit nach Finnland fahre.“ Kreis, der seine WM-Feuertaufe als Bundestrainer gibt, will den Spielern zunächst Zeit geben, den Schock zu verdauen. „Die Jungs müssen jetzt mental erst mal runterkommen“, sagte er. „Ich bin überzeugt, sie werden gut vorbereitet zu unserem ersten Zusammentreffen am 10. April kommen und in Finnland eine gute WM spielen.“