Als Physiotherapeut Patrick Mordiconi einen Musikproduzenten behandelt, nimmt sein Leben eine außergewöhnliche Wendung. Heute behandelt der Saarbrücker in den berühmten Abbey Road Studios in London große Weltstars.
Was das Schicksal für Patrick Mordiconi bereithielt, ist der Stoff, aus dem Filme sind. Oder in seinem Fall wohl eher die Film-Soundtracks. Er kann es selbst kaum glauben, aber seit einiger Zeit geht der Saarbrücker Physiotherapeut als feste Größe in den Abbey Road Studios in Englands Hauptstadt ein und aus. Nur um es kurz klarzustellen: Ja, es sind genau die legendären Tonstudios, vor deren Tür der berühmteste Zebrastreifen der Welt nicht nur die Beatles, sondern mittlerweile auch Patrick Mordiconi schon mehrfach sicher über die Straße und mitten ins Herz der Musikwelt geführt hat.
Die Sache mit der festen Größe ist durchaus wörtlich zu nehmen. In den Abbey Road Studios nennen sie den Physiotherapeuten ganz einfach „Monte“ – den Berg. Zu diesem Spitznamen ist er gekommen, weil er eben ein Typ wie ein „Berg“ ist. Groß, breit gebaut, zeitweise mit dichtem dunklen Bart und einer Schulter zum Anlehnen – und womöglich auch, weil sein richtiger Name vielleicht etwas zu kompliziert auszusprechen ist, merkt Mordiconi lachend an. Aber er ist zufrieden mit Monte und die, die ihn so nennen, sind mehr als zufrieden mit ihm. Als Physiotherapeut ist sein Spezialgebiet die orofasziale Region, also der Bereich um Gesicht, Kiefer, Kehlkopf und Nacken – genau jene Regionen, die bei Musikern und vor allem Sängern häufiger einer Behandlung bedürfen.
Aus Mordiconi wird in London „Monte“
In den Abbey Road Studios gibt sich die Crème de la Crème des Musikbusiness die Klinke in die Hand. Wenn hier von Weltstars die Rede ist, dann ist es auch wirklich so gemeint. Es sind Sängerinnen und Sänger, Musikerinnen und Musiker und auch Schauspieler und Schauspielerinnen aus der Top-Riege der Welt. Nur um welche Patienten es sich genau handelt, darüber hüllt Mordiconi sich professionell in Schweigen. Fest steht aber, immer dann, wenn er gebraucht wird und sein Terminplan es zulässt, wird er aus dem Saarland eingeflogen, um das Recording-Erlebnis für die Stars noch besser zu machen. Seine Klienten erwarten ihn dann sehnsüchtig und lassen ihn so nah an empfindliche Körperstellen wie Hals und Kehlkopf heran, wie kaum einen anderen. Wenn der Kiefer nach dem Singen verspannt ist oder wenn der Nacken vor der nächsten Session geschmeidig sein muss, ist Mordiconi zur Stelle, damit alles entspannt abläuft, wenn das rote Aufnahmelicht leuchtet. Monte hat definitiv einen Vertrauensbonus und hat damit womöglich bei so manchem neuen Platin-Album seine Finger im wahrsten Sinne des Wortes im Spiel.
Dass der Physiotherapeut, der in Saarbrücken eine erfolgreiche Praxis betreibt und an der Uni in Kaiserslautern als Dozent tätig ist, als Monte in den weltberühmten Musikstudios zu einer festen Größe geworden ist, nennt er selbst eine „verrückte Geschichte“. Als er uns diese Geschichte bei einem Cappuccino in seinen Praxisräumen erzählt, geht es erst einmal gar nicht um die Musik. Mordiconi will ganz vorne anfangen, in einer Zeit, in der er mit dem Musikbusiness noch nichts zu tun hatte. Seine Geschichte beginnt, wo ein saarländischer Weg eben passend startet: beim 1. FC Saarbrücken. Hier fing die Reise des jungen Patrick Mordiconi 1995 an. Zu dieser Zeit konzentrierte er sich als Physiotherapeut auf die Behandlung von Sportlern, weshalb er gebeten wurde, die Zweite Mannschaft des FCS – zu dieser Zeit in der Oberliga – zu betreuen: Ehrensache für den „Saarbrücker Bub“, wie er sich selbst nennt. Und das, obwohl es damals um den Verein nicht wirklich gut bestellt war. „Das war in einer schwierigen Phase, der FC hatte Probleme und ich wusste, da gibt es erst mal wenig Geld.“ Aber Mordiconi blieb dem Verein treu und nach vier Jahren wechselte er schließlich von der Zweiten zur Ersten Mannschaft. Niemand Geringeres als Klaus Toppmöller war für seine Beförderung verantwortlich und so erlebte Mordiconi den denkwürdigen Aufstieg in die 2. Liga hautnah mit. Mit der Ära Toppmöller – im Jahr 2000 vorüber – endete auch Mordiconis Zeit beim FCS. Obwohl die Verantwortlichen ihn behalten wollten, verfolgte der Physiotherapeut andere Pläne. „Ich hatte damals schon parallel meine eigene Praxis”, erinnert er sich. „Und ich war verheiratet. Da wurde es auch Zeit für ein Kind.“ Er lacht: „Nur dass es später gleich fünf wurden, war damals nicht geplant.“
Als Physiotherapeut erst beim Sport
Beim Gespräch mit Mordiconi gibt es drei Dinge, die er immer wieder erwähnt, weil sie sein Leitfaden und seine Lebensphilosophie sind. Erstens: Er macht keine Unterschiede zwischen Menschen, für ihn ist niemand besser oder schlechter. Zweitens: Er ist sein eigener Herr und will sich von niemandem verbiegen lassen. Drittens: Seine Frau und seine Kinder stehen über allem. Deshalb wundert es nicht, dass seine Geschichte durch die Familiengründung an dieser Stelle eine Wendung nimmt und er den FCS verlässt. Doch für Menschen wie Mordiconi öffnet sich immer wieder eine neue Tür. Wer ihn trifft, ist sehr wahrscheinlich schnell beim Du, er ist ein lebhafter Gesprächspartner, auf oberflächlichen Small Talk legt er keinen Wert. Und dank dieser besonderen Art ging auch damals seine verrückte Geschichte mit einer unvorhergesehenen Entwicklung weiter, als in den frühen 2000er-Jahren eines Tages ein Redakteur von Radio Saarbrücken als Patient seine Praxis besuchte. Es kam, wie es mit Mordiconi kommen muss: Die beiden plauderten und es dauerte nicht lange, bis man ihm den Vorschlag für eine eigene Gesundheitssendung im Radio unterbreitete. Per Mail oder Telefon konnten Hörerinnen und Hörer Fragen zu Themen stellen, die Mordiconi dann mit Gesprächspartnern aus dem jeweiligen Gesundheitsbereich besprach. Der Deal ging auf: Aus den geplanten zehn Sendungen wurden ganze drei Jahre. Und obwohl er beim Radio eigentlich als Gesundheitsexperte anwesend war, kam er zum ersten Mal mit bekannten Künstlern in Kontakt, zu denen sich teilweise auch Freundschaften entwickelten. Als einmal ein deutscher Schlagerstar den Radiosender besuchte, ging Mordiconi mit ihm auf das Dach des Radiosenders. Oben angelangt gestand ihm der Promi erst, dass er eigentlich Höhenangst hat und sich nur mit Mordiconi an seiner Seite überhaupt getraut hat, das Dach zu besteigen. Mordiconi erinnert sich in seiner gewohnt lockeren Art: „Da dachte ich nur: Na super, jetzt musst du ihn auch irgendwie wieder runterbringen.“ Natürlich ist, wie nicht anders zu erwarten, alles gut gegangen.
Als die Zeit beim Radio endete, landete Mordiconi erneut beim Sport, diesmal als Physiotherapeut beim American-Football-Team der Saarland Hurricanes. Nach drei Jahren dort saß er sogar im Aufsichtsrat. Und dann kam er, dieser ganz besondere Dienstag, der Patrick Mordiconi auf einmal aus seiner Praxis in Saarbrücken nach London brachte. „Es war an einem Dienstagmittag“, erinnert er sich. „Ich weiß das, weil ich dienstagmittags eigentlich immer die Kinder von der Schule abgeholt habe.“ An diesem Tag war es anders, denn seine Frau übernahm das Abholen. Mordiconi war deshalb ausnahmsweise in seiner Praxis, als es klingelte. „Da stand Matthias und sagte: Ist Herr Mordiconi da? Und ich sagte: Wissen Sie was, normalerweise habe ich heute frei, aber kommen Sie doch rein.“ Mit Matthias meint er Musikproduzent Matthias Stalter. Einer der beiden Inhaber der erfolgreichen Musikproduktionsfirma Dooley Records. Gebürtig aus St. Ingbert, ist der saarländische Musikproduzent und Unternehmer Stalter seit Jahren vorwiegend in London aktiv. In der Zeit, in der er Mordiconi kennenlernte, war er tatsächlich einer der beiden einzigen In-House-Produzenten mit eigener Studio-Suite in den legendären Abbey Road Studios. Die beiden kamen also ins Gespräch und redeten irgendwann über die Musik, bis Stalter dem Physiotherapeuten Patrick Mordiconi eine Idee unterbreitete: Viele Sänger und Musiker haben Probleme mit Kiefer, Hals und Nacken, und Mordiconi wollte spezielle Behandlungen wie diese in sein Portfolio aufnehmen. Gesagt, getan. Mordiconi erinnert sich heute, dass Matthias Stalter ihm irgendwann die Neuigkeit verkündete: Die Londoner wollen ihn kennenlernen. „Und dann bin ich eben ahnungslos dorthin.“
Während er bei unserem Interview von seiner ersten Reise erzählt, sagt er spontan: „Wir rufen jetzt einfach mal bei Matthias an. Der ist in London.“ Er wählt die Nummer und lässt es klingeln. Stalter antwortet nicht. „Wenn er sieht, dass ich angerufen habe, ruft er mit Sicherheit gleich zurück“, sagt Mordiconi. Und tatsächlich, ein paar Minuten später klingelt das Handy. Auch Stalter erzählt am Telefon von ihrem ersten Treffen und der daraus entstandenen engen Freundschaft. Der Musikproduzent erklärt den Erfolg seines Freundes so: „Monte kommt in den Raum und plötzlich sind da Ruhe und Gelassenheit. Er bringt die Menschen auf den Boden. Außerdem ist es natürlich auch seine Qualifikation, denn es gibt keinen Physiotherapeuten, der kann, was er kann.“
„Er bringt die Menschen auf den Boden“
Auch wenn Monte mittlerweile im Studio eine feste Größe ist, das Erlebnis, die Abbey Road Studios zu betreten, ist für ihn immer wieder unvergleichlich. Da gibt es nicht nur den berühmten Zebrastreifen vor der Tür, da gibt es auch Daniel Barenboims Flügel, die alten Mischpulte aus der Ära der Beatles, es gibt Studio 3, in dem Pink Floyd „Dark Side Of The Moon“ aufgenommen haben oder Studio 1, in dem mit großer Orchesterbesetzung von „Star Wars“ bis „Harry Potter“ immer wieder ikonische Filmsoundtracks aufgezeichnet werden. Aber Monte ist nicht nur in die Welt der Stars eingetaucht, er konnte auch einen Blick hinter die Kulissen werfen. So traf er zum Beispiel ein Urgestein des Studios, Doreen Dunkley, eine ältere Lady, die seit über 30 Jahren die Kantine leitet und ihn – offenbar entgegen ihrer Gewohnheit – direkt ins Herz schloss, weshalb sie dem „big german bloke“, also dem großen deutschen Kerl, bei ihrem ersten Treffen sogar das Essen spendierte. Der Grund: Sie hält den fünffachen Familienvater für einen patenten Typ inmitten der Glamourwelt. „Ich könnte noch Stunden weitererzählen“, schwärmt Mordiconi von seinen Erlebnissen und Erfahrungen, die sich gerade nochmals vervielfacht haben dürften. Denn im letzten November war er wieder in London, nachdem einige geplante Termine davor nicht zustande gekommen waren. Corona, der Brexit und zuletzt die Beerdigung der Queen hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun hat es aber endlich wieder funktioniert und für Mordiconi und Stalter steht fest, dass der nächste Terminen definitiv nicht lange auf sich warten lässt, damit Monte bald wieder mit offenen Armen im Studio empfangen wird: „Es fühlt sich jedes Mal aufs Neue unglaublich an, über diesen Zebrastreifen zu gehen – und in dieser exotischen Welt etwas bewirken zu können.“