Dieter Hecking hat den VfL Bochum wachgeküsst – mit seiner Erfahrung und Gelassenheit. Im verrückten Business Fußball ist das eine gern gesehene Abwechslung.
Dieter Hecking und der VfL Bochum – diese Verbindung wirkt auf den ersten Blick wie ein Wagnis, ein letztes Aufbäumen gegen den sicheren Abstieg. Doch seit Hecking das Zepter beim aktuell erfolglosesten Bundesliga-Team übernommen hat, sind nicht nur die Ergebnisse in einem neuen Licht zu sehen, sondern auch die Atmosphäre um die Castroper Straße hat sich spürbar verändert. Dieter Hecking, mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung und seinem Charisma, hat innerhalb weniger Tage geschafft, was kaum jemand zu hoffen gewagt hätte: Er hat den Verein emotional wiederbelebt und die Fans zurück ins Stadion geholt.
Höhen und Tiefen des Geschäfts
Gerrit Holtmann, einer der auffälligsten Spieler bei Heckings erstem Spiel, bringt die Wirkung des neuen Trainers auf den Punkt: „Das ist einfach ein überragender Trainer mit Aura und Charisma, der uns etwas mitgibt. Dem glaubst du einfach alles. Er hat uns Sicherheit gegeben.“ In einer Liga, die zunehmend auf „Laptop-Trainer“ und minutiöse Analysen setzt, sticht Hecking als Vertreter eines anderen Ansatzes hervor. Er ist kein taktischer Innovator im klassischen Sinne, sondern jemand, der durch Lebenserfahrung und Gespür für Menschen einen tiefen Zugang zu seinen Spielern findet. Im Vergleich zur Hochglanzmoderne, die etwa ein Trainer wie Leverkusens Xabi Alonso repräsentiert, wirkt Hecking wie ein Fels in der Brandung – einer, der sich von den alltäglichen Stürmen des Bundesliga-Geschäfts nicht aus der Ruhe bringen lässt.
Hecking selbst hat während seiner langen Trainerkarriere die Höhen und Tiefen des Fußballgeschäfts erlebt. Stationen wie der VfL Wolfsburg, Borussia Mönchengladbach, Alemannia Aachen und der HSV haben ihm nicht nur das nötige Fachwissen, sondern auch eine bemerkenswerte Gelassenheit verliehen. Diese Gelassenheit kommt nun den Bochumer Spielern zugute, die nach einer Phase schmerzhafter Niederlagen und einem miserablen Torverhältnis vor dem Trainerwechsel bereits wie abgestiegen wirkten. In den vergangenen Wochen, als Bochum mit einem katastrophalen 0:5 gegen Bayern und einem 2:7 in Frankfurt krachend unterging, sahen viele Beobachter in dem Verein nur noch einen Abstiegskandidaten ohne Perspektive.
Mit Heckings Ankunft änderte sich das innerhalb kürzester Zeit. Der Trainer zeigte sofort, dass er klare Prinzipien hat und dass ihm Disziplin wichtig ist. Als Aliou Baldé zu spät zum Training erschien, zögerte er nicht, den Spieler aus dem Training und letztlich auch aus dem Kader für das Spiel gegen Bayer Leverkusen zu streichen. „Disziplin steht bei mir oben an“, betonte Hecking. Diese klare Ansage wurde von vielen als Signal gewertet, dass mit dem neuen Trainer auch neue Standards im Verein Einzug halten. Die Einhaltung von Regeln und der Respekt vor der Mannschaftsordnung sind für Hecking grundlegende Werte, die ein funktionierendes Teamgefüge erst ermöglichen.
Aber Hecking ist nicht nur ein Trainer, der für Ordnung sorgt; er ist auch ein Motivator, der es versteht, seine Spieler positiv zu beeinflussen. Vor dem Spiel gegen Leverkusen versprach er dem Team zwei Tage frei, falls sie einen Punkt holen würden. „Ich habe gesagt: Wenn ihr ein gutes Spiel macht, und wir holen auch noch was, dann gibt es zwei Tage frei. Denn ich will heute Abend in meine Heimat zu meinen Schwestern auf die Soester Kirmes“, erzählte er schmunzelnd. „Das haben sie mir gegönnt, weil sie wussten: Der Alte will zwei Tage frei, auf die Kirmes gehen und ein Bierchen trinken.“ Diese Geschichte ist mehr als eine lustige Anekdote. Sie zeigt, dass Hecking in der Lage ist, eine Leichtigkeit in die Mannschaft zu bringen, die in der aktuellen Drucksituation unersetzlich ist. Anstelle eines sturen Kampfes ums Überleben in der Liga verlegt er den Fokus auf die einfachen Dinge des Lebens und schafft so eine entspannte, fast familiäre Atmosphäre. Das Team scheint ihm diesen Ansatz zu danken und zeigte gegen Leverkusen eine leidenschaftliche Leistung, die fast zur Sensation reichte.
Doch Hecking ist keineswegs nur ein Mann der Worte. Auch auf dem Spielfeld dreht er an den richtigen taktischen Stellschrauben. Er ordnete die Mannschaft neu, stellte eine kompakte Grundordnung mit drei Innenverteidigern auf und verdichtete das Mittelfeld. So schloss Bochum das Zentrum und doppelte auf den Außenbahnen – eine Strategie, die Bayer Leverkusen, das technisch klar überlegene Team, immer wieder ins Stocken brachte. Doch nicht nur Defensiv ließ er sich etwas einfallen: „Wir mussten schauen, dass wir eine Chance auf ein Tor kriegen“, erklärte der Coach. Dieser Mut und die Bereitschaft, alles zu riskieren, schenkten der Mannschaft neues Selbstvertrauen. „Die Jungs mussten, nachdem sie so viel auf die Mütze gekriegt hatten, das Wort ‚gewinnen‘ einfach mal wieder hören“, so Hecking.
Nicht nur die Spieler, auch die Fans spürten diesen Umschwung und zeigten es lautstark. Erstmals seit Langem erklang wieder der Gesang „Der VfL ist wieder da!“ im Stadion an der Castroper Straße. Anthony Losilla, der Kapitän der Bochumer, zeigte sich beeindruckt von der Unterstützung der Anhänger: „Wie unsere Fans uns gepusht haben, war wieder einmal Wahnsinn. Diese unglaubliche Stimmung im Stadion nach Abpfiff habe ich vermisst.“ Für viele Bochumer war die Rückkehr des VfL zu einem emotionalen und kämpferischen Fußballstil ein Grund zur Hoffnung – eine Hoffnung, die der Verein unter Hecking vielleicht längerfristig aufrechterhalten kann.
Heckings Auftreten und seine Führungsqualitäten stehen in krassem Gegensatz zu den modernen Vorstellungen eines akribisch arbeitenden, taktikorientierten „Laptop-Trainers“. Dies ist ein Punkt, den Hecking selbst ironisch unterstreicht: „Ich hätte am Dienstag hellwach und aufmerksam das Spiel von Bayer Leverkusen in der Champions League beim FC Liverpool anschauen müssen, aber nach einer Viertelstunde bin ich eingeschlafen.“ Auch hier wird seine Menschlichkeit und Authentizität deutlich. Er verlässt sich stattdessen auf sein Bauchgefühl und seine Erfahrung und schafft es trotzdem, Leverkusen im Bundesligaspiel taktisch Paroli zu bieten. Sein Ansatz – geprägt von Intuition und Vertrauen in seine Instinkte – passt überraschend gut zu einem Verein wie dem VfL Bochum, der in der Vergangenheit oft davon lebte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht in theoretischen Überlegungen zu versinken.
Mehr als 400 Bundesligaspiele
In einer Liga, in der Trainer um die 40 Jahre dominieren und Erfolge wie die des erst 42-jährigen Xabi Alonso bei Bayer Leverkusen Begeisterung auslösen, ist Hecking mit seinen 60 Jahren ein beinahe exotischer Vertreter einer anderen Fußballwelt. Und doch könnte gerade dieser Unterschied den Ausschlag geben. Denn Hecking, der „mehr als 400 Bundesligaspiele als Coach erlebt hat“, so wie er selbst feststellt, „muss niemandem mehr etwas beweisen.“ Diese innere Freiheit und Gelassenheit, die ihm in schlechten Zeiten als mangelnde Energie ausgelegt wurde, scheint nun ein entscheidender Vorteil für Bochum zu sein. Mit dieser Ruhe hat er es geschafft, die emotionale Blockade der Spieler zu lösen und das Team zu motivieren.
Der Einwechselspieler Koji Miyoshi, der mit seinem Tor in der 89. Minute für den 1:1-Ausgleich sorgte, beschrieb das Gefühl nach dem Treffer als „eine Explosion in der Mannschaft“. Dieses Tor könnte für Bochum zum Wendepunkt in der Saison werden, so wie Hecking selbst sagte: „Es könnte ein Neustart in dieser Saison sein.“ In einem Augenblick, in dem alles gegen den VfL sprach, schaffte Hecking es, den Spielern das Gefühl zu geben, dass noch alles möglich ist. Dieser Optimismus und die neue Zuversicht sind für den VfL und seine Fans ein unbezahlbares Gut in einem ansonsten dunklen Moment der Vereinsgeschichte.
Dieter Hecking und der VfL Bochum – es ist tatsächlich eine besondere Verbindung, fast wie „Liebe auf den ersten Blick“. Der erfahrene Trainer hat es geschafft, innerhalb kürzester Zeit die Moral der Mannschaft wiederherzustellen und die Fans an einen möglichen Klassenerhalt glauben zu lassen – mit Menschlichkeit, Aura und Charisma.