Ein Forschungsprojekt will aus menschlichen Hinterlassenschaften hochwertigen Dünger für die Landwirtschaft herstellen. Doch die Zulassung ist nicht nur rechtlich schwierig. Wird die Gesellschaft diese Art von Recycling akzeptieren?
Im Nordosten von Berlin, etwa 50 Kilometer Luftlinie von der Hauptstadt entfernt, könnte die Wende zu einer wassersparenden, nachhaltigen Zukunft angeschoben werden. Auf dem Wertstoff- und Recyclinghof der Kreiswerke Barnim in der brandenburgischen Gemeinde Eberswalde soll das kurioserweise mit menschlichem Urin und Kot geschafft werden – einem Material, das bislang kaum im Interesse der Öffentlichkeit stand.
In einer Forschungsanlage sollen aus den flüssigen und festen Stoffen zwei Arten von Recyclingdünger entstehen: ein Flüssigdünger aus Urin und ein sogenannter Humusdünger aus den Fäkalien. Im Juni 2023 ist die Urin-Aufbereitungsanlage angelaufen, vier Monate später stand das Humus-Regal. Möglich macht dies das Projekt „zirkulierBAR“, das auf drei Jahre angelegt ist und vom Bundesforschungsministerium mit 2,4 Millionen Euro bezuschusst wird.
Bereits 2019 nahm das Unternehmen „Finizio – Future Sanitation“ eine Pilotanlage auf dem Gelände in Betrieb. Ein Jahr später wurde die Recyclinganlage um eine Forschungsanlage erweitert. Das Start-up Finizio hat unter anderem in Berlin 24 Trockentoiletten aufgestellt. Der Clou: Sie kommen ganz ohne Trinkwasser aus und sind vom Abwassersystem getrennt. Die gesammelten Inhalte dieser Toiletten, die auch auf Festivals, in Campingfahrzeugen und Privathaushalten stehen, werden zur weiteren Aufbereitung mit einem Sprinter nach Eberswalde transportiert.
„Die Kompostierung wird wissenschaftlich begleitet, um die Aussage treffen zu können, dass hier qualitätsgesicherte, nährstoffreiche, schadstoffarme und hygienisch unbedenkliche Dünger entstehen“, sagt zirkulierBAR-Projektkoordinatorin Ariane Krause. Die Gesamtanlage sei als „gläsernes, transparentes Real-Labor“ zu verstehen. Man entwickle eine Technik zur Dünger-Aufbereitung unter realen Bedingungen und begleite diesen Prozess wissenschaftlich-interdisziplinär, ergänzt Krause.
Unterdessen erarbeitet das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zusammen mit allen Ressorts ein „Real-Labor-Gesetz“. So soll der Rechtsrahmen für Real-Labore verbessert und ausgestaltet werden, sagte auf Anfrage ein Sprecher des BMWK. Real-Labore fußen auf rechtlichen Ermächtigungsgrundlagen, zumeist sogenannte Experimentierklauseln, die unter anderem Ausnahmen vom allgemeinen rechtlichen Rahmen und die behördliche Begleitung regeln. So können Innovationen temporär erprobt werden, auch wenn sie unter Umständen noch auf rechtliche Hürden oder offene Fragen stoßen.
Erste Ergebnisse, um dem Ziel „Real-Labor-Gesetz“ näherzukommen, seien das im Juli veröffentlichte „Grünbuch Real-Labore“ und eine umfangreiche „Online-Stakeholder-Konsultation“. Die Stakeholder, also die konsultierten betroffenen Organisationen, Länder und Kommunen, Behörden, Forschungsinstitutionen, Hochschulen, Unternehmen, Verbände und interessierte Bürgerinnen und Bürger nannten den Bereich der Kreislaufwirtschaft einschließlich der Düngemittel- und Abfallverordnung mehrfach, sagte der Sprecher. Auch die Partner des Forschungsprojektes zirkulierBAR haben sich der Online-Befragung angeschlossen. „Wir beobachten das Projekt neben anderen mit großem Interesse“, betonte der Ministeriumssprecher. Erfahrungen und Ergebnisse aus solchen Projekten sollen in die Arbeit am Gesetzentwurf mit einfließen, hieß es abschließend.
Stickstoff aus Urin zurückgewinnen
Um als Laie nachvollziehen zu können, warum die vermeintlich wertlosen Ausscheidungsprodukte verwertet werden, muss man den Nährstoffgehalt genauer betrachten. „Bisher hat sich Finizio auf die Feststoffe konzentriert, weil das Volumen geringer und die Logistik einfacher zu organisieren ist“, erklärt Ariane Krause. Der Fokus des Eberswalder Start-ups lag zuerst darauf, einen Dünger herzustellen, der Nährstoffe recycelt, zugleich zur Pflege des Bodens beiträgt und Kohlenstoff im Boden bindet. Doch den Urin zu Recyclingdünger zu veredeln, sei mindestens genauso wichtig, zumal er ein hohes Recyclingpotenzial berge. „Zwischen 70 und 80 Prozent des Stickstoffs, den wir ausscheiden, landet im menschlichen Urin“, sagt die Wissenschaftlerin. Daneben enthalte unser Urin auch Phosphor und Kalium. „Es hat sich im letzten Jahr zunehmend im Zuge der Versorgungsunsicherheit mit Erdgas gezeigt, dass die Rückgewinnung von Stickstoff ein geopolitisches und ökologisches Interesse ist“, sagt sie. Menschlicher Urin trage 90 Prozent des Stickstoffs im Abwasser der Kommunen bei. Um Urin zu Flüssigdünger aufbereiten zu können, entschieden sich die zehn Partner von zirkulierBAR für das Vuna-Verfahren, das bereits in der Schweiz von der Firma Vuna Nexus praktiziert wird.
Das Verfahren ist in drei Schritte aufgeteilt: Im ersten beginnt der Prozess der Nitrifikation, in dem Mikroorganismen den Stickstoff in einen stabilen Zustand umwandeln, sodass am Ende kein Ammoniak mehr ausgast. „Der erste Schritt ist wichtig, damit der unangenehme Geruch aufhört und der Stickstoff nicht verloren geht“, bringt es Ariane Krause auf den Punkt. Danach setzt der Vorgang der Filtrierung ein. Ein gängiger Aktivkohlefilter filtert Arzneimittelrückstände und Hormone aus dem Urin heraus. „Zu nahezu 100 Prozent gelingt das auch. Mehr ist technisch nicht möglich.“ Zum Schluss wird alles erhitzt, um Krankheitserreger abzutöten und zwecks eines besseren Transportes das Volumen zu verringern. Letztlich nimmt dieses Verfahren bis zu zwei Wochen in Anspruch.
Düngemittel- und Abfallrecht anpassen
Ein mehrstöckiges, teilautomatisiertes Humus-Regal, wie es den Akteuren des Forschungskonsortiums vorschwebt, ist noch Zukunftsmusik. Solarkollektoren könnten später einmal die Wendemaschine elektrifizieren. Angelehnt ist die Konstruktion an ein riesiges Regal aus der Lagertechnik. So soll die Verwertungsanlage so effizient wie möglich arbeiten, eine hin- und herfahrende Wendemaschine mit Greifarm die sogenannten Mieten, also die langgezogenen Komposthaufen, umschichten. „Das regelmäßige Wenden des organischen Düngers ist notwendig, damit die Mikroorganismen optimal mit Sauerstoff versorgt werden“, erklärt Ariane Krause. Noch fahren allerdings dieselbetriebene Radlader herum, um den Kompost zu wenden, und bisher ist aus Kostengründen nur eine Regal-Ebene fertiggestellt. „Der Reifenabrieb der umherfahrenden Radlader auf dem Gelände ist theoretisch eine Schadstoffquelle für den Kompost“, sagt Krause. In der Anlage wird ein Gemisch aus den Finizio-Trockentoiletten, Toilettenpapier, Sägespänen, Stroh, Grünschnitt, Pflanzenkohle und Tonmineralien aufbereitet. Im Schnitt soll den Angaben von zirkulierBAR zufolge der Veredelungsprozess zwei bis drei Monate dauern. Die idealerweise in naher Zukunft zugelassenen Dünger sollten auf dem Acker wieder zusammengebracht werden. „Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Landwirtinnen und Landwirte so die besten Erträge erzielen können“, sagt die Projektkoordinatorin.
ZirkulierBAR möchte die zusammenhängende Kette „Toilette – Logistik – Verwertung – Landwirtschaft“ erforschen und entwickeln. Eine Frage, die einen tragenden Part dabei einnehme, sei, welche Technik und welche Kooperationen man dafür brauche, wie man sie entwickeln und erproben könne. „Wir lernen aus dem Testbetrieb und sehen, welche Anpassungen es noch bei der Technik für die Verwertung, bei der Logistik und Toilettengestaltung braucht“, sagt Ariane Krause. Den zehn Akteuren, darunter Kommunen, Start-ups, Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen, sei jedoch wichtig, sich für die rechtliche Zulassung stark zu machen, betont Krause. Dazu müsste das Düngerecht wie das Abfallrecht – genauer die Düngemittel- und die Bioabfallverordnung – entsprechend angepasst werden. Als Forschungsprojekt wolle man einen Beitrag dazu leisten, dass Politikerinnen und Politiker in die Lage versetzt werden, evidenzbasierte Entscheidungen treffen zu können. „Unsere wissenschaftlichen Ergebnisse wollen wir so aufbereiten, dass sie nicht nur in Papers veröffentlicht werden, sondern auch die Politik erreichen und in politische Entscheidungsprozesse integriert werden können.“
Für die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), die aktuell rund 30.000 Mitglieder vertritt, war Recyclingdünger bisher kein Thema. Wenn die Fäkalien wie in der Projektbeschreibung vorgesehen aufbereitet würden, entstünde „zum einen bei den festen Bestandteilen eine Art Klärschlammkompost und zum anderen beim Urin eine als Flüssigdünger nutzbare Salzlösung“, schreibt die DLG auf Anfrage. Insofern sei es aus rein fachlicher Sicht, nach einer erfolgten „erforderlichen Hygienisierung“, durchaus denkbar, den Recyclingdünger in der Landwirtschaft zu verwenden. Selbst ein Einsatz im Biolandbau käme infrage, allerdings sei dies abhängig davon, „ob und in welcher Form die jeweiligen Anbau-Richtlinien dies zulassen“. Alles in allem hält die DLG ein solches Projekt für sinnvoll, um die Machbarkeit zu untersuchen. Dass im Projekt auch die gesellschaftliche Akzeptanz geprüft werde, halte man für richtig. Für den Fall, dass die Produkte in der Breite eingesetzt werden würden, könnte dies „durchaus ein Hindernis“ darstellen.
Aus düngerechtlicher Sicht realitätsfremd
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hingegen stellte klar, dass eine „Sanitärwende“ mit Blick auf die gesetzten Ziele aus düngerechtlicher Sicht „in weiten Teilen realitätsfremd“ sei, sagte eine Sprecherin. Vor allem betreffe dies den Umbau des derzeitigen Sanitärsystems als Mischsystem zu einem Trennsystem. Stoffe aus Trenntoiletten beziehungsweise Trockentoiletten seien nach düngemittelrechtlichen Vorgaben „keine zulässigen Ausgangsstoffe“. Die Sprecherin betonte, dass „vor einer Anpassung abfallrechtlicher Regelungen“ überhaupt nicht infrage komme, die Düngemittelverordnung zu ändern.
Das Ministerium verwies darauf, dass zirkulierBAR bei einer Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats für Düngungsfragen im Februar 2022 informell vorgestellt wurde. Allerdings seien hinsichtlich des Aspektes der Unbedenklichkeit noch immer viele Fragen offen, erklärte die Sprecherin des BMEL. Im Einzelnen gehe es um den Schadstoff- und Fremdstoffgehalt, die Medikamentenrückstände oder um Hygieneaspekte wie zum Beispiel Darmparasiten. Insofern ergebe eine „tiefergehende Bewertung aus düngemittelrechtlicher Sicht“ überhaupt erst dann Sinn, wenn abfallrechtliche Fragen beziehungsweise Hürden geklärt und beseitigt seien, hieß es. Die abfallrechtliche Bewertung des aufbereiteten Düngers aus Trockentoiletten obliege jedoch dem Bundesumweltministerium.
Bis zum Umbau des Sanitärsystems hierzulande dürfte also noch viel Zeit vergehen, denn erst einmal muss das Projekt testen und belegen, ob der Recyclingdünger auch wirklich hygienisch unbedenklich ist. Doch immerhin ist ein Anfang gemacht – und die Landwirtschaft sendet positive Signale.